Die Corona-Pandemie und der Wert der Arbeit

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben in der Arbeitswelt sehr unterschiedliche Folgen. Während manche Berufe als „systemrelevant“ diskutiert und hervorgehoben wurden, gerieten andere völlig aus dem Blick. Manche Berufe waren und sind unter hohen Druck geraten, andere wurden zwangsentschleunigt oder ihnen die Verlagerung in das Home Office verordnet. Die aktuellen Entwicklungen haben dabei auch alte Debatten um die Bewertung von Arbeit und die ungleiche Betroffenheiten von Krisen neu entfacht. Wenngleich abschließende Betrachtungen bislang noch nicht stattfinden können, gibt es bereits eine Reihe interessanter Überlegungen und Forschungsergebnisse, die die Veränderungen in der Arbeitswelt und ihr weiteres Entwicklungspotential begleiten.

Als zu Beginn der Pandemie die Menschen während des Lockdowns die Beschäftigten in den Krankenhäusern vom Balkon beklatschten, während andere ihren Job nicht ausüben konnten oder verloren, wurde schnell klar, dass sich auch für die Arbeitswelt schwerwiegende Änderungen abzeichnen würden. Während Berufe im Einzelhandel und Gesundheitsbereich plötzlich als „systemrelevant“ sichtbar wurden, haben sich andere Berufe in das verordnete Home Office zurückgezogen. Damit rückte nicht nur die ungleiche Verteilung von Arbeit und die unterschiedliche Betroffenheit innerhalb der Arbeitswelt in den Fokus aktueller Debatten, sondern auch die Fragen danach, welche Folgen die Pandemie und die in ihr sichtbar gewordenen Strukturen für den Wert der Arbeit haben. Dieser stand in der Vergangenheit immer wieder zur Disposition, Dominique Méda sprach bereits in den 1990er Jahren als die Debatte um das Ende der Arbeit angeführt von Jeremy Rifkin (1995) und André Gorz (1999) einen Höhepunkt erreichte – von Arbeit als einem „valeur en voie de disparation“ (1995), also einem Wert, der auszusterben drohe. Zwar wurde in der aktuellen Situation anfangs kurz die Grundsatzfrage nach der Rolle von Arbeit in der Gesellschaft und für den Menschen adressiert aber eine grundsätzlichere Debatte, z.B. über eine Arbeitszeitverkürzung und ein Grundeinkommen für alle wie sie Steffen Lange und Tilman Santarius im Gastbeitrag „Weniger Arbeit, weniger Konsum“ in der “Zeit” ansprechen, wurde bisher nicht geführt. Was auch daran liegen mag, dass viele Aspekte und Entwicklungslinien erst empirisch untersucht werden wollen, bevor daraus Schlüsse für gesellschaftliche Konsequenzen gezogen und Thesen zur weiteren Entwicklung aufgestellt werden. Die öffentliche Debatte um den Wert der Arbeit, drehte sich dabei einerseits Fragen nach dem „Wert an sich“, also wie bewertet die Gesellschaft unterschiedliche Arbeits- und Berufsfelder im Hinblick auf ihren gesellschaftlichen Nutzen. Andererseits wurden Fragen nach dem „Wert für sich“ laut, also den Wert, den die Individuen ihrer (oder allgemeiner) Arbeit beimessen.

Beide Fragen sind eingebettet in unterschiedliche Diskurse, die wir im Folgenden unter den Themenfeldern der Neubewertung von Arbeit, den ungleichen Betroffenheiten und den Ausverhandlungen im verordneten Home Office.

Da die Corona-Pandemie noch nicht vollständig überwunden ist, finden sich in dieser Debatte selbstverständlich noch keine abschließenden Betrachtungen. Die aktuellen Forschungen sind zudem Beobachtungen einer anhaltenden krisenhaften Pandemie, deren unmittelbaren Auswirkungen man sich als Soziolog*in selbst nicht entziehen kann und konnte. Wir haben es mit einer kollektiven Erfahrung zu tun, deren wissenschaftliche Aufarbeitung bislang nur in eben jener Ausnahmesituation stattfinden konnte.

