Zunächst will ich schreiben, wie sehr ich mich über all die #Soziologie-Tweets gefreut habe. Ich habe aufgegeben, die Posts, zu zählen, von der mageren Ausbeute vor einer Woche sind wir aber meilenweit entfernt. Außerdem findet sich auf der DGS-Seite nun ein Reiter (wenn sie etwas runterscrollen und den Blick rechts ausrichten, sehen sie ihn), der die #soziologie-Posts für all jene dokumentiert, die keinen Twitterzugang haben oder haben wollen. Très chic. In diesem Beitrag will ich – bevor ich mich in den nächsten Tagen wieder anderen Themen zuwende – einige der in der angeregten Diskussion in den Kommentaren zum ersten Beitrag gefallenen Argumente versammelt aufgreifen. Ich will dabei nochmal präziser herausarbeiten, weshalb ich der Meinung bin, dass Soziologinnen und Soziologen von der Beschäftigung mit Social Media profitieren können.
„Twitter bzw. Social Media nützen der wissenschaftlichen Karriere nicht“
Dieses Argument liest man immer wieder, wenn es darum geht, das eher geringe Engagement von Soziologinnen und Soziologen in Social Media zu erklären. Kein direkter Nutzen für eine Karriere also. So what? Abgesehen davon, dass die meisten SoziologInnen auch ein Leben abseits ihrer Karriere führen, sind Erklärungen, die das Handeln von Menschen anhand von Nutzenkalkülen berechnen, so kurzatmig: Motivlagen sind empirisch vielfältiger. Handlungen kommen auch ohne Motiv aus.
Klar, von Luhmann wissen wir, dass Reputation im Wissenschaftssystem systeminternen Erfolgsbedingungen der Scientific Community folgt:
„Im wesentlichen richtet das Wissenschaftssystem über Publikationen und Publikationsprüfungen einen eigenen Inklusionsweg ein, an dem im Prinzip alle, faktisch aber nur wenige teilnehmen können.“ (Luhmann 1992: 349)
Es geht in der Wissenschaft also beispielsweise um Beiträge in angesehenen Journals. Bedeutet das aber nicht auch, dass erfolgreich publizierende Menschen gerade keinen Reputationsverlust erleiden sollten, wenn sie sich in anderen Kontexten (wie den sozialen Medien) bewegen? Sogar dann, wenn sie dies ungelenk tun? Und strahlt darüber hinaus die Rede von „Karrieren“ und „Reputation“ vielleicht etwas mehr Eindeutigkeit aus als der berufliche Alltag von „echten“ Soziologinnen und Soziologen an Selektionskriterien für Erfolg hergibt?
Die Soziologie, ein ständisches Fach?
Die Frage, ob man von Kommunikationen, die nicht im engeren Sinne wissenschaftlich sind, einen Reputationsverlust im Wissenschaftssystem ableitet, hängt wohl davon ab, für wie stark man das Standesbewusstsein der Disziplin hält. Bei Bourdieu kann man lesen, was ein wissenschaftlicher Habitus ist und dass das wissenschaftliche Feld als ein von Konkurrenzen und Interessen durchzogenes Spiel betrachtet werden kann (Bourdieu 1992). In einem sehr engen, strengen Kontext könnte die Betätigung als BloggerIn oder in Social Media dann vielleicht negativ beurteilt werden: „Prof. X kann ja nicht gerade viel arbeiten, so viel wie er auf Facebook postet!“ Ich schreibe das so vorsichtig, weil ich erstens nicht glaube, dass die Soziologie als Fach ein derartiges Einheitsbewusstsein überhaupt besitzt. Ich denke vielmehr, dass die vielen Spezialisierungen, die Theorien- und Methodenvielfalt dem entgegen stehen.
Gesetzt dem Falle, dass es zweitens so ein Bewusstsein gäbe, so wäre es doch deshalb noch lange nicht so konservativ, die Betätigung in neuen Medien gar zu sanktionieren. Ich glaube, dafür sind Soziologinnen und Soziologen zu neugierig und zu sehr an der Evolution von Medien interessiert. Nur weil Prof. X viele Kätzchenvideos auf Facebook postet und dadurch manchen seltsam erscheint, heißt das ja noch lange nicht, dass sich die Berufungskommission in Stadt Y dafür interessiert. Wahrscheinlicher, dass hier die Selektionslogik von Review-Verfahren zieht, dass Fachvorträge oder auch Genderkompetenzen relevant werden.
