Kapital und Arbeit im akademischen Shareholder-Kapitalismus (Teil 1)

Fatale Allianzen auf dem deutschen Sonderweg zur wissenschaftlichen Exzellenz

Ein Gastbeitrag in zwei Teilen von Richard Münch, Bamberg

 

Bund und Länder werden also die Exzellenzinitiative zur Förderung der Spitzenforschung an den deutschen Universitäten fortsetzen. Die meist gebrauchte Formel der Lobpreisung dieses Programms ist die Erhöhung der internationalen Sichtbarkeit der Forschung in Deutschland. Wer etwas von dem Geldfluss von jährlich 533 Millionen Euro abbekommt, kann sich freuen und in den Lobgesang der Forschungspolitik einstimmen. Es scheint ja auf der Hand zu liegen, dass 533 Millionen Euro mehr auch um genau diesen Betrag mehr neue Erkenntnisse pro Jahr hervorbringen werden.

Wer will sich ob dieser Großzügigkeit der Politik beklagen? So einfach ist es allerdings nicht. Die Exzellenzinitiative ist nämlich Teil einer globalen Entwicklung, die man als Transformation des Wissenschafts- und Hochschulsystems in einen akademischen Shareholder-Kapitalismus deuten kann. Am weitesten ist diese Entwicklung in den USA vorangeschritten. Deutschland hinkt dieser Entwicklung etwa 20 Jahre hinterher. Da die USA eine hegemoniale Stellung im globalen Feld der Wissenschaft einnehmen, sehen sich alle anderen Regionen und Länder der Welt gezwungen, ihre eigenen Systemstrukturen an das hegemoniale Modell anzugleichen, ohne dass dadurch eine Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit und Stellung im globalen Feld garantiert ist. Es ist auch leicht möglich, dass nicht die Vorteile des globalen Modells mit den Vorteilen der eigenen Strukturen verbunden werden, sondern Nachteile des neuen mit den Nachteilen des alten eine fatale Allianz eingehen.

In Deutschland zeigen sich deutliche Merkmale einer solchen fatalen Allianz. Die exorbitant gewachsene Stratifikation des amerikanischen Hochschulsystems mit der Errichtung eines Oligopols der privaten Elite-Universitäten, einem sich verschärfenden Gegensatz von akademischem Kapital und akademischer Arbeit und einer wachsende Entmachtung der Fakultäten mit ihren genuin wissenschaftlichen Kriterien guter Arbeit durch ein übermächtig gewordenes Hochschulmanagement, das die eigenen, genuin ‚managerial‘ bestimmten Karrierechancen über die akademische Freiheit der Wissenschaftler*innen stellt, verbindet sich mit der feudalen Tradition der deutschen Lehrstuhlstrukturen. Zugleich erodieren die Vorteile eines Hochschulsystems, das bewusst auf die Bildung einer sich fortlaufend selbst reproduzierenden, von der breiten Masse abgesetzten Elite verzichtet, horizontal breit ausdifferenziert ist und durch den föderalen Pluralismus ausgeprägt multipolar ohne Zentrum/Peripherie-Differenzierung strukturiert ist.

In diesem Beitrag wird diese Tendenz zu einer fatalen Allianz neuer und alter Strukturen näher beleuchtet, indem die Entwicklung in den USA in den letzten 20 Jahren als Modell dient und reflektiert wird, was für Deutschland im Fahrwasser der Exzellenzinitiative zu erwarten ist. Dabei erweist sich das Milliardenspiel der Champions League im europäischen Fußball als hilfreiches Modell für die Analyse der globalen Champions League der Wissenschaft, die vom Shanghai-Ranking und dem Times-Higher-Education-Ranking in die Welt gesetzt wurde. Drei fatale Entwicklungstendenzen werden in den Vordergrund gestellt, um dann zwei Faktoren zu benennen, die erklären, warum diese Entwicklung trotz ihrer unübersehbaren negativen Konsequenzen für Wissenschaft und Gesellschaft unbeirrt vorangetrieben wird:

Drei Entwicklungstrends:

  1. ‚Brain gain‘ für wenige auf Kosten des ‚brain drains‘ für viele,
  2. Ein sich verschärfender Gegensatz von Kapital und Arbeit im akademischen Betrieb und das Entstehen eines neuen akademischen Proletariats,
  3. Die Verdrängung der freien Forschung und der akademischen Persönlichkeitsbildung durch strategische Forschungsallianzen und Humankapital-Produktion.

