Alle mögen Seepferdchen. Zumindest Alle, die fürsorgliche Väter schätzen, die romantische Balztänze (Damenwahl oder nicht?) im Repertoire haben und ihre Farbe je nach Stimmung wechseln können (diese Auffassung ist hier z.B. nachzulesen). Was Seepferdchen in der Schwangerschaft erleben und tun, steht im Widerspruch zu zeitgenössischen Zeugungstheorien: die Männchen erledigen das, was allgemein als Weiblichkeitsmarker par excellence gilt: sie tragen die bis zu 200 heranwachsenden Jungseepferdchen im eigenen Leib und gebären sie, so liest man gerne, unter krampfartigen Schmerzen, gerne als Wehen bezeichnet.
Während der Schwangerschaft wird der väterliche (von der Logik und Nomenklatur der westeuropäischen Kernfamilie wird in der Berichterstattung eher nicht abgewichen) Unterleib gemäß zeitgenössischer Schwangerschaftsrhetoriken zum uterinen Versorgungsumfeld, das optimale Lebens- und Reifebedingungen möglich macht, nährstoffreich und kuschelig ist, und den Nachwuchs an das Immunsystem des Elterntieres interdependent ankoppelt (wie das genau funktioniert, wird z.B. hier erklärt).
Wenig überraschend haben die Seepferdchen (von denen es übrigens etwa 80 Arten gibt) mit ihrer empirisch unorthodoxen Art der Fortpflanzung einen gewissen ikonischen Status in queer/feministischen Kreisen gewonnen. Darüber hinaus jedoch bindet ihre Form der Fortpflanzung einige Individuen stellvertretend für andere in komplexe globale Fürsorgegefüge ein. Nachwuchs haben und dabei traditionelle Geschlechterpositionen irritieren (was nicht immer gut ankommt , so wurde z.B. der 1934 erschienene Film Cheval Marin von Jean Painlevé in den USA wegen Obszönität verboten), bleibt so oder so nicht alleine Sache der Seepferdchen.
Im Artenschutz und dem weiten, lokal wie global organisierten Feld der Biodiversität zählt Aufmerksamkeit. Immer dann, wenn Menschen nicht – menschliche Andere ansehen, sich Bilder von ihnen machen und Geschichten erzählen, kann eine gute Story überlebenswichtig werden. So geht es auch den Seepferdchen. Um Artenvielfalt und Naturschutz bemühte Organisationen haben die unterschiedlichsten Arten der Hippocampi in den letzten Jahren zu ikonischen und charismatischen Tieren gewählt und geformt, die stellvertretend für bedrohte Ökosysteme stehen. „Charismatische Tiere“ – das sind zum Beispiel der Panda des WWF, der Wal, den wir mit den Kampagnen von Greenpeace verbinden, oder auch Tiger und Elefanten. Große Säugetiere also, über deren Lebenszusammenhänge wir bereits viel wissen und denen von lokalen Initiativen und global operierenden Schutzprogrammen Aufmerksamkeit, achtsame Zuwendung und praktische, oft knochenharte Fürsorgetätigkeiten in Nachzuchtprogrammen zuteil werden. Die Intensität von Care, die Seepferdchen als Individuen und Spezies im Schwebezustand zwischen Aussterben und Überleben erfahren, ist ein Resultat ihrer äußeren Erscheinung ebenso wie ihrer wie auch ihrer rhetorischen Anschlussfähigkeit an aktuelle Entwürfe und Diskurse – „Neue Väter“ zum Beispiel.
Bei der Zoological Society London, deren Seepferdchenschutzprogramm ich eine Weile begleiten durfte, entschied man sich bewusst für diese Spezies als Zugpferdchen eines neu aufzulegenden marinen Konservierungsprogrammes, über die intensiv geforscht und gebloggt wird und um die herum eine ganze Welt an Aktivitäten und transnationalen Verbindungen entsteh. Die Arbeit der in solchen Programmen tätigen Menschen ist geprägt von übergroßer Sorge angesichts des sechsten großen Artensterbens der Erdgeschichte. Hinter den Kulissen des Londoner Aquariums kümmert man sich hingebungsvoll, oft in eisiger Kälte (denn nicht alle Seepferdchen kommen aus den Tropen), um den winzigen Nachwuchs (das Buch Flightways von Thom van Dooren sei Allen ans Herz gelegt, die mehr über die alltäglichen Praktiken von Care im Artenschutz erfahren wollen) .
