Care-Arbeiten, insbesondere solange sie unbezahlt im Haushalt stattfinden, kommen in den ökonomischen Mainstream-Theorien nicht vor. Sie werden als selbstverständliche Vorbedingung für die eigentliche wirtschaftliche Tätigkeit auf dem Markt ausgeblendet. „Die Versorgung der Menschen mit dem zum (guten) Leben Notwendigem muss jedoch zentraler Gegenstand der Ökonomie sein“, so feministische Ökonominnen wie z.B. Ulrike Knobloch (2019: 18). Ohne eine absolut „grundlegenden Paradigmenwechsel lässt sich „weder die Care-Krise noch die Klima-Krise lösen“, so auch Uta Meier-Gräwe (2020: 28). Der notwendige Paradigmenwechsel ist allerdings ein großer Schritt und ein langer Weg.
Ein Aspekt der Forderungen auf diesem Weg betrifft die Bezahlung der professionellen Care-Arbeit, um die es im Folgenden gehen soll. Care-Arbeit wird dafür eher breit definiert als „unverzichtbare Tätigkeiten wie Fürsorge, Erziehung, Pflege und Unterstützung, bezahlt und unbezahlt, in Einrichtungen und in privaten Lebenszusammenhängen, bezogen auf Gesundheit, Erziehung, Betreuung u.v.m. – kurz: die Sorge für andere, für das Gemeinwohl und als Basis die Sorge für sich selbst, Tag für Tag und in den Wechselfällen des Lebens“ (Care Manifest 2020). Ich möchte hier explizit zur Sorge auch die Versorgung dazurechnen, also z.B. Putzen und Kochen.
Care- oder Sorgearbeit kann unentgeltlich „aus Liebe“ (Bock/Duden 1976) z.B. im Haushalt verrichtet werden, sie kann vom Staat bereitgestellt werden (z.B. in Kitas, Schulen, Altenpflegeeinrichtungen), von freigemeinnützigen Trägern (z.B. Arbeiterwohlfahrt, Kirchen, Non-Profit-Organisationen, etc.) erbracht oder privatwirtschaftlich über den Markt angeboten werden. Viele Studien beklagen, nicht nur für Deutschland, einen Rückzug des Staates aus den Care-Bereichen und die Ökonomisierung von Care- und Sorgearbeiten, die zu schlechteren Arbeits- und Versorgebedingungen führen. Die Folgen der Privatisierung sind in aller Regel geringere Löhne, denn die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes beinhalten so gut wie immer bessere Bedingungen für die Beschäftigten. Hinzu kommt eine Rationalisierung, das bedeutet zumeist Arbeitsverdichtung und Personaleinsparungen (siehe z. B. Gather u.a. 2005 für die Gebäudereinigung, Kumbruck/Rumpf/Senghaas-Knobloch 2010 und Auth 2013 für die Pflege). Zudem verweigern sich kommerzielle Anbieter in der Altenpflege nicht selten Tarifverträgen und betreiben Lohndumping (ver.di 2020). Die Ökonomisierung der Sorge erschwert die Sorgebedingungen für Gebende wie Empfangende (Hartmann 2020). Anna Hartmann nennt das das ungelöste Problem der Sorge.
Die Entlohnung von Care-Arbeiten variiert je nach Branche und dem ausgeübten Beruf, der Art der Tätigkeit sowie dem Arbeitgeber (z.B. öffentlicher Dienst vs. Privatwirtschaft). Über Löhne oder Arbeitsentgelte entscheiden in aller Regel die Tarifvertragsparteien. Die Tarifautonomie ist in Deutschland grundgesetzlich verankert (Artikel 9 GG). Wenn man sich mit der Entlohnung beschäftigt, gilt es deswegen sich zunächst mit der kollektiven und damit zumeist gewerkschaftlichen Interessenvertretung zu befassen. So kann z.B. die bessere Entlohnung von Männern auch mit ihrer längeren Tradition der gewerkschaftlichen Organisation und dem höheren gewerkschaftlichen Organisationsgrad erklärt werden (Berninger/Schröder 2017: 178). Daten des SOEP zeigen den Zusammenhang zwischen der geschlechtsspezifischen Lohnlücke und dem gewerkschaftliche Organisationsgrad: Steigt der gewerkschaftliche Organisationsgrad um 10%, gibt es um knapp 0,7% höhere Löhne. In Frauenberufen ist eine Zunahme des Organisationsgrades um 10% sogar mit einer Lohnsteigerung von 2,4% verbunden (Berninger/Schröder 2017: 186). Wären Frauen zu 40% gewerkschaftlich organisiert (eine allerdings derzeit eher utopische Annahme), würde die geschlechtsspezifische Lohnlücke verschwinden. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad stellt vor allem wegen der Finanzkraft und der Repräsentanz in den Betrieben einen wichtigen Indikator für die Macht einer Gewerkschaft dar.