Zwei Erklärungen für diese Trends:

  1. Die Narrative der Knappheit öffentlicher Finanzen und der erhöhten Ansprüche an ‚accountability‘,
  2. Forschungs- und Hochschulpolitik im Zirkel politischer Selbstreferenz.
  1. Drei Entwicklungstrends

1.1 ‚Brain gain‘ für wenige, ‚brain drain‘ für viele. Wer hat den Nutzen davon?

Geld an sich bringt ja noch keine neuen Erkenntnisse hervor. Es kann ja einfach nur mehr vom Gleichen produziert werden. Dann sind die jährlich 533 Millionen Euro der Exzellenzinitiative für die Katz. Dass das nicht geschieht, soll genau dadurch erreicht werden, dass das frische Geld nicht nach dem ‚Gießkannen-Prinzip‘ verteilt wird, sondern nur an wenige Standorte fließt, wo schon genug Forschungspotenz vorhanden ist, die dann mit der Exzellenz-Förderung materiell und symbolisch aufgeladen wird. Es sollen nur die ‚Besten‘ gefördert werden, auf dass sie noch besser werden, vor allem aber besser gesehen werden. Das ist dasselbe wie bei der Fußball-Champions-League. Die besten Teams haben inzwischen durch Fernseh-, Sponsoren-, Investoren- und Eintrittsgelder und entsprechende millionenschwere Aufrüstung ihres Personals, einen so großen Abstand zum restlichen Fußballvolk geschaffen, dass der Wettbewerb de facto auf die letzten drei Spiele, Halbfinale und Finale, in den Monaten April und Mai beschränkt ist. Da nur einer gewinnen kann, war die Aufrüstung für die anderen am Ende nutzlos, siehe FC Bayern München in den letzten drei Jahren mit Pep Guardiola. Die Monate davor wird das sündhaft teure Personal nur zu Showzwecken benötigt, wenn sich die Spitzenteams auf Werbetour durch die Provinz befinden, ohne ernsthaft gefordert zu werden.

So wie sich der FC Barcelona einen Messi, einen Neymar und einen Suarez, Real Madrid einen Ronaldo, einen Bale und einen Benzema und Bayern München einen Lewandowski, einen Müller, einen Ribéry (+ Costa) und einen Robben (+ Coman) mit Ablösesummen bis zu 100 Millionen Euro und Gehältern bis zu 25 Millionen Euro pro Jahr im Sturm leisten können, so können auch Harvard & Co. jede/n Spitzenwissenschaftler*in einkaufen und damit sicherstellen, dass sie bei der Vergabe der Nobelpreise erfolgreicher als alle anderen Universitäten abschneiden. In diesem sehr einseitigen Sinn schießt Geld dann doch Tore, nämlich nur für diejenigen, die genug davon haben. Dabei wäre es eigentlich völlig gleichgültig, wo in der Welt neue Erkenntnisse entstehen, solange wissenschaftliches Wissen noch als Kollektivgut gilt, was allerdings im akademischen Kapitalismus zunehmend gefährdet ist (Slaughter und Rhoades 2004; Münch 2014). Der akademische Kapitalismus erzeugt einen ‚brain gain‘ an wenigen Standorten und an vielen anderen Standorten einen ‚brain drain‘, ein Phänomen, das den Gewinn der Wenigen mit einem Verlust der Vielen erkauft und im Allgemeinen als unerwünscht gilt. Dem Überfluss der Wenigen steht eine intellektuelle Ödnis der restlichen Welt gegenüber. Es ist erstaunlich, wie wenig Sensibilität dafür im gegenwärtigen Hype der ‚Exzellenz-Förderung‘ aufgebracht wird.

