Kriege, Kriegsgesellschaft, Zeitenwende

Beitrag 7: Der Erste Weltkrieg als paradigmatischer Fall kriegsgesellschaftlicher Transformation (I) – Mobilisierungswettlauf

 Im Beitrag 6 wurden sieben kriegsgesellschaftstheoretische Basistheoreme vorgestellt, welche die Dynamik der kriegsgesellschaftlichen Transformation beschreiben: Krieg als Mobilisierungswettlauf, Mobilisierungswettlauf als Triebkraft der kriegsgesellschaftlichen Transformation, Zentrale Steuerung, Tendenziell diktatorische Spitze, Patriotische Vergemeinschaftung, Kriegsgesellschaftliches Dilemma, Zivilgesellschaftliche Transformation.

Wir müssen zur Analyse der aktuellen Situation unterscheiden erstens zwischen Kriegsgesellschaft und Zivilgesellschaft und zweitens zwischen „reiner“ Zivilgesellschaft ohne Kriegsbeteiligung und äußere Bedrohung und einer Zivilgesellschaft im Krieg mit (indirekter) Kriegsbeteiligung und äußerer Bedrohung. Meine Grundthese ist, dass sich die deutsche Gesellschaft und Politik nach wie vor weitgehend im Modus einer „reinen“ Zivilgesellschaft bewegen. Damit gefährden sie, wie andere westliche Staaten auch, das Überleben der Ukraine im russischen Angriffskrieg. Nach einer Niederlage der Ukraine könnte Russland NATO-Staaten, z. B. die baltischen Länder angreifen, und dann wäre Deutschland wie andere NATO-Staaten zu militärischem Beistand verpflichtet, wäre also Kriegspartei mit eigenen Streitkräften.

Um dem vorzubeugen, müsste die Bundesrepublik Deutschland von einer „reinen“ Zivilgesellschaft zu einer Zivilgesellschaft im Krieg werden. Eine Zivilgesellschaft im Krieg unterstützt eine Kriegsgesellschaft. Anders gesagt: Die Zivilgesellschaft im Krieg steht in einer symbiotischen Beziehung mit der unterstützten Kriegsgesellschaft. Um die Beziehung zwischen beiden zu verstehen, befassen wir uns zunächst historisch mit den Kriegsgesellschaften des Ersten Weltkriegs.

  1. Der Erste Weltkrieg als historisches Quasi-Experiment

Möchte man das Phänomen der kriegsgesellschaftlichen Transformation historisch studieren, bietet sich zuallererst der Erste Weltkrieg an. Der Erste Weltkrieg ist, wissenschaftlich gesehen, ein Musterbeispiel eines modernen großen, langdauernden, tendenziell totalen Krieges. Seine Dauer und Intensität kommen für alle Akteure unerwartet. Man hat allgemein mit einem kurzen Krieg nach Art der sogenannten deutschen Einigungskriege gerechnet (1864 Preußen und Österreich gegen Dänemark, 1866 Preußen gegen Österreich, 1870/71 Preußen und die verbündeten deutschen Staaten gegen Frankreich), die rasch nach einer frühzeitigen Entscheidungsschlacht enden. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse im Ersten Weltkrieg kommen unvorhergesehen und spontan zustande. Die – ähnlich gelagerten – Transformationsprozesse im Zweiten Weltkrieg ergeben sich maßgeblich aus Erfahrung und Reflexion des Ersten Weltkriegs.