Neubewertung von Arbeit

Als im ersten Lockdown im März 2020 nur noch „systemrelevante“ Organisationen arbeiten durften und z.B. nur noch für Eltern, die in diesen arbeiteten die Kinderbetreuung sichergestellt wurde, spitzte sich die Diskussion um die anfangs noch unbestrittene Auswahl an „systemrelevanten“ Berufsgruppen zu. Dabei bedarf die Bezeichnung „systemrelevant“ ihrerseits einer ausführlichen Diskussion, die zeitbedingt ausblieb und deren Fehlen sich symptomatisch an den Listen mit „systemrelevanten“ Berufen in für die Inanspruchnahme der Notbetreuung in Schulen verschickt wurden. Enthielt eine erste Liste einfach alle Tätigkeiten, die im Staatdienst verrichtet werden, von der Polizei bis zur Verwaltung sowie dem Lebensmitteleinzelhandel, wurde die Liste bald erweitert um z.B. die IT-Fachkräfte oder Fachkräfte in der Kinderbetreuung, andere dafür gestrichen (Lehrer*innen). Die Frage, die sich stellte war nun jene, welchen Beitrag Berufsgruppen/Organisationen zur Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur (Gesundheit, Versorgung, Verkehr) leisten? Und leisten sie damit auch einen höheren Beitrag zur Gesellschaft? Berthold Vogel adressiert diese Fragen aktuell in einem Blogbeitrag des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt.

Der Fokus richtete sich (zumindest kurzfristig) auf jene Tätigkeiten, die bezahlt oder unbezahlt, für eine Gesellschaft wesentlich sind: Care- oder Sorgearbeit im weiteren Sinn, die für die Aufrechterhaltung des Alltagslebens unmittelbar notwendig sind. Daran anschließend fordern die Kolleg*innen des Initiativkreises care-macht-mehr.com eine grundsätzlichere Debatte über die Bewertung und Gestaltung von Care- und Sorgearbeit. Eine weitergehende soziologische Debatte zu Fragen der “Systemrelevanz”, also der theoretischen Auseinandersetzung was darunter zu verstehen sei, um welche(s) System(e) es dabei gehen kann und was das für die gesellschaftliche Arbeitsteilung zu bedeuten vermag, steht derzeit noch aus. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, wie die offen gelegten Diskrepanzen zwischen gesellschaftlichem Nutzen und Bezahlung der Arbeit zu bewerten seien. Zu Beginn der Pandemie herrschte die Annahme vor, dass in Berufen, die sich als besonders relevant erwiesen, im Gesundheitssystem, im Einzelhandel (hier vor allem die Supermärkte), in der Kinderbetreuung Verbesserungen hinsichtlich der Gehälter oder der Arbeitszeiten zu erreichen seien. Der Zugewinn an öffentlicher Anerkennung wurde als Anzeichen dafür gewertet.

Doch weder Politik noch Öffentlichkeit verfolgten dies bisher nachhaltig. Der Gesundheitsminister speiste Teile der Gruppen mit einmaligen Prämien ab – die Medien straften den Arbeitskampf der Erzieher*innen im Herbst 2020 als „Unverschämtheit“ ab. Den Beschäftigten der Supermärkte wurden mit etwas Glück einmalige Prämien ihrer Arbeitgeber ausgezahlt, die 2020 Rekordumsätze verzeichnen konnten. Selbst die offensichtlich zu Tage getretenen Konsequenzen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die von wissenschaftlicher Seite seit langem kritisiert und belegt werden und nun mit hohen Folgekosten verbunden sind, brachte bisher keine Veränderungen (Beiträge in Manzei/Schmiede 2014; Dickhaus/Dietz 2004).

Ungleiche Betroffenheiten

Die öffentliche Debatte um die offensichtliche „Systemrelevanz“ einzelner Berufe und die sich wiederholenden Abhandlungen zum Home Office verdeckten überwiegend die dahinterliegenden Strukturen einer weit reichenden sozialen Ungleichheit. Erst ein größerer Ausbruch des Corona-Virus in den Fleischfabriken der Firma Tönnies lenkte die Aufmerksamkeit auf die unterschiedliche Betroffenheit in Bezug auf gesundheitliche Gefahren und ökonomische Konsequenzen, hier zwischen Kern- und Randbelegschaft und insbesondere migrantischer Arbeitskräfte. Dies diskutiert auch der Blogbeitrag „Verschärfte Normalität“ von Sarah Schillinger im Sozblog für den Bereich der häuslichen Pflegearbeit. Hajo Holst und Kolleg*innen thematisieren zudem die unterschiedliche Betroffenheit von gesundheitlichen und wirtschaftlichen Risiken der Beschäftigten zwischen Branchen, Berufs- und Beschäftigungsgruppen und Qualifikationsniveaus (Holst et al. 2021).

