Darf man zurücktrollen?

Im Anschluss an meinen letzten Blog haben der ‚Beobachter der Moderne’ und ‚kusanowsky’ eine interessante Diskussion über das Trollen (= Schmähen von Blogschreibern – ‚hate speech’ – füreinander Unbekannte beschimpfen sich aus der Ferne; geschieht meist anonym, aber nicht immer) begonnen – mit jeweils ausführlichen Verweisen auf Arbeiten von ihnen zu diesem Thema http://soziologie.de/blog/?p=920#comments. Noch weiß ich nicht, wessen Argumente mir mehr einleuchten. Dazu bedarf es wohl noch weiterer Information (und Erfahrungen) über das Trollen. Die möchte ich hiermit erfragen.

Ganz brennend interessiert mich, ob man auch zurücktrollen darf. Ich muss gestehen, dass es mir manchmal in den Fingern juckte, einigen meiner Kommentatoren/innen ihr Verhalten zurück zu spiegeln – kurz und knackig natürlich! Aber darf man das, verbieten das die Etiquette des Bloggens? Und was passiert, wenn man es tut? Entwickeln sich dann Trollkaskaden oder gar Trollkriege, bilden sich Gruppen, die gemeinsam trollen? Und wer bestimmt, wer gewonnen hat? Es wäre gerade für Soziologen/innen interessant, das einmal genauer zu erforschen.

Gibt es bereits empirische Untersuchungen über die Formen und Verläufe des Trollens? Was besagen die? Weiß man etwas über die Trolle? Sind es die ewig Zukurzgekommenen, die sich aber gern anonym als Durchblicker gebärden oder wer sind sie? Gibt es notorische Trolle? Sind Trolle eher männlich oder eher weiblich? Welchen Gewinn bringt das Trollen (für die Trolle und für die Mitleser/innen)? Macht Trollen Spaß? Weshalb wird nicht auf Tagungen getrollt, weshalb nicht in Zeitschriften?

Oder findet sich das Trollen auch auf (wissenschaftlichen) Tagungen und in Zeitschriften – nur in etwas anderer Form?

37 Gedanken zu „Darf man zurücktrollen?“

  1. trolle finden sich im deutschsprachigen Raum besonders gerne in den Heise-Computerforen (heise.de, unter den artikeln). Es gibt durchaus ausführliche ethno-theorien zu den trollen. Interessant sind auch ähnliche Phänomene, die man unterscheiden sollte: den klassischen flame-war bzw. den editor war (besonders schön: http://de.wikipedia.org/wiki/Editor_War ).

    In anderen Foren wird teilweise quasi „nur“ getrollt, am bekanntesten ist hierbei vermutlich 4chan, aus dem schließlich aber die Anonymous „Bewegung“ hervorging.

    Es sollte zu all den Phänomenen durchaus ein wenig Literatur geben – hoffe ich zumindest! (habe noch nicht recherchiert)

  2. „Don’t feed the troll …“ ;-)

    Es gibt auch Blogschreiber, die ihre Besucher/-innen schmähen, indem sie ihnen z.B. Schmarotzertum – nur nehmen (lesen) und nicht geben (kommentieren) – unterstellen. Kann schon sein, dass derart Geschmähte (1.500 Aufrufe!) dann eine Retourkutsche fahren (oder das Weite suchen). Als Trollen würde ich das aber nicht bezeichnen – eher als kurzen Schlagabtausch*. Signalisiert immerhin noch Interesse – oder nicht?

    Etiquette des Bloggens? Ich glaube, „normaler“ Anstand reicht. Kurzes und knackiges Spiegeln inbegriffen.

    Beste Grüße

    *Wer austeilt, sollte auch einstecken können.

  3. Zur Klärung der Bedeutungsimplikationen des Begriffs ‚Trollen‘ http://en.wikipedia.org/wiki/Troll_(Internet) könnte es auch hilfreich sein die Etymologie heranzuziehen. Einerseits verweist ein Troll als mythologisches Wesen auf bestimmte Kommunikationsmuster wie dem ‚hate speech‘. Andererseits impliziert es auch übernatürliche Eigenschaften, die mit der Möglichkeit der anonymen Kommunikation in Verbindung gebracht werden können. Wäre es nicht beispielsweise denkbar, dass einzelne Personen ihre verbalen Attacken unter verschiedenen Pseudonymen Vervielfältigen um den Anschein vieler Gegner herzustellen?

    1. Die detaillierte Begriffsklärung von kusanowsky verweist auch in vielen Hinsichten auf Aspekte, die als scheinbar übernatürlich interpretiert werden können.

  4. „ob man auch zurücktrollen darf. Ich muss gestehen, dass es mir manchmal in den Fingern juckte, einigen meiner Kommentatoren/innen ihr Verhalten zurück zu spiegeln – kurz und knackig natürlich!“

