Der 37. DGS-Kongress in Trier. Der 4. Tag

Während ich gestern die Hälfte des Tages mit der Präsentation unseres Forschungsprojektes beschäftigt war, konnte ich mich heute wieder mehr dem Vortragsgeschehen widmen. Ein Programmpunkt war die Mittagsvorlesung von Susanne Baer. Ich gebe zu, ich war beim Titel „Erschütternd. Zur Praxis des Verfassungsrechts“ auf eine nicht sonderlich spannende Vorlesung eingestellt, habe aber von einem Kommilitonen den Tipp bekommen, hineinzugehen, da er schon mal bei einem ihrer Vorträge war und es sich durchaus lohnen könnte. Er sollte Recht behalten. Die Vorlesung war nicht nur sehr gut strukturiert, frei vorgetragen und sprachlich toll formuliert, sondern auch inhaltlich sehr spannend. So schilderte Frau Baer das Verhältnis von Krisen und Routinen hinsichtlich der Rechtspraxis als ein dialektisches. Recht hat auf der einen Seite den normativen Anspruch, Krisen präventiv zu begegnen bzw. diesen entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite können jedoch auch Krisen herbeigeführt werden: durch Rechtsprechung wird mit alten Routinen gebrochen und die Entwicklung neuer Routinen verlangt. In dieser Hinsicht versuchte sie der Soziologie über den Zusammenhang der Rechtsprechung mit der Krise und gesellschaftlichen Routinen ein neues Forschungsfeld aufzuweisen.

Am Nachmittag besuchte ich die Ad-Hoc-Gruppe „Die Vermessung des Selbst – Zur Quantifizierung des Körpers“. Das relativ neue Forschungsfeld setzt sich mit dem sogenannten „Self-Tracking“ auseinander, der Messung und Auswertung von Daten wie z.B. Schlafrhythmus, Essverhalten oder Herzfrequenz mittels Computerprogrammen oder Gadgets. Der Körper wird zur Datenquelle und der Mensch zum Manager seines Selbst. Die bisherigen Forschungsergebnisse zu diesem Thema speisen sich vor allem aus qualitativen Interviews und es zeigt sich, dass die (ambitionierten) Self-Tracker dies vor allem für die eigene Motivation (gegen den inneren Schweinehund) und zur Verbesserung der eigenen Leistung tun. Vorher scheinbar routinierte Handlungen wie schlafen oder Treppen steigen gewinnen jedoch unter dem Licht der Aufzeichnung in quantifizierbare Daten eine völlig neue Bedeutung. Man hat nicht mehr nur „gut geschlafen“, sondern man kann auswerten, wie gut man geschlafen hat. Die Nutzer interpretieren und veranschaulichen ihre Daten, werden also zum (vermeintlichen?) Experten über den eigenen Körper und setzen somit neue Anreize, die Verhaltensänderungen zur Folge haben. Das Thema bietet viel Raum für kontroverse Diskussionen und wird wohl nicht nur in der Soziologie noch viel Beachtung finden.

Die letzten Tage, das klang in den vorangegangen Blogbeiträgen schon mit, lieferten sehr viel Input. Heute Abend war meine letzte Schicht als HiWine und ich muss sagen, ich empfand es als eine angenehme Abwechslung, mich hierbei „nur“ körperlich zu betätigen, d.h. Kisten tragen, Flaschen einsammeln, Gläser wegräumen und helfen, wo Hilfe benötigt wurde. Umso perplexer war ich, als heute, kurz nach Feierabend, Zygmunt Bauman neben mir stand und sein Begleiter mich fragte, ob ich nicht ein Taxi bestellen und ihnen den Haupteingang zeigen könne. Ein kurzes, aber nettes Gespräch später stiegen sie ins Taxi und fuhren zum Hotel. Bis Morgen, Herr Bauman, ich freue mich auf Ihren Vortrag!