Die unterschiedliche ökonomische Betroffenheit ist dabei bislang vor allem entlang des Offensichtlichen betrachtet worden: Während für die regulär Beschäftigten Kurzarbeitergeld gezahlt wird (und auch dieses Instrument ist höchst ungleich, wenn viele nur den staatlichen Zuschuss erhalten während andere durch Aufstockung seitens des Arbeitgebers nahezu das gleiche Gehalt erreichen, wie es die Böckler-Stiftung kürzlich erhoben hat), sind in anderen Branchen mit hohen Anteilen an selbstständiger Beschäftigung, wie z.B. der Kultur- und Kreativbranche oder im Bereich der Mini-Jobs viele Einkommensoptionen weggefallen. Für letztere führt Marcel Fratzscher in einem Beitrag auf „zeit online“ die Problematik „des Vergessens“ anschaulich aus. Die unterschiedliche Betroffenheit von Frauen und Männern hat das DIW schon im Mai 2020 berechnet. Frauen sind demnach häufiger von Einkommensverlusten betroffen. Zum einen, weil mehr (Mini-)Jobs wegfallen (und hier keine Ersatzleistungen gezahlt werden). Zum anderen, weil sie häufiger in Branchen arbeiten, die dieses Mal stärker von Kurzarbeit betroffen sind und diese auch seltener aufstocken. Inwieweit Frauen durch ihre Tätigkeiten in den gesundheitlich kritischen Berufen (Pflege, Erziehung, Reinigung, Einzelhandel) stärker gefährdet sind, ist bisher noch nicht untersucht.

Das Erleben ökonomischer Einbußen und der Erfahrung von Unsicherheit (auch in vorherigen Krisen als „sicher“ geglaubten Beschäftigungsbereichen wie in der Gastronomie etc.) wird sicherlich auch die Bewertung der Individuen im Hinblick auf ihre Arbeit verändern. So vermutete schon im Mai 2020 die FAZ, dass der Aspekt der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes in der Bewertung der eigenen Arbeit wieder an Wichtigkeit gewinne. Die neu in den Blick geratene „Systemrelevanz“ hat indes nicht zu einer Aufwertung der Berufe geführt – weder in Form von mehr Anerkennung noch in Form von Gehaltserhöhungen oder anderen Kompensationen. Für den Bereich der Care-Arbeit war diese Frage auch schon Gegenstand der Blogbeiträge von Karin Jurczyk, Claudia Gather und Maria Rerrich. Im Gegenteil, das Aufrechterhalten der Primärversorgung hat mancherorts eher noch zu einem „Anziehen der Schrauben“, zu einer Intensivierung der Arbeit und der gesundheitlichen Risiken geführt. Auch die Verlagerung des Handels zugunsten der Online-Versandhäuser und Lieferplattformen hat eine Zunahme an prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Logistikbranche nach sich gezogen.

Ausverhandlungen im verordneten Home Office

Das Zurückgeworfen werden auf das familiäre Umfeld, die Wohnung und die unmittelbare Umgebung wurde zunächst auch als Chance gesehen für Reflexionen über den Status quo der eigenen Verhältnisse, dass z.B. der Lockdown Gelegenheit biete zur Entschleunigung und zur Reflexion über die bisherigen Arbeits- und Lebensbedingungen. So werden in aktuelleren Studien, z.B. von Kolleg*innen an der Uni Konstanz oder an der Uni Mannheim während der Corona Pandemie Wünsche geäußert, auch zukünftig – zumindest in einem bestimmten Ausmaß – den Arbeitsort freier bestimmen zu können und Arbeitszeiten flexibler zu gestalten. Fragen nach dem richtigen Job, ausreichender Familienzeit, Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit sollten vermehrt adressiert werden. In den öffentlichen Medien wurden diese Fragen gerahmt von Geschichten über Pilot*innen, Gastronom*innen und Künstler*innen, die nun Lok fuhren, Menschen pflegten oder in Impfzentren arbeiten. Dagegen wirft Hartmut Rosa ein, dass eine erzwungene Entschleunigung wie sie die Pandemie mit sich brachte, schwierig zu nutzen sei. Die ökonomische Unsicherheit, die in vielen Fällen mit Existenzängsten und dem Verlust der Lebensgrundlage einhergeht, sorgte dafür, dass Überlegungen zu Sinngehalt und der Verwirklichung eigener Ansprüche an Arbeit eher privilegierten Gruppen vorbehalten blieb und andere einen Jobwechsel aus wirtschaftlicher Notwendigkeit vollzogen.