Es geht bei diesem Spiel primär darum, welche Universitäten über das notwendige Kapital verfügen, um so viel materielle und symbolische Macht aufzubauen, dass sie immer die ‚besten‘ Wissenschaftler*innen an sich ziehen können und damit bei den vom Shanghai-Ranking akribisch gezählten Publikationen in ‚High-Impact-Journals‘ immer an der Spitze stehen. Dabei zeigen sich deutlich die Züge eines akademischen Shareholder-Kapitalismus, für den symbolische Gewinne zur bestmöglichen Positionierung in Ratings und Rankings wichtiger sind als reale Fortschritte der Erkenntnis und der Persönlichkeitsbildung der Studierenden (Brown 2015a). Der Schein ist wichtiger als das Sein. Es kommt auf die richtige Fassade des Qualitätsmanagements an, um in diesem Spiel bestehen zu können. Die Finanzabteilungen der Universitäten werden ausgebaut, nehmen das Heft in die Hand und unterwerfen alle akademischen Tätigkeiten einer an der Steigerung des Shareholder-Value im Sinne der Ranking-Position der Universität orientierten strikten Kontrolle (Engelen et al. 2014). Im akademischen Shareholder-Kapitalismus werden Wissenschaftler*innen, Manager*innen, Studierende und Geldgeber*innen zu Investor*innen, die insbesondere darauf setzen, dass der symbolische Wert ihrer Investitionen gesteigert wird, indem die Universität, das Department, das Forschungszentrum oder der Studiengang, in die sie investieren, symbolische Gewinne im Sinne der positiven Nennung in den Medien, der Bewertung durch Evaluator*innen, durch Ratings und Rankings und durch andere Investor*innen erzielen. Was sich hinter den symbolischen Gewinnen verbirgt und mit welchen Methoden sie erreicht werden, ist sekundär im Verhältnis zur primären virtuellen Realität der Symbolik. Dementsprechend sind alle Aktivitäten des Hochschulmanagements auf den Fassadenbau ausgerichtet, der für eine erfolgreiche Selbstdarstellung in der von den Medien beherrschten Öffentlichkeit notwendig ist, heutzutage natürlich einschließlich der Sammlung von ‚Likes‘ in den sozialen Medien (vgl. Goffman 1959/1971).

1.2 Das neue akademische Proletariat

Wer dieses Spiel gut findet, argumentiert, dass die Konzentration so vieler Milliarden – bei Harvard sind es über 30 Milliarden US-Dollar Vermögen – auf wenige, dadurch herausgehobene Standorte ‚funktional notwendig‘ ist, um überhaupt neue Erkenntnisse hervorbringen zu können. Das ist dasselbe, wie wenn man behaupten würde, dass es tatsächlich besser für den Fußball weltweit ist, wenn Weltklassespieler die meiste Zeit gar nicht spielen, sondern in Barcelona, Madrid oder München auf der Reservebank sitzen. Mit Sicherheit würde der Fußball davon profitieren, wenn diese Weltklassespieler anderswo auf dem Feld stehen und das Spiel bereichern würden. Dasselbe gilt für die Verteilung von Spitzenwissenschaftler*innen auf Universitäten. Das ist so, weil es auch in der Wissenschaft eine optimale Größe gibt, jenseits derer jeder weitere investierte Euro dem Gesetz des sinkenden Grenznutzens unterworfen ist. Die Götzes auf der Reservebank des FC Bayern München sind in der Wissenschaft die zahllosen sogenannten ‚Nachwuchskräfte‘, die im Monopoly-Spiel um größtmögliche Sichtbarkeit auf Projektstellen ohne echte Karrierechancen in entfremdeter Arbeit ausgebeutet werden. Man könnte durchaus sagen: „Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von den Produzenten unabhängige Macht gegenüber“ (Marx 1968: 511). Diane Reay, Professorin für Bildungssoziologie an der Universität Cambridge, hat dieses Los der Projektmitarbeiter*innen im akademischen Kapitalismus prägnant auf den Punkt gebracht:

