Die Corona-Pandemie wird nicht nur als Paradefall für Wissenschaftskommunikation gehandelt, sondern sie gibt auch einen besonders interessanten Fall für die empirische Wissenschaftskommunikationsforschung ab [i] . Selten waren Wissenschaftlerinnen derart präsent in den Medien wie in der aktuellen Krisensituation. Besonders der Podcast von NDR-Info „Das Coranavirus-Update mit Christian Drosten“ hat sich zum Publikumsmagneten entwickelt. Gestartet Ende Februar 2020, hat der werktägliche Podcast von Beginn an eine enorme Reichweite entwickelt mit inzwischen rund acht Millionen täglichen Downloads. Drosten, Professor und Leiter des Instituts für Virologie an der Charité Berlin, ist hierzulande die Stimme und das Gesicht der Wissenschaft in der COVID-19-Krise. Aber gerade der Hype um seine Person wird, wie er selbst betont, inzwischen zu einer besonderen Bürde. Aus der Medialisierungsforschung sind solche Personalisierungseffekte in der Wissenschaftskommunikation bekannt. Es stellt sich hier die grundsätzliche Frage, ob ein Mehr an Wissenschaftskommunikation nicht auch nichtintendierte Nebenfolgen produziert, die dem Vertrauen in Wissenschaft und damit der Legitimation politischer Entscheidungen eher schaden als nützen.
„Medienkonflikte der Wissenschaft: Zur Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Corona (Teil 1)“ weiterlesenAuf unbestimmte Zeit geschlossen. Stimmungsbilder aus dem Kiez
Seit fünf Tagen gelten bundesweit neue Maßnahmen im Umgang mit dem Corona-Virus. Statt eine Ausgangssperre zu verhängen, haben sich Bund und Länder am Sonntag auf ein erweitertes Kontaktverbot verständigt. Geltungsdauer: mindestens zwei Wochen. Seither ist es nur noch erlaubt alleine bzw. höchstens mit einer Person (außerhalb der Familie) nach draußen zu gehen.
#StayAtHome ist und bleibt die Devise, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Ausgangssperre – hin oder her?
Es ist Samstag. Die Corona-Krise bestimmt immer stärker unser tägliches Leben. Seit meinem letzten Blogpost vor fünf Tagen hat sich die Zahl der Infizierten hierzulande von 5.813 auf 20.705, die Zahl der am Corona-Virus Verstorbenen von 13 auf 72 erhöht. Eine dramatische Entwicklung der Fallzahlen war vorherzusehen. Anfang letzter Woche wurden deshalb seitens der Bundesregierung weitere Maßnahmen angekündigt, um die dynamische Ausbreitung zu verlangsamen. Neben der bundesweiten Schließung von Kitas und Schulen betrifft dies nun auch die Schließung von Einzelhandelsgeschäften jenseits der Grundversorgung des täglichen Bedarfs (Supermärkte, Apotheken, Poststellen etc.), deren Umsetzung Sache der Länder ist und nun sukzessive erfolgt. In Bayern wurde die Geschäftsschließung auch auf Friseure, Bau- und Gartenmärkte ausgeweitet. In Berlin wurden am Mittwoch die Öffnungszeiten von Restaurants und Gaststätten reduziert auf die Zeit zwischen 6 und 18 Uhr, in Rheinland-Pfalz sind sie ab heute sogar ganz für den Publikumsverkehr geschlossen, Abhol- und Lieferservices bleiben erhalten.
„Ausgangssperre – hin oder her?“ weiterlesenGesellschaft unter Spannung. Was kann die Soziologie zur Bewältigung der Corona-Krise beitragen?
Jedes Gespräch, ob privat oder beruflich, ist momentan von einem einzigen Thema dominiert und das ist der individuelle und gesellschaftliche Umgang mit dem Corona-Virus. Der Ausbruch des Corona-Erregers wurde von der WHO inzwischen als Pandemie eingestuft, nach dem ersten Ausbruch in China sind inzwischen offenbar 148 Länder betroffen. Innerhalb der letzten Woche hat sich auch hierzulande die Krisensituation massiv verschärft. Die Gesellschaft steht enorm unter Spannung [i]. Aus diesem Grund weiche ich jetzt von meinem ursprünglichen Schreibplan des Blogs ab, um den Fokus auf die derzeitige Krise und ihre Bewältigung zu richten. Es erfolgt allerdings keine Analyse, sondern zunächst eine Dokumentation der dynamischen Entwicklung der letzten Tage, verbunden mit der offenen Frage: Welches Wissen kann und sollte speziell die Soziologie zur Krisenbewältigung beitragen?
„Gesellschaft unter Spannung. Was kann die Soziologie zur Bewältigung der Corona-Krise beitragen?“ weiterlesenDas Medium 2.0 ist die Botschaft (2/2)
Bloggen für oder gegen den Ruhm?
