Der Spitzensport als „Waschmittel“ für ein sauberes Image
Im Zusammenhang mit der Fußball-WM in Katar fällt immer häufiger der Begriff „Sportswashing“. Ursprünglich nutzten vor allem NGOs wie Amnesty International den Begriff. Inzwischen hat er sich aber auch in den Medien etabliert. In der Sportwissenschaft ist der Begriff ebenfalls angekommen, wird aber im Hinblick auf seine analytische Tragfähigkeit und seine Trennschärfe gegenüber ähnlichen Begriffen kritisch diskutiert.
„Sportswashing“ meint, dass Gastgeberländer von Sportgroßereignissen die grundsätzlich positive Strahlkraft des Spitzensports dafür nutzen, um das eigene Image aufzubessern. Damit lenken sie von Verstößen gegen Menschenrechte, von Demokratiedefiziten oder von gesellschaftlichen und sozialen Problemen ab. Das Image in der Welt soll durch die Ausstrahlung des Sportevents und dessen globale Reichweite reingewaschen und das Land – je nach Zielsetzung – als modern, weltoffen, attraktiv, tolerant oder freundlich wahrgenommen werden. „Sportswashing“ reiht sich insofern, wie Michael Skey in einem aktuellen Beitrag diskutiert, in eine Reihe unterschiedlicher „Wasch“-Metaphern ein, wie z.B. „greenwashing“, „whitewashing“ oder „pinkwashing“, deren Gemeinsamkeit darin liegt, bestehende Probleme zu kaschieren, indem ein positives Image nach außen kommuniziert wird. Es geht also nicht darum, ein Problem zu lösen, sondern vielmehr, dieses in der allgemeinen Wahrnehmung zu verdecken.
Von „Soft Power“, „Sports Diplomacy“ und „Sportswashing“
Dass Gastgeberländer von Großereignissen die internationale Aufmerksamkeit als Strategie zur Imageverbesserung nutzen wollen, sich Vorteile für internationale und interkulturelle Beziehungen und damit auch wirtschaftliche Gewinne versprechen, ist allerdings nichts Neues. In der Wissenschaft wurde das bisher häufig mit dem Soft Power Konzept von Joseph Nye analysiert oder unter dem Begriff Sport Diplomacy beschrieben. Beide Konzepte sind jedoch nicht negativ konnotiert, sondern stehen für den Versuch von Staaten, internationale Anerkennung und Reputation z.B. für ihre wirtschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen oder sportlichen Leistungen und ihre Werte bzw. ihre Kultur zu erhalten. Auch die in Deutschland 2006 ausgetragene Fußball-WM war mit ihrem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ sicher mit der Intention verbunden, einen Kontrastpunkt zu einem Deutschland-Bild zu setzen, welches in vielen Ländern der Welt eher mit dem Nationalsozialismus als mit Weltoffenheit, Toleranz und Lebensfreude assoziiert wurde.
Die Tatsache, dass die jüngsten Sportgroßereignisse in autokratischen Ländern wie Russland (Fußball WM 2018), China (Olympische Winterspiele 2022) und jetzt Katar ausgetragen wurden, hat die Debatte jedoch verändert. Beim „Sportswashing“ geht es eben nicht nur darum, sein Image zu verbessern und die eigene Leistungen zu inszenieren, sondern den Sport gezielt als Werkzeug zur Ablenkung zu benutzen. Diese Investition in ein sauberes Image zahlt sich aus, da sie sowohl für Zugänge zur Weltwirtschaft – wozu auch der Sportmarkt gehört – als auch für tragfähige Wirtschaftsbeziehungen zu westlichen Ländern förderlich sind.
Wie gut das funktioniert, zeigt sich am Beispiel vom englischen Premier League Klub Newcastle United. Im Jahr 2021 wurde der Club durch ein Konsortium übernommen, das zu 80 Prozent aus den Staatsfonds Saudi-Arabiens (PIF) besteht. Viele Newcastle-Fans stört das nicht. Im Gegenteil, für sie ist wichtiger, dass der Club nun Geld für große Stars hat und somit eine Perspektive bekommt, um international erfolgreich mitzuspielen. Für den PIF ist der Fußballklub eine attraktive Plattform mit großer medialer Sichtbarkeit, um wirtschaftliche Beziehungen anzubahnen und saudi-arabische Wirtschaftsinteressen zu fördern.