Theoretisch interessiert sich die Disziplin zudem durchaus für Medienevolution. Dafür sprechen viele Publikationen, Kongressthemen wie „Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit“ oder auch die Existenz dieses Blogs: Wie sollte man noch effektiv etwas sanktionieren, dass die Standesvereinigung selbst unterstützt? Angesichts solch etablierter SprecherInnenpositionen scheint mir die Rede von Reputationsverlust und Praxisfeindlichkeit eher nicht so realistisch.
Warum überhaupt Social Media?
Ich denke, dass Soziologinnen und Soziologen, die sich Social Media enthalten, sich spannende Beobachtungen vergeben. Darum ist der Aufruf zu „Mehr Soziologie auf Twitter“ durchaus ernst gemeint.
„Mehr Soziologie auf Twitter? Okay. Aber nur weils in den entsprechenden Medien ist, hat sich noch nichts weiter getan. Es ist eine Frage der Soziologie selbst“, schreibt Armin Nassehi in seinem Kommentar zum vorigen Beitrag. Nassehi formuliert:
„Vielleicht sollte der Fokus nicht so sehr auf dem “Wer?”, sondern auf dem “Was?” liegen, und da hängt es derzeit, ganz unabhängig vom Medium (von Print über Radio/TV bis zu den Social Media), was die Soziologie eigentlich für öffentliche Diskurse beizutragen hat. Ich habe so meine Zweifel, dass darüber angemessen nachgedacht wird (und habe dazu in diesem Blog ja auch schon Annahmen geäußert). Ich für meinen Teil finde es immer wichtiger und immer lohnender, sich der “Praxis” zu stellen – nur sollte klar sein, was das denn eigentlich ist?“ (ebd.).
Ich kann Armin Nassehi nur rechtgeben, denn wer von uns will schon belanglose oder langweilige Soziologie lesen, ob als Aufsatz oder in Tweetform. Andere KommentatorInnen fragen kritisch, wie gut Soziologie in 140 Zeichen sein kann oder ob gar eine Art Geheimnisverrat stattfinde, wenn die Disziplin sich öffentlich darstelle. Mir ging es hier aber gar nicht um das praktische Vorführen von Soziologie in 140 Zeichen – das stelle ich mir auch schwer vor – sondern erst einmal um das schlichte Interesse, mehr Soziologie in meiner Timeline zu finden und die Soziologie auf Twitter besser auffindbar zu machen.
„Twitter ist eine große bunte soziologische Wundertüte!“
So formulierte es @_ekma am 24.5. auf Twitter. Und ja, es macht Spaß, auch abseits des Institutslebens, Studiums oder der eigenen Zitierkartelle soziologische Inhalte oder Inhalte von Nachbardisziplinen zur Kenntnis zu nehmen.
Armin Nassehi schreibt von dem Gewinn, den er aus dem Besuch in der sozialen Praxis zieht, sein Beispiel ist ein Besuch beim deutschen Bühnenverein. Ich würde sagen, dass Twitter für mich dieselbe Funktion erfüllt. Es handelt sich um eine mediale Praxis, von der ich mich irritieren lassen kann, in der etwas anderes passiert, als in meinem wissenschaftlichen Alltag, in der andere Fragen gestellt werden, als ich erwarte und anderes für relevant gehalten wird. Twitter ist ein Ort, an dem ich auf Ideen für Forschung komme und Inhalte finde, die in meinem direkten Umfeld keine Rolle spielen. Ich kann beispielsweise sehen, was Arbeitssoziologen oder Sozialinformatikerinnen beschäftigt, mit denen ich in meinem wissenschaftlichen Alltag, der ja von ganz bestimmten Themen und Projekten geprägt ist, keinen Kontakt habe.
Aufklären und Abklären via Twitter?
