Um mit Frank Sinatra zu eröffnen: „the end is near“. Als SozBloggerinnen ist dieser Beitrag unser letzter Eintrag. Trotz Urlaubszeit war auf diesen Seiten in den vergangenen Wochen viel Trubel. Es wurde viel geklickt und kommentiert, was uns außerordentlich freut. Von Sommerloch konnte keine Rede sein.
In den vergangenen Wochen beschäftigten wir uns mit Prekarisierungsprozessen. Als conditio humana sehr weit gefasst, diskutierten wir darunter verschiedene gesellschaftliche Dynamiken, wie die Kämpfe um Asyl oder die Folgen der Erwerbsarbeitszentriertheit.
Das ‚Phänomen’ des Antigenderismus bildete einen weiteren zentralen Referenzpunkt. Als Diskurs richtet er sich gegen Politiken des Gender Mainstreamings, die Geschlechterforschung und die soziale Bewegung des Feminismus. In Auseinandersetzung mit den hier vertretenen Positionen und Meinungen haben wir in unserem ersten Eintrag die Argumentation entfaltet, dass der Antigenderismus u.a. die Geschlechterforschung und den Feminismus als zentrale Ursachen derzeitiger Prekarisierungsprozesse ausmacht. Grundsätzlich ist das Verantwortlichmachen des Feminismus und der wesentlich jüngeren Geschlechterforschung für gesellschaftliche Missstände aber alles andere als ein neues Phänomen. Eine sozial-historische Einordnung gegenwärtiger antigenderistischer Positionen in die lange Geschichte des Feminismus-Bashing steht unseres Erachtens noch aus.
Wir wurden an verschiedenen Stellen gefragt, warum wir uns überhaupt mit dem Antigenderismus beschäftigen. Es gehe doch nur um eine Handvoll Querulanten. Eine gesellschaftliche Bedeutung sei nicht erkennbar. Das sehen wir anders. Wir können die Verbreitung antigenderistischer Positionen zwar nicht exakt quantifizieren, auch die antigenderistischen Bestseller lassen sich nicht als verlässliche Zeugnisse anführen. Wir haben dennoch den Eindruck, dass diese Positionen durchaus verbreitet sind. Einen mithin ernüchternden Einblick vermitteln häufig die Kommentarfunktionen einschlägiger Blogs, Zeitungsartikel oder Petitionen.
Aus diesem Grund war es unser Anliegen, ein Verständnis für die Widersprüche und Ambivalenzen von Prekarisierungsprozessen zu entwickeln. Kurzum: Anstatt den Feminismus oder die Geschlechterforschung an den Pranger zu stellen, gilt es, die gesellschaftlichen (Ungleichheits-)Dynamiken zu entziffern und die geschlechtersoziologischen Herausforderungen ernst zu nehmen.
Dass der Feminismus und die Geschlechterforschung für Phänomene verantwortlich gemacht werden, die wir als Prekarisierungsprozesse bezeichnen, schien uns ein interessanter Vorwurf zu sein, den es zu diskutieren lohnt. Wenngleich wir diese Position in sehr vielem nicht teilen, ist der Vorwurf aber insofern nicht ganz von der Hand zu weisen, als für das – wenn auch stark heterogene – geschlechtersoziologische Forschungsprogramm kennzeichnend ist, dass es die Strategie der Denaturalisierung verfolgt. Hinterfragt werden also die Annahmen einer natürlichen Ordnung und deren machtvolle Ausschlüsse.
Nehmen wir beispielweise die Norm der männlichen Alleinernährerehe, die an Selbstverständlichkeit verliert. Dies liegt vor allem am neoliberalen Umbau des Sozialstaates (zur Diskussion siehe Blog 6), daneben trägt aber auch die Einführung des Elterngeldes dazu bei, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass Männer in Fragen der Betreuung und Erziehung von Kindern ausgenommen werden. Infrage steht ebenfalls ein Familienbegriff, der unter Familie lediglich die heterosexuelle Kleinfamilie fasst, da, wie wir etwa hier ausführten, die Norm der Heterosexualität kritisiert wird.
Es ist verständlich, dass dieses Hinterfragen bisheriger ‚Gewissheiten‘ nicht grundsätzlich und von allen als Freiheitsgewinn begrüßt wird, sondern auch durchaus als bedrohlich empfunden werden kann. Schließlich stehen tatsächlich Privilegien auf dem Spiel, wenn etwa die bürgerliche Kleinfamilie als gesellschaftliche Norm hinterfragt wird. Gleiches gilt für die These einer Konstruktion von Geschlecht, die alle irritieren muss, die etwa davon ausgehen, dass Geschlecht durch Gott gegeben ist.