Kann sich das Schreiben eines Blogs für eine Wissenschaftlerin lohnen? Aus reputationstaktischer Sicht sicher nicht. Dies ungeachtet dessen, dass in einigen Fächern der Ruf laut wird, ein „digital scholarship“ [i] auszubilden. Hier und anderswo ist es der begutachtete Fachartikel, der auf das Reputationskonto einzahlt. Alles andere, ob Sammelbandbeiträge, aufwändige Rezensionen oder eben Blogbeiträge sind in der Regel nicht peer-reviewed, daher zählen sie (vielerorts) nicht [ii]. Wissenschaftliche Karrierefibeln würden einem daher raten, sie gar nicht erst zu schreiben. Warum aber der standardisierte und begutachtete Aufsatz zum Goldstandard im eigenen Fach zu werden scheint, bleibt in einer Hinsicht rätselhaft. Dafür muss man nur auf die experimentellen Naturwissenschaften schauen, allen voran die Biowissenschaften, in denen die Definitionsmacht bestimmter Zeitschriften über wissenschaftliche Qualität ihren Anfang genommen hat. Mit der globalen wissenschaftlichen Expansion und der Anwendung journalbasierter Indikatoren und Ratings wurde die Was-Frage durch die Wo-Frage abgelöst, „publish-in-top- journals-or-perish“.
„Das Medium 2.0 ist die Botschaft (2/2)“ weiterlesenDas Medium 2.0 ist die Botschaft (1/2)
Das Schöne an Blogs ist, dass sie kommunikative Freiräume generieren. Weder Thema, Stil noch Zeichenlänge sind vorbestimmt. Ich kann also schreiben, was und wie ich es will in den kommenden zwei Monaten, in denen ich den SozBlog bespielen darf. Ich muss mich nicht mit rigiden Formatrichtlinien herumschlagen. Kein Verlag und keine Deadlines sitzen mir im Nacken. Einzig das imaginierte Publikum bildet ein Korrektiv, das mein Schreiben in gewisse Bahnen lenkt. Wen dieser Blog tatsächlich erreicht und wie er aufgenommen wird, ist unklar. Das ist und war auch bei gedruckten Publikationen nicht anders. Der Unterschied liegt vielmehr in dem Hervortreten der Person hinter dem Text und der Möglichkeit, mit ihr direkt ins Gespräch zu kommen. Die Haltung der eigenen Fachcommunity Blogs und anderen sozialen Medien gegenüber scheint insgesamt bislang eher zurückhaltend bis skeptisch. Warum eigentlich?
„Das Medium 2.0 ist die Botschaft (1/2)“ weiterlesenRassismus ist rational. Zumindest ein bisschen, zumindest in einem gewissen Sinne
In[1] den aktuellen Diskussionen über den Aufstieg der radikalen Rechten werden Rationalität und Rassismus immer wieder als einander ausschließende Größen verhandelt – und zwar von zwei sehr verschiedenen Positionen aus.
„Rassismus ist rational. Zumindest ein bisschen, zumindest in einem gewissen Sinne“ weiterlesenEin kurzer Überblick über den aktuellen Zustand des Rades anstatt eines weiteren Entwurfs für seine Neuerfindung: Cas Muddes „The Far Right Today“
Dass eine Partei rechts von der Union in den Bundestag und im großen Rahmen in Landesparlamente einzieht, ist in der jüngeren deutschen Geschichte ein Novum.[1] Der sich so einstellende Eindruck einer Zeitenwende wurde durch zeitgleiche Entwicklungen in den USA (Trump) und dem Vereinigten Königreich (Brexit) noch verstärkt. Entsprechend ist die publizistische und wissenschaftliche Debatte über den jüngeren Aufstieg der Rechten hierzulande durch die Wahrnehmung geprägt, dass es sich um ein neues Phänomen handele, das neuer Erklärungen und Kategorisierungen bedürfe.
„Ein kurzer Überblick über den aktuellen Zustand des Rades anstatt eines weiteren Entwurfs für seine Neuerfindung: Cas Muddes „The Far Right Today““ weiterlesenZwei Enden der Demokratie, wie wir sie zu kennen glaubten. Über Regierungsbildung und Rechtspopulismus
Die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst 2019 sind alles andere als repräsentativ für die politische Landschaft in Deutschland: Zusammengenommen leben in den drei Ländern nicht viel mehr Menschen als in Niedersachsen allein und die Wahlneigungen sind weit vom Bundesdurchschnitt entfernt. Gerade deshalb zeigt sich jedoch in diesen Landtagswahlen eine Problemlage besonders deutlich, die (nicht nur) die bundesdeutsche Politik in den nächsten Jahren prägen wird: Welche Mehrheiten lassen sich nach dem Aufstieg des Rechtspopulismus noch finden und welche Konsequenzen haben diese Mehrheitsfindungsprozesse für die Demokratie?