Der Organisationsgrad bei den Gewerkschaften sowie in Berufsverbänden (die sich auch als Berufsgewerkschaften verstehen können) ist ein gut gehütetes Geheimnis und wird nicht veröffentlicht (es gibt lediglich Schätzungen). „Im Gegensatz zur exportorientierten Industrie und einigen Kernbereichen des öffentlichen Sektors ist der Großteil des Dienstleistungssektor, in dem Frauen ganz überwiegend arbeiten, gewerkschaftlich schwach oder gar nicht organisiert“ (Hassel/Schröder 2018). Für die Pflege wird der verbandliche oder gewerkschaftliche Organisationsgrad der Beschäftigten grob auf nur rund zehn 10% geschätzt. Allerdings könnten die letzten Streiks die Mitgliedschaft auch in diesem Beruf etwas erhöht haben.
Der geringe Organisationsgrad von Frauen hat vielfältige Gründe, etwa die mangelnde Überzeugung der Wirkungsmacht, mangelnde Informiertheit, die Tradition Gewerkschaften als Männerdomänen zu betrachten oder die geringe Bereitschaft weiblicher Beschäftigter im Care-Bereich von ihrem ohnehin geringen Lohn 1% abzuzweigen. Frauen arbeiten zudem oft in Teilzeit und in kleineren Betrieben, in denen es keinen Betriebsrat gibt. Anstatt sich gegen schlechte Bedingungen zu wehren, reduzieren sie ihre Arbeitszeit oder verlassen den Arbeitsplatz. Hinzu kommt, dass sie vielfach wenig zusätzliche Zeit haben, die sie einsetzen können und wollen. Die Krankenpflege hat eine Tradition, die einen Zusammenschluss zur Vertretung der eigenen Interessen erschwert. Viele Pflegende wollen in erster Linie Menschen helfen. Dazu passt es nicht als Mitglied in einem Berufsverband oder in einer Gewerkschaft für die eigenen Bedürfnisse einzustehen, so Johanna Knüppel vom BDfK (dem mit rund 20.000 Mitgliedern größten deutschen Berufsverband für Pflegeberufe).
Die Arbeitsbedingungen und Löhne im Care-Bereich und in den sogenannten „systemrelevanten“ Berufen sind recht unterschiedlich. Diese Unterschiede sind interessant, das möchte ich kurz darstellen.
Um einen Vergleich zwischen verschiedenen Berufen zu ermöglichen, werden im Folgenden nur Vollzeit beschäftigte Fachkräfte (Leistungsgruppe 3, in aller Regel mit dreijähriger Berufsausbildung und Berufserfahrung) in ausgewählten Berufen gezeigt und zwar: Verkäufer*innen, Reinigungskräfte, Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen und Abfallentsorger*innen.
