Kanada stelle sich gern tolerant, multikulturell differenzversiert, freundlich dar. Aber, diese Selbstdarstellung sei nicht ganz akkurat. Mit dieser Feststellung stieg die Präsidentin der Canadian Sociological Association, Myrna Dawson, in ihre Einführungsrede ein. Auch Leid, Gewalt, Entrechtung gehörten zu Canada. Sichtbar darum bemüht, sich nicht allzu selbstgerecht als den guten gutmütigen Nachbarn der bösen kleingeistigen USA zu stilisieren, aber auch anknüpfend an eine schon seit Jahren etablierte Tradition, rang die Eröffnungsveranstaltung des ISA Kongresses um symbolische Sichtbarkeiten und Anerkennung. So begann der Abend mit einem „WELCOME TO TURTLE ISLAND„, dargebracht von The Red Urban Project, Montreal First Nations dancers aus Québec and Ontario, die (so das Programmbuch) viele „Indigenous Nations“ across Turtle Island – known today as North America – repräsentieren. Wir hören: Folklore. Wir sehen: Federschmuck, bunte Gewänder, bemalte Gesichter. Tausende Kolleg_innen halten ihre Smartphones in die Höhe und fotografieren das bunte, sehr ernsthaft dargebrachte Treiben auf der Bühne, manche lächeln sichtlich gerührt. Völkerschau.
Am folgenden Tag beginnen, wie bei derartigen Veranstaltungen hierzulande inzwischen oft, einige Panels mit der Anerkennung dessen, dass wir in Toronto, also Ontario, also Canada tagen, d.h. einem Land, das von europäischen Siedlern kolonial besetzt und gewaltsam angeeignet wurde.
Kanada hat eine leidvolle Geschichte der Entrechtung, Ausbeutung und biopolitischen Verwundung derjenigen, die heute ‚First Nations‚ genannt werden. So wurden z.B. massenweise und systematisch Kinder der ‚Indigenous People‘ staatlicherseits aus den Familien geholt und in Internate zwangsbeschult – wo ihnen, so ließe sich das eindeutschen, kanadische Leitkultur eingebläut wurde. Die Selbstmord- und Alkoholismusraten sind in den ‚Reservaten‘ deutlich höher, die Gesundheit der ‚Indigenous People‘ ist signifikant schlechter als die anderer Kanadier_innen. Mit dieser Geschichte und Gegenwart setzt sich Kanada politisch und auch soziologisch intensiv auseinander. Das führt nicht zwangsläufig, aber empirisch dann doch zu wohlmeinenden Darbietungen von Anerkennungschoreographien. Die, wie ich fand, schwer erträglich sind. Denn sie inszenieren eine exotisierte Ver-Anderung, die das Gegenteil von Anerkennung sein kann. Doch zugleich, so haben wir uns in zahlreichen Gesprächen mit Kolleg_innen gefragt, wie sonst? Schweigen? Einhegen in ein, zwei spezifische Panels?
Gut gemeint ist womöglich schlecht gemacht, aber besser geht es womöglich auch nicht. Die unauflösliche Ambivalenz der Anerkennungs-Schau müssen wir aushalten. Aus ihr kann man ne Menge Soziologisches und Ethisches lernen.