„So selten scheinen die soziologischen Inhalte ja nicht zu sein. Beispielsweise hat die Liste von Herrn Voß über 240 Einträge. Scheint also dann doch am passenden Tag zu hapern. Bei der Tagfindung sollte vielleicht auch auf Internationalität geachtet werden. So könnte man noch mehr Inhalte erschließen. Auch über Sprachgrenzen hinweg“, schreibt Soziobloge.
Ob der Hashtag #Soziologie sich bewährt, wird die Praxis zeigen. Er ist nicht international und auch etwas lang, wie Günter Voß in einem Tweet zu Recht bemerkte. Am Hashtag gefällt mir persönlich einfach sehr, dass er auch ohne Listen zu nutzen, einfach zu finden ist. Ein kürzerer, vereinbarter Hashtag könnte ja womöglich die Auffindbarkeit für „Nicht-Eingeweihte“ reduzieren?
Ob man davon ausgeht, dass es ganz abseits von subjektivem Spaß und Informationsgewinn etwas „bringt“, soziologische Aufklärung (oder, mit Luhmann: Abklärung) in Soziale Netze einzuspeisen ist eine Frage der theoretischen Perspektive. Und ob man das probieren will, ist eine individuelle Entscheidung. Ich denke, der Versuch kann sich doch nur lohnen. Was aus solchen Kommunikationen wird, ob und wie sie im Medium zirkulieren oder ungelesen verhallen, das entscheiden die Medien sowieso nach ihren eigenen Restriktionsbedingungen.
Zur Blogschau: eine Bitte! Während das Twittern ganz gut läuft, würde ich mir noch mehr Hinweise auf soziologische (oder soziologisch interessante) Blogs wünschen. Blogs, die unter #soziologie gepostet wurden, habe ich im Blick.
Bourdieu, Pierre (1992): Homo academicus. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (1992): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
liebe Jasmin et al
ist alles gut & schön & wichtig, das mit dem soziologischen gezwitscher, wirklich. aber einige argumente pro-twitter in deinem posting leuchten mir nicht ein, und mir scheint die ganze diskussion ein wenig zu fundamentalistisch.
um mich noch schnell zu outen: ich bin begeisterte ’social media‘ nutzerin, ziemlich versierte blog- und portal-nutzende und der soziologischen wie sonstigen welt inkl. ihrer irritationen relativ aufgeschlossene Soziologin. über meine reputation kann ich logischerweise nur spekulieren. nur bei twitter habe ich bislang entschieden: nein, danke. warum? viel, viel einfacher als viele kommentare hier formulieren ist der grund der: das frisst aufmerksamkeit ohne ende. die Logik von social media beinhaltet eben auch die Dauer-, auf stand by gehaltene Kommunikation inkl. der permanenten entscheidung hinsichtlich der eigenen kommunikativen intensität. kurzum: hätte ich auch noch twitter auf’m schirm, wäre das einfach zu viel. womöglich geht es anderen auch so?
zu einigen deiner Argumenten im einzelnen:
– ‚Habitus‘ meint gerade nicht die rationale Abwägung theoretisch rationaler Möglichkeiten und empirischer Wahrscheinlichkeiten (prof y, Kommission z)! sondern der intuitive soziale sinn als praxeologische Logik. so gesehen, ist twitter m.e. tatsächlich zu kurz, zu schnell, zu unverbindlich für ‚die‘ soziologie. noch. und womöglich ‚fälschlicherweise‘. manche im fach finden ja auch zeitschriftenbeiträge im vergleich zu monographien (bei stw natürlich ;-) ) zu wenig.
– die von dir und armin nassehi bemühte ach so irritierende praxis (habitus! ;-) ), klar. aber ist nicht *jede* form der praxis prinzipiell irritierende Praxis? selbst die im engen sinne soziologische Praxis, die viel geschmähte, ist voller Irritationen. womöglich ist die suche nach ‚der‘ praxis jenseits dessen, was innerhalb der soziologie als ihr eigener mainstream gilt, die distinktionsfähigste doxische haltung innerhalb der Soziologie. oder anders: was sollte an twitter irritierender sein als der besuch des bühnenvereins, der Bühne selbst oder einer direktoriumssitzung eines soziologischen intstituts? das spricht nicht *gegen* twitter, aber macht twitter nun nicht zwingender. empirisch arbeiten zu wollen hat noch nie davor geschützt, sich gegen irritationen zu immunisieren.
