Soziologie begegnet Informatik

In meinem letzten Eintrag habe ich anhand der französischen Studie von Rémy Rieffel zu neuen Formen von Sozialität im Web mit der Frage geendet, wie man die vorgefundene Sozialität im Web adäquat untersuchen kann. Ich habe selbst keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage parat. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich aber um die Schwierigkeit, mein soziologisches Forschungsinteresse mit den Möglichkeiten des Web zu vereinbaren. Ich befasse mich als Ungleichheitssoziologin, wie vielleicht einige von Ihnen wissen, seit geraumer Zeit mit bildlichen Repräsentationen der Sozialstruktur. So habe ich deutsche und US-amerikanische Sozialstrukturbilder vergleichend analysiert. Anfangs habe ich die Bilder „zufällig“ gefunden, was nicht gerade zufriedenstellend ist. Danach habe ich systematisch Schulbücher und Lehrbücher durchgeschaut, um auf diese Weise zu einem Sample zu gelangen, das methodisch besser zu verantworten ist. Aber dies bedeutete wiederum eine enorme Einschränkung, weil es sich um quasi „offizielle“ bildliche Repräsentationen handelt, womit beispielsweise kritische, humorvolle oder künstlerische selten erfasst werden.

Selbstverständlich habe ich mit meinen technischen Möglichkeiten im Netz gesucht und unzählige Bilder der Sozialstruktur gefunden: Aber was fand ich da? Wenn ich die üblichen Suchmaschinen nutzte, sah das Suchergebnis mal so und mal anders aus. Mit welchen Worten sollte ich suchen? Mir ist klar, dass dort die Bilder als erstes erscheinen, die mit anderen Web-Seiten verlinkt sind, die besonders oft aufgerufen und nach weiteren Algorithmen gefunden werden. Aber es müsste doch möglich sein, so sagte ich mir, die Bilder direkt zu suchen. Man könnte doch mit solchen bildlichen Repräsentationen starten, die die Gestalt und Form der Pyramide als Ausgangsfigur nehmen. Solche Abbildungen müssten sich doch gut finden lassen.

An der Leibniz Universität Hannover haben wir das Forschungszentrum L3S (https://www.l3s.de/), welches sich auf Web Science ausgerichtet hat und immer auf der Suche nach interessanten geistes- und sozialwissenschaftlichen Projekten ist. Wir – einschließlich Axel Philipps, der bei uns am Institut forscht und ebenfalls daran interessiert ist, das Web nach Bilder (konkret nach Fotographien von Street Art) zu durchforsten – machten also einen Termin, um uns mit den Kolleg_innen vom L3S zu treffen und unser Forschungsinteresse zu besprechen.

Da saßen wir – die Informatiker_innen und die Soziolog_innen – um einen Tisch herum. Die Soziolog_innen hatten Abbildungen der Sozialstrukturen mitgebracht, um zu verdeutlichen, dass man diese doch ganz leicht erkennen könnte, weshalb es doch ein Leichtes sein müsste, diese systematisch im Web zu finden, den Kontext, in dem sie verwendet werden, zu erschließen etc. Unsere Überlegungen gingen dahin, die Resultate in einer Art Online-Archiv zu sammeln.

Die Bedenken der Informatiker_innen gingen keineswegs in die Richtung, dass die Abbildungen doch reichlich unterschiedlich aussehen. Das Hauptproblem ist das automatische Auffinden solcher Abbildungen. Die technischen Möglichkeiten sind unzureichend, um „einfache“ Gestaltungen wie Sozialstrukturbilder passgenau zu finden. Die Informatiker_innen wiesen jedoch darauf hin, dass sich Bilder systematisch hingegen über Schlagworte suchen lassen. Wenn Bilder „richtig“ in Worten beschrieben würden, dann könne man sie über diese textliche Kennzeichnung wieder finden. So gäbe es Projekte im Web, in denen Menschen gegen einen kleinen Obolus den Bildern „korrekte“ Begriffe zuordnen würden. Wenn beispielsweise der Eifel-Turm zu sehen ist, dann wäre anzustreben, dass dies auch das erste Wort der textlichen Erläuterung sei und nicht Abendlicht oder Karussell, wobei Paris auch ok wäre. Es gäbe viele Netzbesucher_innen, denen es Spaß mache, solche textlichen Unterlegungen zu machen. „Spannend!“ Man könnte soziologisch beispielsweise untersuchen, welche „Bildinterpretationen“ sich in den Indexierungen dokumentieren und ob und wie sich diese unterscheiden. „Wo und bei welchen Hundebildern werden beispielsweise zunächst die Ruf- und Kosenamen der Tiere und danach die Rasse genannt wird, wo überhaupt keine Hundenamen auftauchen?“

Uns fiel ein Bündel soziologisch spannender Fragen ein. Mein ursprüngliches Interesse, Sozialstrukturbilder im Netz systematisch zu suchen, konnte letztendlich nicht realisiert werden. Durch die Konzentration auf ein bestimmtes Bildarchiv und die Nutzung von Schlagworten konnte aber Axels Wunsch erfüllt werden, anhand von digitalen Street-Art-Reproduktionen die Bedeutung des Webs für die Etablierung von Street-Art als Kunst zu untersuchen. Davon das nächste Mal.