„There is now an even wider gulf between academic labour and academic capital. Subordinate workers, overwhelmingly women, service those who generate academic capital, overwhelmingly men. The appropriation of one’s intellectual labour remains a constant hazard for research staff, becoming a normative, routine practice within the academy. Junior research staff are vital to the professional status and career advancement of grant holders (academics on stable contracts). There is a clear process of intellectual extraction in which the labours of research staff both in the field and outside of it are converted into both academic and symbolic capital, which accrue to the project directors rather than the researcher.“ (Reay 2014)

Unter den ausgebeuteten Projektmitarbeiter*innen des akademischen Shareholder-Kapitalismus sind viele ‚Juwelen‘, die ihre Kreativität gar nicht zum Wohle der Wissenschaft entfalten können, weil sie erstens viel zu lange mit vielen anderen Projektmitarbeiter*innen in die wissenschaftliche Massenproduktion ohne eigenen Gestaltungsfreiraum eingezwängt sind und zweitens in vorauseilendem Gehorsam Aufsatz für Aufsatz nach demselben standardisierten Strickmuster produzieren müssen, um im ‚Peer review‘ der High Impact Journals ja nicht anzuecken. Unter dem Kontrollregime neoliberaler Gouvernementalität (Foucault 2006) werden sie frühzeitig und dauerhaft zu einem Habitus der subalternen Konformität erzogen. Dem in ihnen steckenden Potenzial für Kreativität wird von vornherein der Garaus gemacht. In diesem Wettbewerb wird Konformität im höchsten Maße prämiert und so dem Erkenntnisfortschritt systematisch das Wasser abgegraben. Die Imboden-Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative hat das sogar erkannt, hat sich aber offensichtlich nicht dazu durchringen können, daraus auch den Schluss zu ziehen, dass die Exzellenzinitiative kein Programm zur Förderung der Innovationskraft der Wissenschaft und des wissenschaftlichen Fortschritts ist, sondern ein Programm zur Errichtung von wettbewerbsverzerrenden Oligopolstrukturen, das nur dem Oligopol nutzt, aber nicht der Wissenschaft, denn der Fortschritt der Erkenntnis steht und fällt mit den eigenständigen Entfaltungsmöglichkeiten jeder neuen akademischen Generation.

1.3 Forschung und Lehre unter dem Regime von strategischen Allianzen und Humankapital-Produktion

Wie der Kapitalismus den Fußball als Sport erledigt und durch ein Milliarden-Spiel ersetzt hat, so ist auch der freie Wettbewerb um Erkenntnisfortschritt unter Bedingungen der Chancengleichheit einer idealen Sprechsituation in der Wissenschaft ein Opfer des Milliarden-Spiels des akademischen Shareholder-Kapitalismus geworden. Forschung wird zu einer Sache strategischer Allianzen einschließlich wachsender Beteiligung industrieller Großinvestor*innen, Bildung eine Sache der Humankapital-Produktion. Unter den Erfolgsbedingungen dieses Spiels muss der kritische Geist aus den akademischen Hallen vertrieben werden, um dem kalten Geschäft der akademischen und symbolischen Profitmaximierung Platz zu machen. Dazu gehört auch der massive Ausbau eines administrativen Marketing- und Kontrollapparats zur Selbstdarstellung und Positionierung nach außen und zur Kontrolle durch ein minutiöses ‚Qualitätsmanagement‘ nach innen. Der Ausbau dieses Apparates erfolgt auf Kosten einer angemessenen Grundausstattung der Universitäten mit wissenschaftlichem Personal für Forschung und Lehre (vgl. Tuchman 2009; Ginsberg 2011). Das geschieht scheinbar zum Besten der Forschung und der Studierenden, untergräbt jedoch systematisch die Bedingungen freier Forschung und akademischer Persönlichkeitsbildung. Forschung dient dann allein der Generierung symbolischer Profite, Lehre der Produktion von ökonomisch verwertbarem Humankapital, in das Studierende zwecks Erzielung größtmöglicher Renditen investieren. Ein Ausflug in die freie Betätigung des kritischen Geistes kann da nur schaden. Das geschieht, wenn Forschung und Lehre nicht mehr als Herstellung eines öffentlichen Gutes verstanden werden, sondern nach dem neoliberalem Credo der Public Choice Theorie als Privatgut, in das private Akteure, einschließlich der Studierenden, investieren, um größtmögliche Renditen zu erzielen (vgl. Brown 2015a, 2015b: 175-200). Passend dazu transformiert die ökonomische Agency-Theorie die akademische Gemeinschaft von Lehrenden, Forschenden und Lernenden, die gemeinsam an der Wissensentwicklung und der Persönlichkeitsbildung arbeiten, in eine lose Ansammlung von Verträgen zwischen einzelnen Individuen, die jeweils ihren eigenen Profit maximieren. Das ist Performativität der ökonomischen Theorie mit dem Effekt der unschöpferischen Zerstörung der akademischen Lebenswelt mit ihren eigenen, der Wissensproduktion und Persönlichkeitsbildung dienenden Regeln (MacKenzie et al. 2007).