Die Gruppe derjenigen im Bereich der wissensintensiven und ortsunabhängigen Tätigkeiten, deren Arbeit schon zuvor in gewissem Maße oder nun auch auf Anordnung hin in die eigenen vier Wände verlagert wurde, galten in den öffentlichen Debatten zunächst ebenfalls als Krisengewinnler, da sie ihre Arbeit weiterhin ausüben konnten und bezahlt wurden. Erst später richtete sich der Blick auf die ohnehin schon vorhandenen Problematiken der Entgrenzung und fehlenden Möglichkeiten schützender Regulierungen, die sich im verordneten Home Office offenbarten – dieses Mal noch verschärft durch den Anspruch, gleichzeitig Kinderbetreuung und Beschulung zu gewährleisten.

Abhängig vom sozioökonomischen Status und den daraus resultierenden Wohn- und Lebenssituationen haben sich dabei auch bestehende Ungleichheiten verschärft. Für den Arbeitsort Home Office macht es einen großen Unterschied, ob dieser in einem eigenen Raum im Haus am Land Platz gefunden hat, oder ob der Küchentisch einer WG oder in der engen Familienwohnung dafür vereinnahmt werden muss. So gaben in einer Forsa-Umfrage zum Home Office 30 Prozent der Befragten an, durch die Wohnsituation beeinträchtigt zu werden, über ein Drittel beklagte zudem gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Arbeit zu Hause.

Die Lockdown-Erfahrungen im Home Office haben aber zumindest bei hochqualifizierten Wissensarbeitern zu veränderten Präferenzen hinsichtlich des Arbeitsortes geführt. Laut der Forsa-Umfrage wollen in Deutschland 51% auch nach dem Ende der Pandemie noch Home Office und Videokonferenzen nutzen. Viele wollen nicht mehr für die volle Arbeitszeit ins Büro zurückkehren und die teilweise langen Pendelstrecken einsparen. Gleichzeitig sind durch den pandemiebedingten Wechsel die traditionellen Gegenargumente der Arbeitgeber (mangelnde IT-Ausstattung, Sicherheitsbedenken, organisatorisch nicht möglich) untergraben worden. Die Ausverhandlungen über die Wahl des Arbeitsplatzes werden in Zukunft wohl anders geführt werden.

 

Dieser Blogbeitrag bildet den Auftakt zu einer Reihe von Beiträgen, die unter der thematischen Klammer „Die Corona-Pandemie und der Wert der Arbeit“ auf dem Kongress von DGS und ÖGS „Post-Corona-Gesellschaft? Pandemie, Krise und ihre Folgen“ vom 23.-25.08.2021 in Wien auf der gemeinsamen Sektionsveranstaltung der Arbeitssoziologie (ÖGS) und Arbeits- und Industriesoziologie (DGS) verhandelt wurden. Die Beitragenden haben auf Basis der eingereichten Thesenpapiere und der lebendigen Diskussion ihre Blogbeiträge bearbeitet und freuen sich auf eine Fortführung der Debatten über dieses Medium.

Literatur

  • Barbara Dickhaus & Kristina Dietz (2004). Öffentliche Dienstleistungen unter Privatisierungsdruck. Folgen von Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa, Berlin.
  • André Gorz (1999). Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt am Main.
  • Hajo Holst, Agnes Fessler & Steffen Niehoff (2021). Covid-19, social class and work experience in Germany: inequalities in work-related health and economic risks, European Societies, 23:sup1: 495-512. DOI: 10.1080/14616696.2020.1828979
  • Alexandra Manzei & Rudi Schmiede (Hg.) (2014). 20 Jahre Wettbewerb im Gesundheitswesen? Theoretische und empirische Analysen zur Ökonomisierung von Medizin und Pflege. Wiesbaden.
  • Dominique Méda (1995). Le Travail. Une valeur en voie de disparition.
  • Jeremy Rifkin (1995). The End of Work: The Decline of the Global Labor Force and the Dawn of the Post-Market Era. New York.

Autor:innennotizen

Dominik Klaus; MSc, ist Arbeitssoziologe, forscht und lehrt an Universität Wien sowie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Digitalisierung, Entgrenzung, Anerkennung, Neue Formen der Beschäftigung, Arbeit und Nachhaltigkeit.

Mascha Will-Zocholl, Dr. phil., Professorin für Soziologie der Digitalisierung von Arbeit und Organisation an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung, Wiesbaden. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Wandel von Arbeit und Organisation, Digitalisierung von Arbeit, Raum und Arbeit, Kooperation und Vertrauen, Wissensarbeit.

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