Wenn man die Geschlechterforschung und den Feminismus in diesem Sinne als Forciererin von Prekarisierungsprozessen versteht, stellt sich, so unser Plädoyer, aber nicht die Frage, wie man eine vermeintlich natürliche Ordnung zurückgewinnt, sondern welche sozialen, rechtlichen und politischen Herausforderungen aus den Verunsicherung erwachsen können und sollen.
Verlassen wir also abschließend den antigenderistischen Diskurs und begeben wir uns auf die Suche nach Antworten auf diese Herausforderungen. Für diese Suche schlagen wir – prekarisierungstheoretisch formuliert – Politiken der Ent_Prekarisierung vor. Politik soll hier nicht auf staatliche Regulierungen begrenzt, sondern in einem weiten Sinne verstanden werden. Was verbirgt sich also dahinter?
Auch wenn es paradox klingt, sollte es darum gehen, »Bedingungen der Anerkennbarkeit« (Butler 2010: 14) zu schaffen, die auf der Prekarisierung von traditionellen Geschlechternormen gründen, aber trotzdem und zugleich auf die Absicherung und den Schutz prekärer Lebenslagen – also auf Entprekarisierung – gerichtet sind. Wir können solche Politiken der Ent_Prekarisierung hier nicht umfassend entfalten, stellen sie – und die in ihnen angelegten Ambivalenzen zwischen Sicherung und Entsicherung / Verunsicherung – aber in Konturen vor (Motakef i.E.).
Ein zentraler Bereich ist die Erwerbssphäre. Beispielsweise resultierte aus der Erosion der männlichen Ernährerehe auch ein Brüchigwerden ökonomischer Abhängigkeiten von Frauen, deren Erwerbstätigkeit – wenn auch nicht im Arbeitsvolumen – angestiegen ist. Wo Prekarisierung hier auf der einen Seite als Chance und Befreiung von persönlichen Abhängigkeiten erscheint, ist aber der Ausbau atypischer und schlecht abgesicherter Beschäftigungsverhältnisse zu kritisieren. Schließlich führen diese schlechten Bedingungen in der Erwerbsphäre etwa auch dazu, dass Menschen ihre Kinderwünsche aus finanzieller Unsicherheit nicht umsetzen oder auf später verschieben. Griffig brachte dies jüngst Familienministerin Manuela Schwesig im Focus auf den Punkt: „Befristete Jobs wirken wie die Anti-Baby-Pille“. An dieser Stelle kann also die Forderung abgeleitet werden, (prekäre, flexibilisierte, schlecht bezahlte …) Beschäftigungsverhältnisse wieder stärker abzusichern, allerdings nicht um den Preis, die männliche Ernährerehe zu reaktualisieren. Je nach Ressourcenlage kann es zudem für bestimme Berufsgruppen, wie etwa Kreative, attraktiv sein, nicht in ein enges Korsett eines sicheren Beschäftigungsverhältnisses eingebunden zu sein. Flexibilität, Unsicherheit, Arbeitsverdichtung und (psychische) Belastungen am Arbeitsplatz können aber auch gesundheitsschädigende und letztlich sozial destruktive Folgen haben – weshalb die Frage nach „Guter (Erwerbs-)Arbeit“ eine zentrale Säule einer Politik der Ent-Prekarisierung ist (vgl. Blog-Eintrag zum Recht auf Feierabend).
Es geht also um eine Beschäftigungs- und Arbeitsmarkt-Ent-Prekarisierungspolitik, daneben stellt sich aber zudem die Frage, was eine Sozialpolitik der Ent_Prekarisierung bedeuten könnte: Mit der feministischen Forderung einer Anerkennung und Umverteilung von Sorgearbeiten erscheint die sozialpolitische zentrale Ausrichtung auf Beschäftigung als einseitig, wie wir ebenfalls in dem Blogeintrag zum Recht auf Feierabend ausgeführt haben. Eine Herausforderung besteht also darin, die Zentralität der Erwerbssphäre zu prekarisieren (siehe auch Wimbauer 2012) und Sorgearbeiten zu einem weiteren zentralen Ausgangspunkt sozialpolitischer Sicherungen zu erheben. Dazu bedarf es eines kulturellen, sozialen und politischen Kontexts, der es Menschen ermöglicht, gleichberechtigt in der Reproduktions- als auch in der Erwerbsarbeit partizipieren können. Eine gleichberechtigte Beteiligung in beiden Sphären wird nicht nur durch Aushandlungen innerhalb der Beziehung, sondern auch von äußeren Einflüssen wie familienfreundliche gesellschaftliche Diskurse und soziale Institutionen bestimmt. Dies zeigt sich z.B. auch an höheren Geburtenzahlen in Ländern wie Frankreich und Schweden, die nicht obwohl, sondern gerade weil Frauen erwerbstätig sind vergleichsweise höher sind. Frauen und Mütter können dort erwerbstätig sein, weil es in diesen Ländern eine verlässlichere Betreuungsinfrastruktur gibt. Zudem müssten sich sozialpolitische Regelungen insgesamt stärker am Abbau von Ungleichheiten orientieren und hier ent-prekarisierend wirken.