7 Gedanken zu „Soziologie begegnet Informatik“

  1. Vielen herzlichen Dank für den Beitrag!

    Ich habe mich allerdings einem Punkt etwas gewundert:

    Sie schreiben:
    „So gäbe es Projekte im Web, in denen Menschen gegen einen kleinen Obolus den Bildern „korrekte“ Begriffe zuordnen würden. (…) Es gäbe viele Netzbesucher_innen, denen es Spaß mache, solche textlichen Unterlegungen zu machen. „Spannend!“

    Müsste aus ungleichheitssoziologischer Perspektive nicht gerade diese Form von digitaler Akkordarbeit in den Blick genommen werden, gerade auch (aber nicht nur) um Fragen zu beantworten, welche Inhalte/Visualisierungen von Sozialstrukturen in Suchmaschinen prominenter auftauchen und welche nicht?

    Interessant wäre dann auch, über welche praktischen Links (wortwörtlich und metaphorisch) bisher soziologisch unbemerkte Visualisierungen jenseits der Pyramide erschlossen werden können. Aus Ihrem Beitrag lese ich ein gut verständliches Unbehagen gegenüber Samples heraus, die sich Suchmaschinenalgorithmen verdanken. Jenseits der Schwierigkeit des Samplings von Bilddaten, wie würde für Sie allgemein ein gutes Sample digitaler Daten aussehen, das vielleicht sogar zur Generierung auf Suchmaschinen zurückgreift, aber deren Eigenlogik vermeidet/kontrolliert/ihm Rechnung trägt?

  2. Im letzten Beitrag haben Sie behauptet, es würde nicht weiterführen die neuen Formen von „Sozialität“ im Internet mit vorangegangenen Formen zu vergleichen. In diesen Beitrag machen Sie aber genau das, um andeuten zu können, worum es Ihnen geht. Dabei ist für mich recht deutlich geworden, dass das eigentliche Problem nichts mit dem Internet zu tun hat, denn die beschriebenen Schwierigkeiten ergeben sich nicht durch das Internet, sondern die Schwierigkeit ist die Bilderrecherche mit Hilfe einer Schlagwortsuche. Sie vergleichen zwar die Möglichkeiten des Internets mit den Möglichkeiten der klassischen Literaturrecherche, aber das Problem bleibt dasselbe. Das ist die Bilderkennung durch Wörter. Die Lösungen für dieses Problem fallen für die verschiedenen Verbreitungsmedien unterschiedlich aus. Hier hätte ein intensiverer Vergleich vielleicht noch einige interessante Einsichten gebracht.

    So stellt sich für mich die Frage, wie effektiv eine Bildersuche sein kann, wenn man dann eine ziemlich genaue Beschreibung des Bildes abgeben soll, dass man finden möchte. Sie sprechen im Text selbst von Wiederfinden. Es geht also um die Suche von etwas, was man bereits kennt. Selbst wenn man nur pyramidenförmige Darstellungen der Gesellschaft suchen würde, schließt man damit ja andere Darstellungsformen aus, speziell solche auf die man selbst nicht gekommen wäre. Aber geht es nicht eigentlich darum die Suche so offen wie möglich zu gestalten? Wenn man aber die gesuchten Bilder so präzise wie möglich beschreiben muss, um sie zu finden, schränkt man das Suchraster immer weiter ein und damit auch die möglichen Treffer. Der technische Vorteil wird zu einem forschungspraktischen Nachteil, denn die Suchergebnisse sind anscheinend stärker von den Erwartungen des Forschers vorbestimmt als bei Recherchemethoden in anderen Verbreitungsmedien, wie Büchern und Zeitungen.

    1. Nur sind Bücher und Zeitungen nun einmal aussterbende Medien, sodass sich jeder Sozialforschung Gedanken darum machen muss, wie er in den neuen und immer wichtiger werdenden Medien Daten erheben möchte.

  3. Ich stimme dir voll zu. Ich bin selbst Informatiker und war mehrere Jahre mit einer Soziologin liiert. Ich muss sagen, dass es mich sehr geärgert hat, dass es damals keine Kombination der beiden Studiengänge als Doppelbachelor gegeben hat und immer noch nicht gibt! Die übergreifenden Kompetenzen können wirklich hervorragend harmonieren.

  4. Vielen Dank für den interessanten Beitrag!

    Auch wenn die vorherigen Kommentare wichtige methodologische und inhatliche Probleme benennen, halte ich das Vorhaben einer Bildersuche auf der Grundlage von typischen Bildern von Sozialstrukturen für einen spannenden Versuch! Ein Ausgangspunkt könnten Techniken des „Content Based Image Retrieval“ sein, das nicht auf Schlagworten, sondern auf Merkmalen der Bilddaten basiert, die durch maschinelle „Bildverarbeitung“ ermittelt werden können. Ich würde argumentieren, dass bei der Untersuchung digitaler Medien und ihrer Nutzung Anteile des Sozialen und der Technik ohnehin nicht eindeutig auseinandergehalten werden können: Vermutlich wird sich die Technizität des Mediums in den Ergebnissen zeigen und insofern kann die Ausgangsfrage nur eingeschränkt beantwortet werden, aber es lässt sich gleichermaßen etwas über die Eigenheiten dieser Techniken selbst, die Logik von Suchmaschinen und Konventionen von Online-Bildnutzung lernen.

Kommentare sind geschlossen.