Der Transformations-Imperativ in einem kriegführenden Staat wirkt umso stärker, je weniger er von anderen Staaten unterstützt wird. Die fünf kriegführenden europäischen Großmächte blockieren sich gegenseitig, so dass sie die Mobilisierung von Waffen und Munition mehr oder weniger aus eigener Kraft stemmen müssen. Das Deutsche Reich und die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn sind durch die britische Seeblockade zwischen  Süd-Norwegen und  den Shetland-Inseln sowie im Ärmelkanal vom Fernhandel, insbesondere Lebensmittel- und Rohstoff-Importen, weitgehend abgeschnitten. Russlands Zugang zur Ostsee wird von der deutschen Marine gesperrt, die Durchfahrt zum Mittelmeer vom mit Deutschland verbündeten Osmanischen Reich. Das Zarenreich verfügt mit Murmansk über einen eisfreien Hafen, aber der ist nicht an die Eisenbahn angeschlossen. 60.000 deutsche und österreichisch-ungarische Kriegsgefangene bauen 1915/16 die Murman-Bahn (Markus Rabanser, Die Murmanbahn, Fern-Express 3, 2011)  – zu spät und zu unzulänglich, um eine effektive Versorgung des Zarenreichs durch seine Alliierten zu gewährleisten. Die russische Eisenbahn ist vergleichsweise gering entwickelt und durch die Transporte für Kriegszwecke hoffnungslos überlastet. Großbritannien und Frankreich stehen aufgrund der britischen Seeherrschaft besser da. Doch die deutsche Marine fügt den Westmächten erhebliche Verluste zu. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg 1917/18 bedroht zeitweise ernsthaft eine ausreichende Versorgung Großbritanniens durch die USA. Vor allem das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und Russland gleichen riesigen belagerten Festungen, die ihre Ressourcen entsprechend disponieren und rationieren müssen.

Man kann den Ersten Weltkrieg als eine Art historisches Quasi-Experiment zur Frage betrachten: Wie wirken sich große, langdauernde, tendenziell totale Kriege auf die Dynamik gesellschaftlicher Strukturen aus? Wie verändern sich gesellschaftliche Strukturen im Krieg?

  1. Der Transformations-Imperativ des Mobilisierungswettlaufs zwingt zur Neuorganisation der Wirtschaft („Kriegswirtschaft“)

Als der Krieg beginnt, sieht der deutsche Kriegsplan, der ursprünglich auf den ehemaligen Chef des Generalstabs, Albert Graf von Schlieffen zurückgeht, vor, in 40 Tagen die französischen Streitkräfte um Paris zu umfassen und zu vernichten bzw. zur Kapitulation zu zwingen. Doch es kommt letztendlich nicht zu einer Entscheidungsschlacht um Paris. Die deutsche Führung bricht die Offensive an der Marne ab, die Front im Westen verfestigt sich, und es entwickelt sich ein verlustreicher und Ressourcen raubender Stellungskrieg. Der Munitionsverbrauch erreicht ein Ausmaß, das niemand vorhergesehen hat. Während der Marneschlacht Anfang September 1914 verschießen die deutschen Armeen pro Tag mehr Munition als im gesamten deutsch-französischen Krieg 1870/71 (Roger Chickering, Das Deutsche Reich und der erste Weltkrieg, München 2005, S. 48). Besonders im Deutschen Reich, das durch die britische Seeblockade vom Welthandel abgeschnitten ist, macht sich bald eine empfindliche Knappheit von Rohstoffen und Munition bemerkbar.

Auf Initiative von Walter Rathenau, dem Präsidenten der AEG, wird bereits im September 1914 die Kriegsrohstoffabteilung (KRA) gegründet, welche dem Kriegsministerium angegliedert ist. Um die knappen kriegswichtigen Rohstoffe des belagerten Deutschen Reiches optimal zu bewirtschaften, werden Aktiengesellschaften für je einen Rohstoff gegründet, überwiegend aus privatem Kapital. Gegen Ende des Krieges sind es etwa 200 Gesellschaften. Jede Rohstoffaktiengesellschaft ist befugt, „ihren“ Rohstoff zu requirieren und entsprechend seiner Kriegswichtigkeit zu verteilen. In diesen Institutionen arbeiten Fachleute aus der Wirtschaft, kontrolliert von der politischen und militärischen Führung. So soll gewährleistet sein, dass die Fachkompetenz der Unternehmen für die Kriegsführung eingesetzt wird.  Betriebe für zivile Güter gehen oft leer aus.

Der wichtigste Hebel zentraler Steuerung ist in allen fünf kriegsbeteiligten Großmächten die Verteilung der Rohstoffe. Das Grundprinzip dabei ist, das Gros der verfügbaren Rohstoffe den kriegswichtigen Betrieben zukommen zu lassen, also denen, die für die Rüstungsproduktion relevant ist. Das erfolgt in verschiedenen institutionellen Arrangements. Frankreich z. B. verliert in den ersten Kriegswochen seine für die Rüstungsproduktion wichtigsten Rohstoffe im Nordosten des Landes an das Deutsche Reich. Die ersatzweise importierten Rohstoffe werden bevorzugt an rüstungsrelevante Unternehmen verteilt.