Von der Wissenschaftsforschung wissen wir jedoch längst, dass Innovationen in der Wissenschaft insbesondere von kleinen Forschungsteams zwischen zwei und sechs Personen mit einer guten Grundfinanzierung ohne ständige Beschäftigung mit der Einwerbung von Drittmitteln und von vielen unabhängig an vielen Standorten forschenden jungen Wissenschaftler*innen zu erwarten sind (Heinze et al. 2009). Die bessere Grundausstattung der Universitäten würde auch dafür sorgen, dass endlich den Studierenden diejenige Betreuung gewährt werden kann, die eine Gesellschaft benötigt, die auf die Kreativität jeder neuen Generation in ihrer ganzen Breite angewiesen ist. Was mit dem Ausbau der Drittmittel an den Universitäten bei gleichzeitiger Stagnation der Grundmittel und wachsender Zahl der Studierenden geschehen ist, muss nämlich als ein Skandal ersten Ranges bezeichnet werden. Hier ist noch zu berücksichtigen, dass 40% der öffentlichen Forschungsgelder an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen fließen, ohne dass davon ein Cent der universitären Lehre zur Verfügung steht, die auf lange Sicht die Produktivität der reinen Forschungstätigkeit weit übersteigt. Die Exzellenzgelder setzen nun der Trennung von Forschung und Lehre zwischen diesen Forschungseinrichtungen und den Universitäten noch die Trennung von Forschung und Lehre innerhalb der Universitäten obendrauf. Wir leben längst in einem Zustand, in dem die Forschung weit überfinanziert ist und nur noch mehr vom Gleichen oder Spezialitäten hervorbringt, für die sich außer den Spezialist*innen niemand interessiert und die auch in der Lehre völlig unbrauchbar sind. Dagegen ist die Lehre in skandalösem Ausmaß weit unterfinanziert. Das ausschließlich in der Forschung beschäftigte Personal fehlt den Universitäten in der Lehre, die in immer größerem Umfang von Teilzeitkräften und Lehrbeauftragten unterhalb des Mindestlohns bestritten wird.

Der akademische Shareholder-Kapitalismus hat inzwischen massenhaft ein akademisches Lehrproletariat geschaffen, das im Schatten des wissenschaftlichen Starkults mehr schlecht als recht den Studienbetrieb aufrechterhält. In den USA und in Großbritannien ist das inzwischen zu einem viel beklagten Problem geworden. Das Hochschulmanagement kalkuliert dort eiskalt, dass sich mit wenigen hoch bezahlten Stars am meisten Prestige gewinnen lässt, während man die Lehre billigeren Teilzeitkräften überlassen kann, am besten sogar einfach auf Abruf auf der Basis von ‚Zero-Hours Contracts‘.