Laut dem Statistischen Bundesamt liegen Verkäufer*innen im Lebensmitteleinzelhandel (mit durchschnittlich monatlich EUR 2.186 brutto) am unteren Ende der Einkommen, gefolgt von den Gebäudereiniger*innen (brutto im Durchschnitt EUR 2.756). Etwas höhere durchschnittliche Monatseinkommen weisen die Fachkräfte in den Altenheimen mit EUR 3.116 auf, ähnlich wie Facharbeiter*innen in der Abfallentsorgung (EUR 3.180). Das Monatseinkommen in den Krankenhäusern ist mit EUR 3.505 am höchsten, es liegt allerdings immer noch deutlich unter dem Durchschnittsmonatseinkommen aller Arbeitnehmer*innen in Deutschland, das EUR 3.994 (Destatis 2020) beträgt. Diese Lücke verkleinert sich erfreulicherweise durch den neuen Tarifvertrag vom Oktober 2020 für den öffentlichen Dienst. Für die Pflege im Krankenhaus (nur im öffentlichen Dienst) steigen die Löhne überproportional, hier beträgt die Tarifsteigerung 8,7% und für Intensivpflege sogar 10%. Auch Wechselschicht und Samstagsarbeit werden nun materiell anerkannt (ver.di publik 2020). Damit sind allerdings noch lange nicht alle Forderung von Pflegekräften erfüllt, die in einer Petition an Jens Spahn neben anderen Forderungen ein Einstiegsgehalt von EUR 4.000 für Pflegefachpersonen fordern.
Wir sehen hier insgesamt eine Lohnspreizung bei den Care Berufen. Verkäuferinnen im Einzelhandel und Reinigungskräfte in der Gebäudereinigung (nennen kann man hier auch weitere Berufe wie Frisör*innen, Köch*innen, Kellner*innen, etc.) stehen am unteren Ende der Einkommensskala. Diese erheblichen Unterschiede sind meines Erachtens eine Herausforderung für die Diskussionen um Care und das betrifft auch die Frage, wie breit und weit die Definition von Care gefasst ist und sein soll(te).
Die Einkommen in der Altenpflege kann man noch weiter differenzieren. Altenpflege im Krankenhaus ist mit EUR 2.880 Bruttoentgelt deutlich besser entlohnt als in einem Pflegeheim (2.308 Euro) oder in einem ambulanten Dienst (1.991 Euro, Evans/Ludwig 2019: 7). In allen diesen Pflegebereichen (Kranken- wie Altenpflege) herrscht ein extremer Personalmangel, d.h. die Einkommensunterschiede können nicht auf das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, wie das ja gerne in der Ökonomie getan wird, zurückgeführt werden. Was sind also die Gründe dafür? Die problematischen Arbeitsbedingungen in der Pflege im Krankenhaus waren in den letzten Jahren oft in der öffentlichen Diskussion. Es gab Streiks und viele Stimmen, die sich für eine bessere Bezahlung eingesetzt haben. Unterdessen gibt es für die Pflege mit dem Berufsverband DBfK, dem Bochumer Bund, den Pflegekammern in einigen Bundesländern und dem Deutschen Pflegerat auch viel Lobbyarbeit und Vertretung der Interessen. Zudem wurde 2018 gemeinsam von Gesundheits-, Arbeits- und Familienministerium die „Konzertierte Aktion Pflege“ ins Leben gerufen (und vom BMG das Pflege-Netzwerk Deutschland). Für die Pflege gibt es neben dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn Branchenmindestlöhne für Fach- wie für Hilfskräfte (dies betrifft die Kranken- wie die Altenpflege). Diese werden durch eine “Pflegekommission”, bestehend aus Vertreter*innen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, verhandelt. Dies zieht allerdings nur eine Untergrenze ein, unter die die Löhne nicht fallen dürfen.
Wenn wir über die Bezahlung sprechen sind auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zu vernachlässigen (z.B. die Abrechnung nach Minuten in der Altenpflege mit den Pflegekassen), die für alle Anbieter gelten und damit den Leistungs- und Kostenrahmen vorgeben. Auch diese strukturellen Rahmenbedingungen gilt es grundlegend zu hinterfragen und so zu verändern, dass gute Bedingungen für die zu Pflegenden wie für die dort Arbeitenden ermöglicht werden.
In den Krankenhäusern wird nach Fallpauschalen, die einen Kostenrahmen setzen, abgerechnet. Hier wurden die Pflegepersonalkosten der Krankenhäuser seit 2020 aus den Fallpauschalen ausgegliedert. Mit der Veränderung dieser strukturellen Rahmenbedingung wurde der Weg für eine Anhebung der Bezahlung und Aufstockung von Pflegepersonal in Krankenhäusern frei.