Es rumpelt in der „Waschmaschine“…
Bei der WM in Katar ist die Lage eine etwas andere. Hier zeigt die massive und anhaltende öffentliche Kritik, die ja auch zahlreiche Boykott-Aufrufe einschließt, dass es zumindest in Westeuropa erheblichen Widerstand gibt. Das öffentliche Bewusstsein für die Menschenrechtslage in Katar ist durch die Vorberichterstattung zur WM sehr hoch: der Tod hunderter oder sogar tausender Gastarbeiter auf Großbaustellen oder der restriktive Umgang mit Homosexualität lieferten Negativschlagzeilen für Titelseiten. In den Wochen vor Turnierbeginn gab es fast täglich neue kritische Beiträge und Dokumentationen (z.B. die mehrteilige Dokumentation „Katar – WM der Schande“) über Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Überwachung per App oder die Einschränkung von Pressefreiheit. Der Versuch Katars, das Land mit Hilfe der WM durch eine eigene Erzählung und flankiert mit eindrucksvollen Bildern in das ‚rechte Licht‘ zu rücken, dürfte so kaum aufgehen. Ist Katars Strategie des „Sportswashing“ jetzt schon gescheitert?
Da die meisten Menschen in Deutschland noch nie in Katar waren, können sie ihre Meinungen nur aufgrund der Darstellungen in den Medien oder über Dritte bilden. Viel wird deshalb auf die Medienberichterstattung während des WM-Turniers ankommen. Bei denjenigen, die die WM boykottieren, werden negative Einstellungen gegenüber Katar bleiben. Die Menschen, die die WM verfolgen werden, könnten ihre Meinungen über das Emirat aber noch ändern. Entscheidend wird sein, ob weitere negative Ereignisse die Berichterstattung beherrschen werden oder von nun an andere Bilder im Mittelpunkt stehen: Bilder der futuristischen WM-Stadien, von beeindruckenden Skylines, luxuriösen Shopping-Malls, wilden Wüstenlandschaften und exotischer Kultur. Diese könnten viele Menschen positiv überraschen. Schaut man auf einige frühere Gastgeberländer – wie z.B. Brasilien als Gastgeber der WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016 –, hat sich das Image vor allem hinsichtlich der Attraktivität als Reiseland deutlich verbessert, und zwar auch dann, wenn sozio-ökonomische Probleme im Land mit Sorge betrachtet wurden.
Die Macht der (digitalen) Bilder und (medialen) Narrative
In den letzten Jahren spielen auch digitale soziale Netzwerke eine immer größere Rolle bei der Imagebildung von Gastgeberländern. Denn während das, was über die Massenmedien berichtet wird, zu einem gewissen Maß steuerbar ist (z.B. über Auflagen für Journalist*innen) und bestimmte Bilder, Erzählungen oder Ereignisse inszeniert und vorbereitet werden können, sind Inhalte auf Social Media kaum kontrollierbar, da jeder Mensch Beträge erstellen und verbreiten kann. Doch auch hier hat Katar eigene Strategien entwickelt: Erst kürzlich sickerte durch, dass das Organisationskomitee der WM Fans zu bezahlten Reisen zum Turnier eingeladen hat, damit sie auf Social Media gute Stimmung und erwünschte Perspektiven auf das Land verbreiten. Katar ist also vorbereitet.
Aber man muss auch sagen, dass sämtliche bisherige Gastgeberländer und auch zukünftige Gastgeberländer ähnliche Strategien anwenden (werden), um ein millionenschweres Sportgroßereignis so positiv wie möglich zu vermarkten. Das Schutzargument der FIFA, dass Sportgroßereignisse positive Veränderungen auslösen können, ist auch nicht völlig falsch: Es wird berichtet, dass sich in Katar etwas zu ändern beginnt. So sind beispielsweise schon Fortschritte erreicht, in dem das Kafala-System abgeschafft, ein Mindestlohn eingeführt und die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt wurden. Auch wenn es nur erste Schritte sind, so kann es ein Weg in die richtige Richtung sein. Bei aller berechtigter Kritik an Katar muss man realistisch bleiben: Ein System, dass sich seit Jahrzehnten stabilisiert hat, lässt sich nicht innerhalb weniger Wochen oder Monate ändern. Der Sport kann im besten Fall eine Brücke sein, nicht nur um wirtschaftliche und politische Impulse zu setzen, sondern auch um soziale Entwicklungen oder zumindest die Debatte hierzu anzuregen.
Was bleibt: eine Imageverbesserung, eine Imageverschlechterung oder gar kein Effekt?
Aktuell, so scheint es, sind die Vorstellungen über Katar bei vielen Menschen in Deutschland so negativ eingefärbt, dass es jetzt, wo der Ball in Doha rollt, fast nur noch aufwärts gehen kann. Trotzdem: Statt strahlend weißer Weste wird der Fußball-Waschgang im Emirat wahrscheinlich eher Flecken produzieren. Zumindest in Westeuropa. In anderen Teilen der Welt könnte das „Sportswashing“ durchaus glücken, wo mitunter ein negativer Bias westlicher Medien und konkret auch Deutschlands ablehnende Haltung gegenüber Katar auf Kritik stößt. Was die WM in Katar im Land selbst als auch bei Zuschauer*innen vor Ort als auch zuhause vor den Fernsehern letztlich bewirkt hat, wird die Sport- und Sozialwissenschaften nach der WM sicher noch eine Weile weiter beschäftigen.