Zusammen mit der Modularisierung und Standardisierung der Bachelorstudiengänge ist das Universitätsstudium zu einer Massenveranstaltung verkommen, die keinen akademischen Ansprüchen mehr genügt. Auch hier werden die heranwachsenden Generationen einem akademischen Monopoly-Spiel geopfert, von dem am Ende nur die Reichsten der Reichen profitieren. Konsequenterweise wird dieses Monopoly-Spiel nach der Forschung auch die Lehre erfassen. Dann werden die jetzt unter dem Deckmantel der Forschungsförderung etablierten acht bis elf ‚Exzellenzuniversitäten‘ auch die Türen ihrer Hörsäle und Seminarräume nur denjenigen Bewerber*innen öffnen, die mit genügend ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital ausgestattet sind. ‚Exzellenzuniversitäten‘ ohne exzellente Studierende sind ein Widerspruch in sich selbst, der zur Auflösung strebt. Michael Hartmann (2006, 2010) hat das klar und deutlich aufgezeigt. Das heißt aber, dass diese Universitäten zu den zentralen Institutionen der Produktion und Reproduktion einer von der Gesellschaft abgehobenen Elite werden. Dass das nicht im Interesse einer offenen und demokratischen Gesellschaft ist, können wir schon lange in Frankreich, Großbritannien und den USA beobachten. In allen drei Ländern ist die Herrschaft von Eliten, die maßgeblich von einem unter den Bedingungen des akademischen Shareholder-Kapitalismus noch mehr als zuvor stratifizierten Hochschulsystem produziert und reproduziert werden, längst als ein Problem erkannt worden. Der Reichtum von Harvard & Co. ist nur die andere Seite der Armut in den innerstädtischen Ghettos der USA. Beide gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille (vgl. Karabel 2005; Goffman 2014).

Wir springen mit der Exzellenzinitiative jetzt in Deutschland auf einen Zug auf, der uns genau dieselben hoch problematischen Verhältnisse beschert. Die Ungleichheit verschärfenden, Kreativität, Diversität und Offenheit einschränkenden Effekte des akademischen Shareholder-Kapitalismus sind in den USA und in Großbritannien längst Gegenstand harscher Kritik. In den USA klagen die staatlichen Universitäten bis hin zu einer so renommierten Universität wie die University of California in Berkeley heftig darüber, dass ihnen die reichen Privatuniversitäten einen Aufrüstungskampf bei gleichzeitigem Abbau staatlicher Finanzierung aufherrschen, der sie in wachsende Abhängigkeit von privaten Sponsoren treibt, wenn sie dem finanziellen Ruin und dem Versinken in der Bedeutungslosigkeit entgehen wollen. Beim ersten Ranking von US News and World Report im Jahre 1987 befanden sich neben 15 privaten noch fünf staatliche Universitäten unter den ersten 20, davon am besten platziert die UC Berkeley auf Rang 5. Im Jahr 2010 war keine staatliche Universität mehr unter den ersten 20, die UC Berkeley war auf Rang 21 abgerutscht. Deshalb streben die staatlichen Universitäten verstärkt nach steigenden Einnahmen von privater Seite, um die Defizite aufgrund stagnierender oder sogar schrumpfender staatlicher Finanzierung auszugleichen (Archibald und Feldman 2011: 237).

Die UC Berkeley war Ende der 1990er Jahre in der Tat Schauplatz von heftigen Debatten über einen Deal über 25 Millionen US-Dollar mit dem Pharma-Konzern Novartis (Washburn 2005), der knapp zehn Jahre später von einem 500 Millionen Deal mit BP weit übertrumpft wurde. Wendy Brown (2009), die Politische Theorie – eine im akademischen Shareholder-Kapitalismus vom Aussterben bedrohte Spezies – an der UC Berkeley lehrt, hat dieses Dilemma in einer Rede gegen die wachsende Privatisierung ihrer Universität prägnant in zehn Punkten zusammengefasst: Sie beklagt 1. den wegen steigender Studiengebühren sich verengenden Zugang zu ihrer Universität für breite Schichten der Gesellschaft, 2. die zunehmende Ungleichheit zwischen Universitäten, Disziplinen und Wissenschaftler*innen, 3. die Aussortierung von allem, was sich nicht unternehmerisch verwerten lässt, 4. die Verdrängung der freien Grundlagenforschung durch die ökonomisch verwertbare angewandte Forschung, 5. die Unterwerfung der Forschung unter industrielle Interessen, 6. die Einschränkung der akademischen Freiheit im Interesse der Gewinnung von privaten Sponsoren, 7. die wachsende Ausbeutung akademischer Arbeit im Interesse der Kapitalakkumulation, 8. die Orientierung der Forschung an privaten Interessen statt kollektiv geteilten Werten, 9. die Ersetzung geteilter Governance durch die Macht des Universitätsmanagements und 10. die Verdrängung der Persönlichkeitsbildung durch „efficient instructional delivery systems“ zur Generierung von Humankapital.