Im Gegensatz zur Krankenpflege werden die Interessen der Altenpflege (wie auch der anderen Berufe) insgesamt weniger artikuliert. In der Altenpflege gilt es, die Verdienstverhältnisse denen der Pflegekräfte im Krankenhaus anzupassen. Das bedeutet für die Altenpflege auch über Veränderungen der bereits angesprochenen politisch gesetzten strukturellen Rahmen nachzudenken. Für die Altenpflege hieße dies: weg mit der Minutenpflege. Hierfür gilt es auch die Refinanzierungsvoraussetzungen zu schaffen. Natürlich ist dies auch eine verteilungspolitische Frage. Erweiterte Leistungen in der Pflege könnten über die Sozialversicherungen, Steuern oder Staatsausgaben finanziert werden.
Man kann häufig feststellen, dass in Einrichtungen mit Tarifbindung das Einkommen höher ist und die Arbeitnehmer*innen öfter Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld erhalten (siehe dazu den WSI Lohnspiegel 2020, z.B. in Bezug auf die Erzieher*innen). Zudem ist in Deutschland der Anteil der tarifgebundenen Arbeitgeber*innen, die in Gewerkschaften und Verbänden organisiert sind, in vielen dieser Branchen gering. Damit fehlen wesentliche Voraussetzungen für erfolgreiche Tarifverhandlungen und auch für Flächentarife. Für alle Verbesserungen ist es daher erforderlich, dass sich deutlich mehr Beschäftigte aus dem Care-Bereich zusammenschließen, gewerkschaftlich organisieren und auch Institutionen schaffen, die ihre Interessen vertreten (siehe das Beispiel der Pflege). Solange dies nicht der Fall ist, ist die Politik gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen und Mindeststandards zu setzen. Der Staat als regulative Instanz verfügt hierzu über einige Instrumente, wie das Entsendegesetz, den Mindestlohn, das Leiharbeitsnehmer- und Werkvertragsgesetz und die Erklärung der Allgemeingültigkeit eines Tarifvertrages Hassel/Schröder 2018).
Der Gesetzgeber ist zudem entweder aufgefordert die Privatisierung des Care-Sektors zu stoppen bzw. in Teilen rückgängig zu machen oder die Privatwirtschaft stärker zu regulieren. Statt der Erwirtschaftung von Renditen, sollten die Einrichtungen dem Gemeinwohl verpflichtet sein. Das Beispiel Österreich zeigt, dass es möglich ist, dies auch politisch umzusetzen: So sind dort in mehreren Bundesländern Altenpflegeheime verpflichtend gemeinnützig zu führen.
Der Markt (mit seiner unsichtbaren Hand) tut nichts zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, im Gegenteil, die Vermarktlichung des Pflegebereichs verschlechtert eher die Bedingungen für die dort Arbeitenden. Für die Krankenpflege gibt es, wie oben kurz dargestellt, ein massives und breites Unterstützungssytem, viel öffentliche Diskussion und eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, das fehlt noch weitgehend für die Altenpflege und weitere Care-Berufe. Die Verhandlungsmacht der Care-Berufe muss gestärkt werden. Bessere Bedingungen lassen sich durch eine starke Interessenvertretung, massive öffentliche Diskussionen, berufspolitische Zusammenschlüsse, sowie gesetzgeberische Regulierungen erreichen. Das ist ein großer Kraftakt, der noch lange nicht für alle Care-Berufe gleichermaßen zu sehen ist.
Es gilt zudem insgesamt einen Paradigmenwechsel einzuleiten: Wirtschaft muss von den Bedürfnissen der Menschen und von Care aus neu gedacht werden. Die Versorgung der Menschen mit dem zum guten Leben Notwendigem muss zum zentralen Gegenstand der Ökonomie werden. Dabei sind Anerkennung und eine angemessene Bezahlung (und auch gute Arbeitsbedingungen, die hier gar nicht angesprochen wurden) für alle der dort Arbeitenden ein absolut notwendiger Schritt.
3 Gedanken zu „Der Markt wird’s nicht richten – Löhne in der Care Ökonomie“
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