„Family Business“ – Ein Kommentar zum Dokumentarfilm von Christiane Büchner

Family als business? Family durch business? Family neben business? Ja, irgendwie alles. In dem ab 28. Januar in den Kinos laufenden Dokumentarfilm von Regisseurin Christiane Büchner geht es um eine polnische Pflegekraft, die zu Beginn zwei Monate, später einen Monat am Stück bei einer deutschen Rentnerin lebt um sie rund um die Uhr zu pflegen.

Der Film beginnt mit dem Bewerbungsgespräch der Polin Jowita, die bei einer Agentur vorspricht. Sie beschreibt sich als ein Mensch, der gut mit Menschen klar kommt, ein gutes Herz hat und öfter mal weint. Jowitas Mann ist arbeitslos und werkelt an dem unfertigen Haus seiner dreiköpfigen Familie. Vier Köpfe, wenn man den Hund mitzählt, der, gemessen an seiner Größe, wahrscheinlich genauso viel isst wie jedes andere Familienmitglied. Der Agentur passt Jowitas Profil und so nimmt sie an einem Lehrgang teil, den sie mit einem Zertifikat als Pflegeassistentin absolviert. So weit so gut.

Der Film erzählt auch von Anne und ihren beiden Töchtern. Anne ist am Beginn des Filmes 88 Jahre alt und wohnt allein in einem Haus in Bochum. In einem Schnipsel auf der Homepage des Films sehen wir, wie Anne von ihrer Tochter einem Test unterzogen wird: Sie soll sagen was für ein Tag heute ist. Sie nennt den richtigen Tag, aber dennoch haben die beiden Töchter das Gefühl, dass Anne etwas verwirrt ist. Deshalb suchen sie eine Unterstützung für ihre Mutter – eine Pflegekraft, die Tag und Nacht mit Anne im Haus wohnt.

So haben wir auf deutscher Seite zwei Töchter mit eigener Familie, die keine Zeit haben, sich um ihre Mutter so ausgiebig zu kümmern, wie sie es für nötig halten. Ein Pflegeheim ist für sie aber keine Lösung, denn Anne soll ihre gewohnten vier Wände nicht verlassen müssen. Auf polnischer Seite haben wir Jowita mit ihrer Familie, die dringend auf Geld angewiesen ist. Schweren Herzens lässt Jowita ihren Mann und die dreizehnjährige Tochter zwei Monate lang in Polen zurück. Schon bald vermisst sie sie, kann lediglich via Skype mit ihrer Familie kommunizieren. Man sieht Jowita weinen. Nach ihrer ersten Rückkehr nach Polen ist sie erschrocken, wie sehr die Tochter gewachsen ist. Der Job in Deutschland ist Jowita eine Last, sie möchte gern mitbekommen, wenn ihre Tochter wieder dummes Zeug macht – sie will dabei sein. Daran entzündet sich ein Konflikt mit einer anderen polnischen Pflegerin, mit der sich Jowita bei der Pflege von Anne abwechselt. Während Jowita family und (family) business monatlich abwechseln möchte, besteht die andere Pflegerin darauf, zwei Monate zu arbeiten und nur einen Monat in Polen zu verbringen. Das ist eine knallharte Konkurrenz, denn nun sehen sich Annes Töchter vor eine Entscheidung gestellt. Auch in Bochum spielt Geld eine Rolle, denn die Fahrten der Pflegerinnen wollen bezahlt werden, und je öfter getauscht wird, desto mehr Fahrten zwischen Polen und Deutschland werden unternommen und berechnet. Ohne zu viel zu erzählen, aber Geld geht vor. Business as usual.

Das klingt alles sehr bedrückend, doch fand Jowita auf Nachfrage immerhin auch den einen oder anderen Aspekt an der Konstellation, der ihr Freude bereitete: In Deutschland hatte sie Zeit Bücher zu lesen – Zeit, die sie in Polen nicht findet, denn dort ist ihre eigene family the whole business.