so long + bald einige blog-hinweise
paula
„was sollte an twitter irritierender sein als der besuch des bühnenvereins, der Bühne selbst oder einer direktoriumssitzung eines soziologischen intstituts? das spricht nicht *gegen* twitter, aber macht twitter nun nicht zwingender. empirisch arbeiten zu wollen hat noch nie davor geschützt, sich gegen irritationen zu immunisieren.“
Das ist alles sicher richtig. Worum es mir eher geht, ist darauf aufmerksam zu machen, dass in diesem Medium viel passiert und dann aus meiner Sicht eben doch viel „Neues“, was nicht heißt, dass die Praxis bspw. des Bühnenvereins nicht ebenso interessant sein kann. (Bei der Direktoriumssitzung bin ich mir da nicht so sicher :) ) Bezüglich der skizzierten blinden Flecken (Habitus, me?): touché.
Vielleicht ist spannend an Twitter, dass es – anders als in anderen Social Media – kaum auf den ersten Blick sichtbare Selektionsmechanismen der Publika (wie die Freundschaft bei FB) oder der Hinterbühnen (wie PMs bei FB, in denen zum Beispiel Tratsch stattfindet), gibt. Das ist sehr holzschnittartig formuliert aber ich glaube, dass es eben das ist, was Anschlussfähigkeit in Twitter so (un-)wahrscheinlich macht. Sie ist bspw. nicht gut planbar, weil das Publikum potentiell unendlich groß ist…
Liebe Jasmin,
grundsätzlich stimme ich dir zu und bin auch der festen Überzeugung, dass sich „die Soziologie“ daran bereichern kann, sondern dass sich die Öffentlichkeit umgekehrt genauso an ihr bereichern kann. Und gerade hier, finde ich, liegt der Knackpunkt.
Armin Nassehi hat in seinem Kommentar (der oben verlinkte) schon erwähnt, dass es eine gewisse Übersetzungsleistung braucht und dass auch Twitter eine schöne mediale Praxis ist, derer man sich durchaus gut bedienen kann und daraus auch noch Vorteile ziehen kann. Das Problem, dass ich hier sehe, ist jedoch das völlig unberechenbare Publikum, ein Publikum, dass sich nicht einmal dadurch auszeichnet, dass es „followt“, ein Publikum, das nicht durch eine Freundesliste auch nur vage eigegrenzt werden kann oder einer gewissen Zielgruppe, die ein Blogname oder die Zugehörigkeit des Blogs zum DGS eh schon anspricht, gleichgesetzt werden kann.
Soziolog*innen publizieren – wenn ich das mal so formulieren darf – fröhlich vor sich hin und wissen ziemlich genau, von wem das Publizierte gelesen wird. Es sind hauptsächlich Soziolog*innen, Wissenschaftler*innen anderer sozialwissenschaftlicher Richtungen und Studierende. Die Reaktionen, die eine Publikation nach sich ziehen kann, sind nicht sonderlich weit gefächert: es wird zitiert, eventuell in Zeitungen kritisiert, fachintern werden Meinungen ausgetauscht – in den meisten Fällen jedoch nur stumm gelesen.
Wenn sich nun die Soziologie an Twitter heran wagt, sind die Reaktionen im Vorherein nicht abzusehen. Erstens besteht das beträchtliche Risiko des Reputationsverlustes einzelner Tweeter*innen: Der Tweet bleibt nicht „unter Soziolog*innen“, sondern wird für Trolle jeglicher Art, für „Laien-Kritiker“, für das aus-dem-Kontext-reißen zur Zielscheibe. Und dann stellt sich die Frage, die sich Jo Reichertz in einem seiner Posts gestellt hat: „Darf man zurücktrollen“, wobei man hier nicht einmal unbedingt von Trollen sprechen muss. Wie geht man damit um, wenn ein Tweet aus seinem Kontext gerissen wird? Zweitens befürchte ich, dass #Soziologie selbst gefahr läuft, Schaden zu nehmen, wenn der Hashtag sich verbreitet. Dazu empfehle ich einen Blick auf die Entwicklungen von #ineedfeminism und der Reaktion darauf: #ineedmasculismbecause.