  1. „Business as usual“

Während Deutschland, Österreich-Ungarn und Frankreich bereits nach wenigen Wochen auf ein System zentral gesteuerter Kriegswirtschaft umstellen, gehen Großbritannien und das zaristische Russland einen anderen Weg, den man seinerzeit „Business as usual“ nennt. Bestehende Strukturen werden nicht verändert. Wie in Friedenszeiten soll der Markt die Allokation von Gütern, Kapital und Arbeitskraft regeln. So bleibt der Waffen- und Munitionskauf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage verpflichtet. Die britische Regierung bestellt Rüstungsgüter bei privaten Firmen. Die Folge: Die starke Nachfrage lässt die Preise explodieren. Dennoch bleibt die mobilisierte Munitionsmenge weit hinter dem Bedarf zurück. Im Mai 1915 bricht eine britische Offensive in Flandern angeblich auf Grund von Munitionsmangel zusammen. Die Presse skandalisiert den Fall. Der Premierminister Lord Asquith sieht sich genötigt, sein Kabinett umzubilden und seinen Rivalen, den Schatzkanzler David Lloyd George mit der Leitung des neugegründeten Munitionsministerium zu betrauen, das bald zur zentral steuernden Instanz der Kriegsgesellschaft avanciert. Es baut eine starke staatliche Kriegsindustrie auf, teilweise durch neu errichtete Fabriken, teilweise durch Enteignung bestehender Firmen. Es requiriert und verteilt kriegswichtige Rohstoffe. Die Kontrollen erstrecken sich nicht nur auf die Rüstungsindustrie, sondern allmählich auf die gesamte Wirtschaft des Landes, z. B. die Landwirtschaft, einschließlich der Festsetzung von Lebensmittelpreisen. Lord Asquith, der für das Prinzip „Business as usual“ gestanden hat, tritt im Dezember 1916 zurück. Sein Nachfolger wird Lloyd George.

Auch das industriell rückständige Zarenreich Russland setzt auf das Leitprinzip „Business as usual“. Die ohnehin noch schwach verbreitete Industrie ist in keiner Weise in der Lage, dem Bedarf an Kriegsgerät nachzukommen. Viele Soldaten ziehen ohne Gewehr in den Kampf und müssen warten, bis ein Kamerad gefallen ist. Die militärischen Folgen sind desaströs. Nach anfänglichen Erfolgen in Ostpreußen und Galizien erleidet das russische Heer schwere Niederlagen und muss sich 1915 aus Polen und Teilen des Baltikums zurückziehen. Als Konsequenz stellt Russland auf Kriegswirtschaft um. 1916 erringt die russische Armee noch einmal spektakuläre Erfolge an der Front gegen Österreich-Ungarn. Doch 1917 führen die Überbelastungen des großen Krieges zum inneren Zusammenbruch des Zarenreichs (Februarrevolution, Oktoberrevolution). Die Geschichte der „Business as usual“-Politik in Großbritannien und Russland 1914/15 zeigt, dass das Marktprinzip für die Konzentration gesellschaftlicher Ressourcen auf die Kriegsführung ungeeignet ist. Nach dieser Erfahrung wurde davon im Zweiten Weltkrieg kein Gebrauch gemacht.

Es trifft eben nicht zu, dass die Marktwirtschaft grundsätzlich und überall der zentralisierten Planwirtschaft überlegen ist. Für große, langdauernde, tendenziell totale Kriege gilt das jedenfalls nicht.

  1. Von der „militärischen Spezialoperation“ zur Kriegsgesellschaft (Exkurs)

Eine Variante des „Business as usual“-Prinzips verfolgt zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine auch Wladimir Putin. Gegen die Ukraine führt er angeblich keinen Krieg, sondern eine „militärische Spezialoperation“. Die Botschaft dieser Semantik an die eigene Bevölkerung: Die „Entnazifizierung“ der Ukraine regeln militärische Spezialverbände. Euer Leben wird von alledem nicht berührt. Alles läuft weiter wie gewohnt. Noch mehr als die Akteure des Ersten Weltkriegs rechnet er mit einem sehr kurzen, nur Tage oder Wochen dauerndem Krieg.