Tobias Büchner, Produzent des Films, und Prof. Dr. Maria S. Rerrich erzählten am 20. Januar 2015 in München nach der Film-Preview ein wenig aus der Entstehung des Films und Erkenntnissen aus der Forschung. Im Gegensatz zu Jowita, die über die Agentur in Polen sozialversicherungspflichtig angestellt ist, ist dies für sehr viele Pflegerinnen und Pfleger (von denen es nicht allzu viele gibt) nicht der Fall. So verdienen die meisten von ihnen zwischen 800 und 1600 Euro, in Jowitas Fall netto, Kost und Logis inbegriffen. Aus dem Nähkästchen plauderte Büchner auch: Jowita fand den Wunschrhythmus für ihre Arbeit noch, und zwar in der Schweiz – eventuell könnte sich der Weggang aus Bochum also auch finanziell für sie gelohnt haben.

Spannend an dem Film sind die Interaktionen zwischen Anne und Jowita, die kleinen und größeren Konflikte bei der Bewältigung der Arbeit, die Erfahrungen, die Jowita macht. Mit einer gewissen Ironie sehen wir, wie die zweite Pflegerin gemeinsam mit Anne kochen möchte, obwohl ihr Jowita davon abgeraten hatte.

Was sagt uns diese Dokumentation nun über die aktuelle sozialpolitische Lage in Deutschland aus? Werden solche Konstellationen im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb der EU dauerhaft bestehen bleiben? Ist das ein politisch langfristig gewolltes Modell von häuslicher Altenpflege? Und welche Konsequenzen gehen mit dem care drain einher für die Heimatgemeinden der Pflegemigrantinnen? Das ist kein Phänomen, das sich auf Europa beschränkt (siehe zum Beispiel hier). Doch wie könnte man erwarten, dass das Problem global angegangen wird, wenn nicht mal die EU dies hinbekommt? Soll es auch immer weiter bei der aktuellen Gender-Konstellation von Frauen im Zusammenhang mit Care bleiben, in der v.a. Frauen mit Frauen kooperieren, und wenn es sein muss, über nationale Grenzen hinweg? Durch die aktuelle Flüchtlingssituation stellt sich womöglich für Deutschland demnächst die Frage, ob zusätzlich zu osteuropäischen Frauen wie Jowita auch Frauen aus Syrien oder Afghanistan als billige (Schwarz-)Arbeitskräfte unterhalb des Mindestlohnes in den privaten Haushalten arbeiten werden. Im Moment scheint nur eines klar zu sein: Der dringende Bedarf an häuslicher Pflege ist bereits vorhanden, und er wird steigen.

 

Maik Krüger dankt Maria Rerrich für hilfreiche Kommentare. Er ist Soziologe an der LMU München und im Forschungsverbund ForGenderCare arbeitet er zu den Vorstellungen junger Erwachsener (in Bayern) zur Gestaltung von Fürsorge. Maik Krüger ist langjähriges Redaktionsmitglied im Soziologiemagazin.

Autor: ForGenderCare

Der Forschungsverbund ForGenderCare untersucht den Zusammenhang von Gender (Geschlecht) und Care (Fürsorge) theoretisch wie empirisch vor einem interdisziplinären Horizont. Dem bayerischen Forschungsverbund ForGenderCare gehören 12 Projekte an unterschiedlichen Forschungsstandorten in ganz Bayern an. Die Sprecherinnen des Verbunds ForGenderCare sind Prof. Dr. Barbara Thiessen (HAW Landshut) und Prof. Dr. Paula-Irene Villa (LMU München). Die LMU München ist Sprecheruniversität des Verbundes, die Geschäftsstelle ist dem Lehrstuhl Prof. Villa an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der LMU zugeordnet. Der Verbund wird gefördert durch das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und gehört dem der Bayerischen Forschungsallianz BayFor an.

Ein Gedanke zu „„Family Business“ – Ein Kommentar zum Dokumentarfilm von Christiane Büchner“

  1. Ein absolut interessanter Film – er zeigt aber auch wie man mit etwas Köpfchen etwas bewegen kann.

    Oftmals werden Angehörige gepflegt die nicht alleine stehen – und wenn es auch der/dem Pflegebedürftigem nicht einfach fällt so kann der eigene Familien- und Verwandtenkreis mithelfen.

    z.B. ein einfaches Telefonat in die Heimat – via Videochat sogar noch intimer – bleiben die Hilfskräfte in Kontakt. Um nur mal ein Beispiel zu nennen :)

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