Deutschland gibt mit der Exzellenzinitiative einen in der breiteren Gewährleistung von hoher akademischer Qualität als öffentlichem Gut und in dem Verzicht auf gezielte Elitenbildung liegenden institutionellen Vorteil auf, dem es seine einzigartige intellektuelle, wissenschaftliche, technologische und wirtschaftliche Innovationskraft verdankt. Ein weiterer institutioneller Vorteil Deutschlands ist der föderale Pluralismus, der einer eintönigen Stratifikation in Elite und Masse, Zentrum und Peripherie weichen muss.

 

Die Fortsetzung folgt an gleicher Stelle am 31. Mai.

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Richard Münch ist emeritierter Professor für Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Seniorprofessor für Gesellschaftstheorie und komparative Makrosoziologie an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen

Arbeitsschwerpunkte: Gesellschaftstheorie, Komparative Makrosoziologie, Prozesse des gesellschaftlichen Wandels.

 

Literatur (Teil 1)

Archibald, Robert B. und David H. Feldman. 2011. Why Does College Cost So Much? New York: Oxford University Press.

Brown, Wendy. 2009. „Save the University.“ https://www.youtube.com/watch?v=aR4xYBGdQgw.

Brown, Wendy. 2015a. „The End of the Corporate University: What We Are Now.“ https://www.youtube.com/watch?v=Z5EWYohECRQ.

Brown, Wendy. 2015b. Undoing the Demos. Neoliberalism’s Stealth Revolution. Cambridge, MA: The MIT Press.

Engelen, Ewald, Rodrigo Fernandez und Reijer Hendrikse. 2014. „How Finance Penetrates its Other: A Cautionary Tale of the Financialization of a Dutch University.“ Antipode. A Radical Journal of Geography 46 (4): 1072-1091.

Foucault, Michel. 2006. Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Ginsberg, Benjamin. 2011. The Fall of the Faculty: The Rise of the All-Administrative University. New York: Oxford University Press.

Goffman, Alice. 2014. On the Run. Fugitive Live in an American City. Chicago: The University of Chicago Press.

Goffman, Erving. 1959/1961. The Presentation of Self in Everyday Life. Harmondsworth: Penguin Books.

Hartmann, Michael. 2006. „Die Exzellenzinitiative – ein Paradigmenwechsel in der deutschen Hochschulpolitik.“ Leviathan 34 (4): 447-465.

Hartmann, Michael. 2010. „Die Exzellenzinitiative und ihre Folgen.“ Leviathan 38 (4): 369-387.

Heinze, Thomas, Philip Shapira, Juan D. Rogers und Jacqueline M. Senker. 2009. Organizational and Institutional Influences on Creativity in Scientific Research.“ Research Policy 38(4): 610-623.

Karabel, Jerome. 2005. The Chosen. The Hidden History of Admission and Exclusion at Harvard, Yale and Princeton. Boston: Houghton Mifflin.

MacKenzie, Donald, Fabian Muniesa und Lucia Siu (Hg.). 2007. Do Economists Make Markets? On the Performativity of Economics. Princeton: Princeton University Press.

Marx, Karl. 1968. „Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844.“ In: Marx-Engels-Werke, Ergänzungsband, Teil I. Berlin: Dietz, S. 465-588.

Münch, Richard. 2014. Academic Capitalism. Universities in the Global Struggle for Excellence. London: Routledge.