Mit Blick auf Familie und Lebensformen birgt das Brüchigwerden der bürgerlichen Kleinfamilie das Risiko einer prekären Lebenslage, etwa mit Blick auf die hohen Armutsrisiken Alleinerziehender – hier wären Politiken der Ent-Prekarisierung erforderlich. Gleichzeitig beinhaltet es aber auch Chancen und Freiheiten, da, um nur ein Beispiel zu nennen, die heterosexuelle Norm der Kleinfamilie mitsamt der darin enthaltenen ökonomischen und anderen Abhängigkeiten der Fürsorge-Leistenden ebenfalls prekär wird. Hier stellen sich also die Fragen, wie einerseits einschränkende und ausschließende Normen prekarisiert und andererseits Verantwortungsgemeinschaften jenseits der Kleinfamilie stärker sozialpolitisch geschützt, also ent-prekarisiert werden können.
Wie wir an verschiedenen Stellen bereits angedeutet haben, schlagen wir also ein Verständnis von Prekarisierung vor, in dem Erkenntnisse aus der ungleichheitssoziologischen Strukturanalyse (etwa materielle Ungleichheiten) mit Erkenntnissen konvergiert werden, die mit der linguistischen/kulturellen Wende in Verbindung stehen (Subjektkritik, Normalisierungsregime, Doxa).
Gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch wäre damit der Rahmen gespannt, um umfassende Politiken der Ent_Prekarisierung aus diesen Erkenntnissen abzuleiten. Die zukünftige Geschlechter- und Prekarisierungsforschung ist also aufgerufen, das hier entstehende Spannungsfeld und die Ambivalenzen zwischen Prekarisierung und Entprekarisierung als Experimentierfeld für utopische Gesellschaftsentwürfe fruchtbar zu machen.
Literatur
Butler, Judith (2010): Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen, Frankfurt/M./New York: Campus.
Motakef, Mona (i.E.): Prekarisierung. Bielefeld: transcript.
Wimbauer, Christine (2012): Wenn Arbeit Liebe ersetzt. Doppelkarriere-Paare zwischen Anerkennung und Ungleichheit, Frankfurt/M./New York: Campus.
Interessant und irgendwie alles plausibel. Ein Blick in laufende Forschung und in einschlägige Diskussions-, Tagungs- und Publikationszusammenhänge, national wie international, hätte allerdings das Ende etwas weniger apodiktisch-programmatisch ausfallen lassen können? Anerkennung und Sichtbarmachung ist eine wichtige Strategie gegen Prekarisierungsdynamiken. Auch in der Wissenschaft.
HG
sehr nett danke ;)
Bedeutet „nett“ so etwas in der heutigen, universitären Soziologie wie „putziges Soziotainment“ oder eher nüchtern „der Netiquette entsprechend“??
@mobilya: Intertessanter Beitrag. Die Betten unter dem Link im Namen sind ganz nett.
Danke für diesen Abschluss :)
Vielen Dank für den Beitrag! Ich möchte hier einen Lesetipp und einen Kommentar loswerden:
1) Eine Studie zu Anti-Feminismus in den 1910er Jahren http://www.peterlang.com/index.cfm?event=cmp.ccc.seitenstruktur.detailseiten&seitentyp=produkt&pk=54158&cid=690
2) Warum verwendet Ihr den Begriff „Feminismus“ im Singular? Fällt man hier nicht ein bißchen in die Falle der Angreifer, die uns als monolithische, untereinander völlig einige Bewegung darstellen wollen? Mir wäre es lieb, wenn wir in diesen Debatte nicht vergessen würden, dass wir hier eine Vielfalt von Bewegungen sind und dass wir diese Vielfalt nicht vergessen, selbst wenn wir uns gegen die Wand gedrückt fühlen und uns verteidigen. Zum Begriff „Feminismen“ empfehle ich Karen Offen:
http://books.google.de/books?id=snlkEXmo_mYC&pg=PA403&lpg=PA403&dq=karen+offen+feminism&source=bl&ots=1a0FhTxy4O&sig=AF8M_iUM8ZrQ3p4JfiR9j-zFKUU&hl=de&sa=X&ei=CqMVVMSxD4rhywONvYI4&ved=0CEwQ6AEwBA#v=onepage&q=karen%20offen%20feminism&f=false
„Wir“, die feministische Soziologie!????
Das wird ja immer lustiger und unterhaltsamer!
Ist auch nicht schlecht als neues Paradigma, natürlich ZUSÄTZLICH zum Paradigma der Verwirrung, oder wie seht ihr das!??
wann passiert hier denn mal wieder was? in den letzten Monaten schon wenige einträge pro Monat (früher kamen die mindestens wöchentlich) und nun niemand neues?
in freudiger erwartung nach neuer lesekost.
trockener alkoholiker