Natürlich ist das hier nur reine Spekulation, doch sollte sich jede*r Soziolog*in über die Risiken bewusst sein, wenn sie*er sich in die unberechenbare Twitterwelt wagt. Es kann natürlich auch genau anders herum ablaufen und einen großen Reputationsverlust mit sich bringen. Es ist eben unberechenbar.
Lieber Mihael,
danke für den Beitrag und entschuldige die späte Antwort. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht so sicher, ob die Äußerungen, die wir Soziologinnen und Soziologen (in der Regel) so absetzen, sich dazu eignen, einen immensen Shitstorm anzurichten. Sind wir dafür nicht etwas zu langweilig? Die Gefährlichkeit des Mediums hast Du m.E. sehr gut und ausführlich beschrieben. Und für bspw. den öffentlichkeitswirksamen Feminismus stimmt das auch. Aber es gibt auch viele Kommunikationen, die im Medium versanden.
„Der Tweet bleibt nicht “unter Soziolog*innen”, sondern wird für Trolle jeglicher Art, für “Laien-Kritiker”, für das aus-dem-Kontext-reißen zur Zielscheibe.“
Auch das mag sein aber wie gesagt nutze ich bspw. Twitter v.a. um Informationen zu distribuieren und zu empfangen und nicht, um große Debatten zu führen. Und ja, es gibt Trolle aber man kann die – wenn es wenige sind – spamblocken. Das Tolle ist auch, dass man Menschen auf Twitter einfach ignorieren kann… Gäbe es das doch auch für all die „Laien-Kritiker“ und Alleswisser auf Tagungen oder in der Kneipe! Die Welt wäre aus meiner Sicht eine Bessere.
Liebe Jasmin,
vielen Dank für deine zwei Beiträge zu Twitter.
Ich selbst habe Twitter lange gemieden, obwohl ich dieses Tool seit geraumer Zeit mit Interesse verfolge. Im Zuge der Einrichtung meines Blogs (www.ezweinull.de) im Oktober 2012 stellte ich fest, dass die Betreibung eines Blogs ohne Leser keinen Sinn macht. Um potenzielle Leser zu erreichen, richtete ich mir neben Facebook, das ich schon länger intensiv nutze, noch einen Twitter Account ein.
Meine Erfahrungen sind sehr positiv. Diese können die teilweise hier geäußerten Bedenken gegenüber der Anwendung entkräften:
a) Twitter kann einerseits die eigene Reputation aufgrund von „dummen“ Kommentaren schädigen aber andererseits indirekt steigern. In meinem Fall wurde ich durch Twitter auf zahlreiche Ergebnisse von aktuellen Studien aufmerksam, die bisher nur in Form von Präsentationen oder Whitepapers vorliegen. Bis sie als Bücher erscheinen, vergehen ja meistens ein bis zwei Jahre. Da mein Dissertationsthema (Einfluss von Web 2.0 auf Organisationen) sehr aktuell ist, gibt es kaum Publikationen aus der Forschung und ich bin glücklich über Ergebnisse, die vor der klassischen Publikation veröffentlicht werden. Durch Twitter steigt demnach die Qualität meiner Arbeit, was eventuell auch auf die Reputation mittelfristig Auswirkungen haben wird.