Wie 1914, unter anderen Vorzeichen, stellt auch hier die erste große Schlacht die Weichen für den weiteren Kriegsverlauf: Zu aller Überraschung scheitert der russische Angriff auf Kiew, und es entwickelt sich seit September 2022 bei weitgehend stabilen Fronten ein Abnutzungskrieg. Russland stellt auf Kriegswirtschaft um. Schon im Sommer 2022 ergeht ein Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen: Die russische Regierung kann staatliche Aufträge an Unternehmen erteilen, die dann die Produktion für das Militär durchführen müssen. Das ist der Einstieg in eine zentral gesteuerte Kriegswirtschaft (Russisches Parlament stimmt Gesetzentwürfen zur Kriegswirtschaft zu, in: Die Zeit Online, 05. Juli 2022). Am 21. September des gleichen Jahres erfolgt eine mehr oder weniger zwangsweise „Teilmobilisierung“ von mindestens 300.000 Rekruten, wogegen am Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 etwa 190.000 Soldaten beteiligt sind (M. Thumann, Revanche,  München 2024, S. 225-237). Damit ist der Rahmen einer „militärischen Spezialoperation“ gesprengt, auch wenn sie semantisch fortdauert.

  1. Mobilisierungswettlauf in Zahlen

Kriegsgesellschaftstheorie im hier verstandenen Sinne betrachtet, auf Herbert Spencer rekurrierend, Krieg als Mobilisierungswettlauf. Die Kriegspartei, die mehr Soldaten, Arbeiter und Rüstungsgüter mobilisiert, gewinnt den Krieg. Ähnlich relevant, so könnte man zu Spencer hinzufügen, sind waffentechnische Innovationen während des Krieges und die Motivation der Bevölkerung einer Kriegsgesellschaft. Insofern der Mobilisierungswettlauf ein parasitärer Mechanismus ist, kann man sagen: Die Kriegspartei, die länger durchhält, gewinnt den Krieg. In seinem Standardwerk Aufstieg und Fall der großen Mächte betont Paul Kennedy, dass in den langdauernden europäischen Koalitionskriegen der Neuzeit die Kriegspartei gewinnt, die über mehr Ressourcen verfügt und länger durchhalten kann.

Die beiden folgenden Tabellen zeigen die Entwicklung der Rüstungsproduktion während des Ersten Weltkriegs im Siegerstaat Großbritannien und dem Verliererstaat Österreich-Ungarn.

Rüstungsproduktion Großbritanniens 1914-1918

  1914 1915 1916 1917 1918
Geschütze 91 3390 4114 5117 8039
Tanks 150 1110 1359
Masch.gewehre (Tsd.) 0,3 6,1 33,5 79,7 120,9
Flugzeuge (Tsd) 0,2 1,9 6,1 14,7 32,0
Flugmotore (Tsd) 0,1 1,7 5,4 11,8 22,1
Gewehre (Mio.) 0,1 0,6 1,0 1,2 1,1
Granaten (Mio.) 0,5 6,0 45,7 76,2 67,3
Sprengstoff Pulver (Tsd.  t) 5 24 76 186 118

Quelle: Gerd Hardach, Der Erste Weltkrieg. dtv: München 1973, S. 96

 

Rüstungsproduktion Österreich-Ungarns 1914-1918

  1914 1915 1916 1917 1918
Gewehre 149.183 905.832 1.197.117 1.091.117 237.148
Masch.gewehre 1.187 3.730 6.635 15.436 12.201
Geschütze 1730 6.948 7.700 2.064
Gewehrmunition (tägl., in Mio.) 2,5 3,5 bis 4 4 3 1,5 bis 2
Geschützmunition (monatl., in Mio.) 0,3 1,3 2 1,4 0,75

Quelle: Robert J. Wegs, Die österreichische Kriegswirtschaft 1914-1918. Schendl: Wien 1979, S. 120

 

Die Kategorien der Waffenproduktion sind nicht gleich, insofern ist die Vergleichbarkeit beschränkt, aber zwei Aussagen lassen sich treffen:

Erstens: Beide Staaten unternehmen gewaltige Anstrengungen in der Rüstungsproduktion. Schon 1915 übertrifft die Rüstungsproduktion die des Jahres 1914 (sieben Monate Frieden, fünf Monate Krieg) in den einzelnen Waffengattungen (mit einer Ausnahme) um ein Mehrfaches. Bis 1917 steigt die Rüstungsproduktion, in Österreich-Ungarn mit Einschränkung, von Jahr zu Jahr an.

