Die Sharing Economy bewegt die Gesellschaft. Die Proteste französischer Taxifahrer gegen den Mitfahranbieter Uber und das verschärfte Zweckentfremdungsverbot für Berlin, das vor allem gegen Übernachtungsanbieter wie Airbnb gerichtet ist, verdeutlichen dies eindrucksvoll. Was kann eine soziologische Analyse dazu beitragen, das offenbar nicht friktionslose Verhältnis von teilender Wirtschaft und Gesellschaft besser zu verstehen?
Eine Menge, beginnend mit der Konkretisierung der Sharing Economy als sozioökonomisches Phänomen. In der betriebswirtschaftlichen Forschung (Puschmann & Alt 2016) und Praxis liegt gegenwärtig eine beachtliche Vielfalt an weitgehend abstrakten Konzepten vor, die ferner kaum gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen – die Soziologie kann hier Klarheit schaffen.
Im Kern geht es bei der Sharing Economy um das zeitlich begrenzte Teilen von Ressourcen (etwa Wohnraum oder Gebrauchsgegenständen) oder Arbeitskraft (etwa zur Erledigung von kleineren Aufgaben) gegen oder ohne Entgelt. Auf diesem Grundverständnis aufbauend konkretisieren erste soziologische Untersuchungen, dass sich das Teilen in der Sharing Economy von der institutionalisierten Form klar unterscheidet (Schor & Fitzmaurice 2015). So interagieren etwa einander unbekannte individuelle Akteure, die über ein hohes kulturelles Kapitel (Bourdieu 1983) verfügen.
Eine zweite potentielle Leistung der Soziologie besteht in einer Kritik der Sharing Economy. Zwar finden sich bereits zahlreiche kritische Betrachtungen der Verheißungen der Sharing Economy in der nationalen Presse, internationalen Presse und auf dem Buchmarkt. Jedoch kann soziologische Forschung im Rückgriff auf etablierte Ansätze – etwa dem neuen Geist des Kapitalismus (Boltanski & Chiapello 2003) oder den Kontrollkonzepten auf Märkten (Fligstein 2001) – eine Kritik der Sharing Economy üben, die die negativen Konsequenzen der Sharing Economy im Detail und vor allem empirisch fundiert freilegt.
Drittens kann die Soziologie potentiell eine Differenzierung der Sharing Economy leisten. Denn teilen ist nicht gleich teilen: so hat ein im Silicon Valley ansässiger Anbieter mit Benutzern auf der ganzen Welt nur mäßig mit Berliner Sharing Economy Intiativen wie Leihläden, Coworking-Spaces oder Gemeinschaftsgärten gemeinsam – außer, dass alle als Sharing Economy Initiativen im weiteren Sinn eingestuft werden können. Die Sharing Economy ist facettenreich. So variiert etwa sowohl der Interaktionspartner (Schor & Fitzmaurice 2015) – zum einen individuelle Akteure untereinander (peer2peer), zum anderen individuelle Akteure und Unternehmen (business2consumer) – als auch der Einfluss von kulturell eingebetteten Deutungsmustern und sozialen Beziehungen – den „circuits of commerce“ (Zelizer 2005) – auf das Teilen der Sharing Economy.
Soziologische Forschung kann analog zu dem politökonomischen Konzept „Varieties of Capitalism“ (Hall & Soskice 2001) zentrale Kategorien herausarbeiten, um „Varieties of Sharing Economy“ zu theoretisieren. Beispiele für derartige Kategorien sind, welche Framing Strategien (Benford & Snow 2000) Sharing Economy Initiativen anwenden, wie sich diese Initiativen organisieren (Rao et al. 2000) und welche Rolle Gemeinschaften spielen. Das Verhältnis von Organisationsform und Gemeinschaft steht im Mittelpunkt einer Studie an der Hertie School of Governance, die von Johanna Mair und mir in Berlin durchgeführt wird und die Teil des deutschlandweiten Forschungsprojektes i-share ist.
Die drei exemplarischen soziologischen Herangehensweisen können dazu beitragen, das Verhältnis von teilender Wirtschaft und Gesellschaft besser zu verstehen. Die gewonnenen Einsichten können ferner über die Ränder des Wissenschaftssystems hinauswirken und, ganz im Sinne einer public sociology, der Öffentlichkeit Deutungsangebote bereitstellen – was angesichts der Dynamik, die gegenwärtig von der Sharing Economy ausgeht, absolut relevant ist.
Literatur
Benford, Robert D. & David A. Snow (2000): Framing Processes and Social Movements: An Overview and Assessment. Annual Review of Sociology, 26 (1), 611-639.
Boltanski, Luc & Ève Chiapello (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz, UVK.
Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Göttingen, Schwartz, 183-198.
Fligstein, Neil (2001): The Architecture of Markets: An Economic Sociology for Twenty-first-century Capitalist Societies. Princeton, Princeton University Press.
Hall, Peter A. & David W. Soskice (Hrsg.) (2001): Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage. Oxford, Oxford University Press.
Puschmann, Thomas und Rainer Alt (2016): Sharing Economy. Business & Information Systems Engineering, 58 (1), 93-99.
Rao, Hayagreeva, Calvin Morrill & Mayer N. Zald (2000): Power Plays: How Social Movements and Collective Action Create New Organizational Forms. Research in Organizational Behavior, 22, 237-281.
Schor, Juliet B. & Connor J. Fitzmaurice (2015): Collaborating and Connecting: The Emergence of the Sharing Economy. In: Lucia A. Reisch & John Thøgersen (Hrsg.): Handbook of Research on Sustainable Consumption. Cheltenham, Edward Elgar, 410-425.
Zelizer, Viviana A. (2005): Circuits within Capitalism. In: Victor Nee und Richard Swedberg (Hrsg.): The Economic Sociology of Capitalism. Princeton, Princeton University Press, 289-321.