Die Fürsorge der Tierpflegerinnen und Tierpfleger (vielleicht einer der wenigen Careberufe mit ausgeglichenem Geschlechterproporz) ist dabei zwar einerseits persönliche, intime, achtsame Zuwendung einzelnen Individuen gegenüber. So verfügt das Aquarium beispielsweise über ein eigenes geriatrisches Becken sowie Unterkünfte für zwei Seepferdchen mit Rückenverletzungen, die sich auf der Seite schwimmend fortbewegen und morgens stets als Erste besucht werden. In den oft bitterkalten Räumlichkeiten jenseits der Schauaquarien (denn nicht alle Seepferdchen sind Tropenfische) sind die Arbeitstage gefüllt mit dem Absaugen von Verunreinigungen und den Futterresten vom Vortag, dem Kontrollieren der Wasserwerte, und der Pflege der Nahrung – den brodelnden grünen Planktonbottichen; paarungsfreudige Fische müssen gefunden und in passende Becken gesetzt werden, der Nachwuchs abgefischt und in eigenen Zuchtbehältern mit speziell angereichertem Futter versorgt werden.
Gleichzeitig aber sind die Tiere, und das ist Allen dort Tätigen deutlich bewusst, gegenwärtige und zukünftige Akteure von Biodiversitätspolitiken, die darauf abzielen, dass those who care sich um die Zukunft des Planeten etwas weniger Sorgen machen müssen.
Die Einzigartigkeit der schwangeren Seepferdchenväter macht die gesamte Spezies zu einer, um die man sich gerne sorgt und kümmert, weil sie positive Affekte – und damit auch monetäre und politische Effekte – für den Artenschutz mobilisiert. Die Art, wie wir zeitgenössischen Menschen die Lebensformen dieser Tiere interpretieren, aneignen, und strategisch nutzen, ermöglicht Ihnen also im Gegensatz zu vielen ungeliebten Anderen, die weniger charismatisch sind, manchmal das Überleben.
Cui bono – wer profitiert von praktischer Fürsorge, Sichtbarkeit bedeutender Zugewandtheit und emphatischer Aufmerksamkeit in politischer, wirtschaftlicher Hinsicht – und dann, wenn es um das nackte Überleben geht? Diese Frage stellt sich aktuell im Forschungs- und Aktivitätsspektrum der transnational stark verknüpften Multispecies Studies, die aus den Animal Studies hervorgegangen sind, in zunehmenden Maße.
Am Beispiel des Seepferdchens zeigt sich, welch vielfältige Facetten Care im Feld der Biodiversität annehmen kann, wenn wir die dort stattfindenden komplexen menschlichen und nicht-menschlichen Fürsorgebeziehungen in den Blick nehmen.
Feministische Kritik und das Erforschen von Biodiversität und Artensterben beginnen gerade erst, zusammenzufinden. Wer mitdenken und mehr über Care aus der Perspektive der Multispecies Studies erfahren will, dem sei zu Beginn der Reise ein stärkender Aufenthalt im Multispecies Salon empfohlen, wo der Philosoph Thom van Dooren mehr verrät…
Dr. Susanne Schmitt ist Ethnologin und Geschäftsführerin des Forschungsverbundes ForGenderCare.
Sie ist zusammen mit Laurie Young Creative Director des von der Volkswagenstiftung geförderten Art-meets-Science Projektes „How to not be A Stuffed Animal. Moving Museums of Natural History through Multispecies Choreography“.
Klasse Beitrag zur Verknüpfung von Care-Theorien und Multispecies Studies!! Zu den üblen kolonialen Praktiken des WWF „im Zeichen des Pandas“ hier der Hinweis auf das „Schwarzbuch WWF“ von Wilfried Huismann: https://www.youtube.com/watch?v=G99TTShenys
Multispecies Studies? Animal Studies? Feministische Kritik am Artensterben?
Ist dieser Text wirklich ernst gemeint oder Satire? Das ist so verspinnert, dass es an die Weisheiten eines David Ortega aus dem aktuellen Dschungelcamp erinnert. Dinosaurier sind ausgestorben, weil die so viel Scheiß gebaut haben und alle Bäume sind durch ihre Wurzeln weltweit vernetzt. Davon ist das hier auch nicht mehr weit entfernt. Was hat das überhaupt mit Soziologie zu tun?
Aaaaaauuuuuuuuaaaaaaaaaaaahhhhhhhhh.