Reay, Diane. 2014. „From Academic Freedom to Academic Capitalism.“ Discover Society. Measured – Factual – Critical. February 15, 2014. http://www.discoversociety.org.

Slaughter, Sheila und Gary Roahdes. 2004. Academic Capitalism and the New Economy. Markets, State, and Higher Education. Baltimore und London. The Johns Hopkins University Press.

Tuchman, Gaye. 2009. Wannabe U. Inside the Corporate University. Chicago und London: The University of Chicago Press.

Washburn, Jennifer. 2005. University, Inc.: The Corporate Corruption of American Higher Education. New York: Basic Books.

 

Autor: Initiative "Für Gute Arbeit in der Wissenschaft"

Im Sommer 2014 haben sich Soziologinnen und Soziologen zusammengefunden, um sich für “Gute Arbeit in der Wissenschaft” zu engagieren. Es entstand ein Offener Brief an die DGS, in dem die Fachgesellschaft aufgefordert wurde, sich mit den Beschäftigungsbedingungen im eigenen Fach auseinander- und für gewisse Mindeststandards guter Arbeit einzusetzen sowie diese in ihren Ethikkodex aufzunehmen. Ein weiteres zentrales Anliegen der Initiative ist es, die Mitbestimmung des Mittelbaus in den Gremien der DGS zu stärken. Die Anliegen der Initiative werden derzeit in der DGS verhandelt, im Rahmen des nächsten DGS-Kongresses organisiert die Initiative die erste Mittelbauversammlung der DGS. Website der Initiative

6 Gedanken zu „Kapital und Arbeit im akademischen Shareholder-Kapitalismus (Teil 1)“

  1. UPDATE:

    Die Verlängerung der Exzellenzinitiative ist nun fast in Sack und Tüten, nur unter neuem Namen als „Exzellenzstrategie“ (http://www.jmwiarda.de/2016/05/25/die-exzellenzinititative-hei%C3%9Ft-jetzt-exzellenzstrategie-und-was-die-gwk-vergangenen-freitag-im-detail-noch-so-beschlossen-hat/).
    Die aus wissenschafts- wie beschäftigungspolitischer Sicht wahnsinnigen Probleme dieses Umverteilungsprogramms hat eine Initiative von einhundert Wissenschaftler*innen, unter ihnen auch Richard Münch, in einer Erklärung (https://exzellenzkritik.wordpress.com/) scharf angegriffen.
    Die dazugehörige Petition, die schon weit über 2000 Unterstützer*innen gefunden hat, kann man weiterhion unterzeichnen (https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-gute-forschung-und-lehre-argumente-gegen-die-exzellenzinitiative).

  2. Lieber Richard Münch, brillant, insbesondere das Phänomen des „Habitus subalterner Konformität“ durch das „Kontrollregime neoliberaler Gouvernementalität“, dieser Habitus hat sich rasant verbreitet, selbst in der Soziologie, was nun???

    1. Ja, was nun? Um der Tendenz zur Erzeugung eines Habitus der „subalternen Konformität“ entgegenzuwirken, wäre es erforderlich, möglichst vielen jungen Wissenschaftler*innen möglichst frühzeitig die Unabhängigkeit einer Tenure-Track-Juniorprofessur zu gewähren und auf der Linie der weltweit anerkannten San Francisco Declaration on Research Assessment bei der Entscheidung über Tenure auf jedwede Metrik zu verzichten. Die Verbindung des alten Lehrstuhlsystems mit dem neuen Ausbau der Drittmittelforschung – was die Exzellenzinitiative nochmals forciert – und der neuen Metrifizierung der Leistungsbewertung in der Wissenschaft ist genau das Gegenteil dieser Grundbedingung der Förderung eines Habitus der Unabhängigkeit im Denken und der Kreativität. Sie ist der Tod der Kreativität und genau das, was ich als fatale Allianz von eingelebten Traditionen und moderner „Reformpolitik“ bezeichne. Paul Feyerabends 1975 veröffentlichtes Plädoyer „Against Method“ ist im aktuellen Zeitalter des Panoptikums von New Public Management dringender als je zuvor.

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