„Zwei Enden der Demokratie, wie wir sie zu kennen glaubten. Über Regierungsbildung und Rechtspopulismus“ weiterlesenSechs Projektanträge, die gestellt werden müssten. Teil VI einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns
Cornelia Koppetschs in Gesellschaft des Zorns formulierte Analyse steht (zumindest im Groben) nicht in Widerspruch zu den bekannten empirischen Daten. Jedoch ist es andersherum keinesfalls so, dass das verfügbaren empirische Material tatsächlich hinreichte, um ihre Analyse in Gänze zu stützen. Basierend auf verhältnismäßig wenigen Datenpunkten zeichnet Koppetsch ein Bild, das in erheblichen Teilen auf Extrapolationen und Schätzungen beruht, für die es bislang keine hinreichende Evidenz gibt.
„Sechs Projektanträge, die gestellt werden müssten. Teil VI einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns“ weiterlesenWas heißt „die Wähler_innen der Rechten ernst nehmen“? Teil V einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns
Bisher habe ich vor allem zwei verwandte Aspekte problematisiert, die für Koppetschs Erklärung rechtspopulistischer Mobilisierungserfolge zentral sind: zum einen ihre Darstellung kosmopolitischer Milieus (Teil II), zum anderen ihre These einer liberal-kosmopolitischen Hegemonie (Teil IV). In diesem fünften Teil gehe ich nun auf einen Aspekt ein, der im Buch gerade durch seine Abwesenheit auffällt, nämlich den Nationalsozialismus. Ausgangs- und Endpunkt bildet dabei die Frage, was die vielfach proklamierte Forderung, man solle die Wähler_innen der Rechten ernst nehmen, eigentlich bedeutet.
„Was heißt „die Wähler_innen der Rechten ernst nehmen“? Teil V einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns“ weiterlesenHegemonie? Welche Hegemonie? Teil IV einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns
In den ersten drei Teilen dieser Kritik ging es vor allem um Koppetschs Modellierung der sozialstrukturellen Transformationen, die sie als Grundlage für die rechtspopulistischen Mobilisierungserfolge der letzten Jahre ausmacht. Diese Modellierung erwies sich in Teilen als überzeugend und innovativ, in anderen aber als fragwürdig – insbesondere in Bezug auf die Darstellung der „Kosmopolit_innen“ als soziale Gruppe. In diesem vierten Teil geht es nun um ein verwandtes Problem auf einer anderen Ebene, nämlich um Koppetschs These, es bestehe eine liberal-kosmopolitische Hegemonie, gegen die sich der Rechtspopulismus als antihegemonialer Protest richte. Diese These verdient auch deshalb eine ausführliche Diskussion, weil sie in den öffentlichen Debatten der letzten Jahre so allgegenwärtig ist, dass die „liberale Hegemonie“ vielen als fraglos gegeben zu gelten scheint – obwohl sie selten systematisch diskutiert wird.
„Hegemonie? Welche Hegemonie? Teil IV einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns“ weiterlesenEin Kampf um Gesellschaft(sbilder). Teil III einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns.
Philipp Rhein
[Diesen dritten Teil der Serie von Blogbeiträgen hat Philipp Rhein verfasst, mit dem ich das Buch intensiv diskutiert habe. Philipp Rhein ist Doktorand der Soziologie an der Universität Tübingen und Ko-Autor des Buches Die Wissenschaftssoziologie Pierre Bourdieus (Springer 2018). Teil I der Serie, in dem Koppetschs Position im Kontext skizziert wird, findet sich hier, Teil II, in dem ich ihre Darstellung des Kosmopolitismus problematisiere, hier. (Floris Biskamp)]
„Ein Kampf um Gesellschaft(sbilder). Teil III einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns.“ weiterlesenDer Kosmopolitismus als Bösewicht. Teil II einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns
Zwei Bösewichte und kein_e Held_in
In Gesellschaft des Zorns erzählt Cornelia Koppetsch eine Geschichte, in der es keine Held_innen, aber gleich zwei Bösewichte gibt. Freilich verbietet es die soziologische Etikette, explizit in Begriffen von Gut und Böse zu sprechen. Aber außerhalb von Kindermärchen bedarf es dieser Worte auch gar nicht, um die moralische Wertung kenntlich zu machen – die Schilderung der Taten und Absichten reicht aus.
„Der Kosmopolitismus als Bösewicht. Teil II einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns“ weiterlesenAlter Wein in anregender Mischung: Cornelia Koppetschs „Gesellschaft des Zorns“ im Kontext
Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns ist ein anregendes Buch. Dies wurde quer durch die deutschen Feuilletons festgehalten – und es wurde zu Recht festgehalten. Anregend ist das Buch aber nicht, weil die darin gegebenen Antworten durchwegs überzeugen könnten, sondern weil es zahlreiche Fragen aufwirft und zum Widerspruch herausfordert. In einer Serie von Blogbeiträgen (vermutlich vier bis sechs, je nach Ausdauer) diskutiere ich einige der Fragen und formuliere ich einige der Widersprüche.[1]
„Alter Wein in anregender Mischung: Cornelia Koppetschs „Gesellschaft des Zorns“ im Kontext“ weiterlesen