b) In der soziologischen Szene wird seit längerem und auch hier über eine stärkere Sichtbarkeit des eigenen Faches außerhalb der Soziologie diskutiert. Durch den Blog und Twitter wurde ich für Leute aus der Praxis sichtbar. Luhmann würde sagen, die Chance der Anschlusskommunikation stieg. Realisierte Anschlusskommunikation entstand durch Einladungen zu informellen Gesprächen mit Mitarbeitern bei Berliner StartUp-Szene, Einladungen zu Fachgruppen auf Facebook und Google+ sowie Einladungen zu Vorträgen auf Konferenzen (Cebit / Enterprise 2.0 Summit in Paris). Eine schöne Sache war die Beteiligung an der Ausarbeitungen von „13 Thesen zu den Problemen bei der Enterprise 2.0-Einführung und Nutzung“. All diese Anschlusskommunikation wäre ohne Blog+Twitter nicht oder deutlich später möglich geworden. Nebenbei sei erwähnt, dass die Diskussionen natürlich die Arbeit an der Dissertation bereichern und ich zusätzlich Motivation bekam, die man manchmal in der Dissertationsphase gut gebrauchen kann. ;)
c)Aussagen ala „ich nutze schon Facebook, wozu brauche ich dann noch Twitter“ sind nicht zielführend, da sie nicht beachteten, dass die einzelnen Kommunikationskanäle unterschiedliche Funktionalitäten aufweisen und wir mehr auf das Wie schauen sollten. Also auf welcher Art und Weise werden die einzelnen Kanäle genutzt. In meinem Fall habe ich bei Facebook fast ausschließlich Leute in meiner „Freundesliste“, die ich irgendwann mal physisch kennen lernte. Nur ein kleiner Teil davon interessiert sich für meinen wissenschaftlichen Kram. Mehr Anschlusskommunikation entsteht jedoch bei Fotos, politischen Themen, Katzenvideos oder Beschwerden über das Wetter. Ich will damit sagen, im Newsfeed ist alles mögliche und es ist unmöglich, den Überblick zu behalten. Bei Twitter gibt es im Gegensatz zu Facebook eine Suchfunktion, die noch nicht toll ist, aber immerhin sie ist da. Deshalb wissen wir überhaupt, wie viel zu Soziologie geschrieben wird. Ein weiterer Vorteil für mich ist: dort finde ich mehr wissenschaftlich relevante Informationen. Die Ursache liegt in den unterschiedlichen Follower/Freundeskreisen. Ich habe nur wenige Twitternutzer bei mir in Facebook. Natürlich können die Verbindungen auch genau anders herum aufgebaut sein, also Facebook nur Leute, die oft wissenschaftlich relevantes Posten und Twitter Freunde und Bekannte ABER dies ist sehr unwahrscheinlich, da Twitter und Facebook Möglichkeitsräume des sozialen Handelns offerieren, die meine dargestellte Nutzungserfahrung wahrscheinlicher macht. Dennoch entscheiden am Ende immer wir, also der/die einzelne NutzerIn, wie wir die einzelnen Anwendungen nutzen.
Gerade bestätige ich ein Stereotyp von SoziologInnen: Sie schreiben viel zu viel und können sich nicht kurz fassen. Deshalb zum Abschluss nur noch ein Punkt, der auch mit diesem Stereotyp zusammen hängt: Eine wesentliche Kritik von befreundeten Doktoranden anderer Fachbereiche ist, dass soziologische Texte oft kaum verständlich sind, da die benutzte Sprache sehr schwierig ist. Dem stimme ich zu, weshalb mehr Kontakt zwischen SoziologInnen und den „Anderen“ zu begrüßen ist. Der Kontakt über Blogs, Twitter usw. zwingt uns, aufgrund der unberechenbaren Follower, zu mehr Übersetzungstätigkeit und zur Kürze. Ist dies schlecht? Ich denke nicht.
Gute Nacht :)
Lieber René, danke für den Kommentar. Ich möchte Dir eigentlich nur ganz oft recht geben, beschränke das aber mal auf zwei Punkte:
„In meinem Fall wurde ich durch Twitter auf zahlreiche Ergebnisse von aktuellen Studien aufmerksam, die bisher nur in Form von Präsentationen oder Whitepapers vorliegen.“
Das geht mir ganz genau so. Hätte ich nicht erwartet, aber die Varianz ist m.E. viel höher als durch Mailinglisten und ähnliche Medien… Ich habe allerdings oft Sorge, etwas zu verpassen. Wie oft werden wohl Infos auf Twitter wiederholt, frage ich mich.
Ich habe mich mit Twitter zunächst „nur“ auseinandergesetzt, weil ich dazu geforscht habe. Also ein zunächst sehr instrumenteller Zugang. Inzwischen finde ich es fast interessanter als Facebook, eben weil es ganz anders funktioniert und viel weniger durchschaubar ist. Aber mehr als in anderen Social Media musste ich mich an Twitter lange „gewöhnen“. Ich kann nicht genau sagen, woran das liegt.
Herzlich JS