Zweitens: Im letzten Kriegsjahr 1918 gehen die Entwicklungstrends auseinander. Während der Siegerstaat Großbritannien seine Produktion in den modernen Waffensystemen Tanks, Maschinengewehre, Flugzeuge und Flugmotoren noch einmal signifikant steigern kann, bricht die Rüstungsproduktion in Österreich-Ungarn dramatisch ein.

Für die Daten zum Jahr 1918 ist bei beiden Staaten zu berücksichtigen, dass der Krieg am 11. November endete und schon seit Anfang Oktober mit dem deutschen Gesuch um Waffenstillstand und Friedensverhandlungen an den US-Präsidenten Woodrow Wilson das Kriegsende absehbar war.

Im Ergebnis kann man sagen: Großbritannien kann den Mobilisierungswettlauf bis zum Ende durchhalten und gewinnt den Krieg. Österreich-Ungarn kann den Rüstungswettlauf im letzten Kriegsjahr nicht mehr durchhalten und verliert den Krieg.

Eine ähnliche Tendenz sehen wir in puncto Industrieproduktion beim Verliererstaat Russland.

 

Industrieproduktion Russlands 1914-1917 (1913 = 100)

1914 1915 1916 1917
Baumwollverarbeit. 93,7 94,6 81,9 54,7
Bergbau- und Hüttenindustrie 101,5 92,3 93,8 52,6
Metallverarbeitung 113 228,1 300,7 193,1
Chemische Industr. 92,6 145,9 252,7 167
Gesamtindustrie 101,2 113,7 121,5 77,3

Quelle: Gottfried Schramm (Hg.), Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 3. Hiersemann: Stuttgart 1992, S. 520

 

Die Gesamt-Industrieproduktion des Zarenreichs wächst also von 1914 bis 1916 um etwa 20%.  In Russlands letztem Kriegsjahr geht sie zurück und fällt auch deutlich unter den Wert des letzten Friedensjahrs 1913. 1917 kann Russland im Mobilisierungswettlauf nicht mehr mithalten, erleidet militärische Niederlagen und scheidet nach der Oktoberrevolution aus dem Krieg aus.

Der Mobilisierungswettlauf erfolgt in Wellen, die durch militärische Krisen und Niederlagen ausgelöst werden. Zu Beginn des Krieges erscheinen die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn leicht im Vorteil, v. a. durch die effektivere Organisation der Wirtschaft. 1915 stellt Großbritannien nach einer erfolglosen Offensive in Flandern entschlossen auf Kriegswirtschaft um. In den Materialschlachten von 1915 und 1916 wird dann die alliierte Überlegenheit an Waffen und Munition deutlich spürbar. Die deutsche Oberste Heeresleitung reagiert 1916 mit dem Hindenburgprogramm, welches die Waffen- und Munitionsproduktion innerhalb eines Jahres verdoppeln, teilweise verdreifachen soll. Doch auch Großbritannien kann seine Rüstungsproduktion weiter steigern. Und nachdem die USA, der weltweit größte Industrieproduzent, im April 1917 in den Krieg eigetreten sind, neigt sich die Waage im Mobilisierungswettlauf endgültig zugunsten der Entente.

Literatur:

Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Erneut aktualisierte und erweiterte Studienausgabe. Ferdinand Schöningh: Paderborn 2014,

Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000. Fischer: Frankfurt am Main 1989.

Volker Kruse, Kriegsgesellschaftliche Moderne. Zu strukturbildenden Dynamik großer Kriege. UVK: Konstanz 2015.

Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914-1949. C.H. Beck: München 2003.

 

In diesem Beitrag wurde der Mobilisierungswettlauf im Ersten Weltkrieg in Bezug auf die Rüstungsproduktion betrachtet. Im folgenden Beitrag 8 geht es dann um die Mobilisierung von Soldaten und die Folgen für die Arbeitsmärkte.

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