    Ja, das wäre der Reiz daran. So käme man weiter. Allerdings gilt: man macht sich mit dem, was man als zulässig freigibt, ansprechbar auf eben dasselbe. Wer Spaß für zulässig hält, macht sich für den Spaß anderer ansprechbar. Und Spaß, sofern er kommunikativ relevant wird, macht sich erkennbar durch die Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Schamgefühl anderer. Und da in Fragen des Schamgefühls keine Klarheiten zu ermitteln sind, ist eine Eskalation nicht zu vermeiden. Begrenzt werden könnte sie allenfalls dann, wenn die Beteiligten für einander bekannt sind, wenn also Strukturen ermittelbar sind, die eine Anschlussfähigkeit für Regelerwartungen liefern und wenn Verbindlichkeiten zwischen den Beteiligten, wenn nicht schon vorhanden, doch zumindest erwartbar werden. Und solange das das Fall ist, geht das Trollen nicht. Natürlich können Leute, die sich kennen, sich gegenseitig beleidigen oder miteinander scherzen. Aber dann liefert dies Anlässe für sich selbstbestätigende Strukturen. Gilt für Spaßkommunikation wie für alles andere auch.
    Trollen ist nicht Spaß-, Hass- oder Beleidigungskommunikation, sondern: die beständige Sabotage von Erwartungserwartungen, die darauf angepasst ist, DASS Erwartungen Stabilität erwarten, weshalb dies ohne Anonymität gar nicht geht. Und sollten sich im Verlauf einer Sequenz ansprechbare Adressen stabilisieren, indem Anonymität eingeschränkt wird, dann wird auch die Möglichkeit der Trollerei eingeschränkt, weil ja Strukturen der Bekanntheit, Vertrautheit oder Gewohnheit entstehen, die wissen lassen können, womit man zu rechnen hätte. Aber: rein prinzipiell weiß man nicht, wer mitliest, wer woanders kommentiert (bei Facebook etwa) und wer als nächstes sich beteiligt oder wer mehrfach beteiligt ist. Das meint: soziale Serendipität – also nicht mehr ein psychischer Überrraschungseindruck, sondern ein Zusammenwirken vieler in Hinsicht auf die Ausbildung von Strukturen der Anonymität. Und die weiterführende Frage wäre, ob nicht gerade diese strukturelle Anonymität auch auf die operative Ebene der Kommunikation durchschlägt.

    Wenigstens ist nicht eindeutig erkennbar, dass ich beispielsweise nur unter einer Adresse hier schreibe, was für jeden anderen auch gilt.

    Insofern ist die Frage nach dem „Dürfen“ ziemlich überflüssig. Machen Sie es doch. Probieren geht über studieren. Kommentieren Sie ihren eigenen Artikel oder die Kommentare anderer unter anderem Namen. Und warten Sie die Ergebnisse ab.
    Meine Erfahrung in dieser Hinsicht besagt, dass das so einfach nicht ist und sehr viel Geduld erfordert, sehr viel Aufwand, für den man nicht belohnt wird. Aber wissenschaftlich interessant (in alten Sinne des Wortes) kann das durchaus sein. Aber reputationsfähig ist diese Art der Empiriegewinnung nicht.

  5. Manche Trolle haben es nötig, die Aufmerksamkeit durchs Trollen zu erheischen, weil sie sich anders nicht (mehr) zu helfen wissen, einen Zuleserkreis zu erreichen. Piratenforen zum Thema Bildung sind ein hübsches Beispiel hierfür … und die Trolle dort sind auch nicht anonym, was jetzt wahrscheinlich wieder eine dieser Regeln zur Definition des Trollseins kippt *gg*

    1. Diese Trollerei ist mit den bekannten Methoden der empirischen Sozialforschung nicht zu beschreiben, und zwar deshalb nicht, weil man niemanden fragen kann, was das soll. Denn jede Antwort, sofern sie erwartbar ist und als solche in Erwartungserwartungen eingehängt werden kann, liefert nur bekannte Einsichten über Motive, Absichten, Begründe, Bedürfnisse usw. Auf diese Weise erhält man Auskünfte von Menschen über Menschen, die auf diese oder jene Weise von der Wissenschaft interpretiert und auf die Menschen zugerechnet werden. Aber was wäre gewonnen außer den Einsichten, die man ohnehin schon kennt? Und wenn das so wäre, dann wäre diese Trollerei gar nicht auffällig. Auffällig wird sie aber gerade deshalb, weil bekannte Verfahrensweise nicht greifen.
      Ich habe versucht, die Schwierigkeiten zu erläutern:

    1. ‚Aufmerksamkeit‘ kann nicht wirklich die ganze Antwort sein. Die zielt immer auch auf Anerkennung von anderen. Dazu muss man aber irgendwie erkennbar sein. Sonst kann man sich die Anerkennung nur selbst geben – und das ist ziemlich fade.

      Wichtig schient mir zu sein, dass es sich um aggressives Verhalten handelt. Trollen ist so eine Art gefahrlose Attacke, da man ja aus dem Dunkeln agiert und im Dunklen bleiben will. Man braucht deshalb auch die Folgen nicht zu fürchten. Trollen wäre somit ein Versuch, gefahrlos anzugreifen.

      Trolle brauchen auch nicht eine konkrete Person, also eine, die ihnen etwas angetan haben (auch das scheint mir wichtig). Trollen kann sich offensichtlich gegen jeden richten.

      Die auch soziologisch interessante Frage ist, weshalb es für manche Menschen Sinn macht, richtungslos und gefahrlos aggressiv zu sein.

      Vielleicht weil es in westlichen Gesellschaften (mittels geteilter Ächtung) zu einer enormen Bändigung und Einhegung von aggressiven Verhalten gekommen ist? Was tun die, die ihre aggressiven Energien nicht (wie gefordert) in gesellschaftlich sinnvolle Arbeit (z.B. Schreiben) sublimieren können?

  6. „Trollen wäre somit ein Versuch, gefahrlos anzugreifen.“

    Ich will diese Überlegungen gar nicht zurück weisen. Ich will nur fragen: wie findet man das heraus? Zunächst ganz jenseits der Frage, ob die Erforschungsmethode eine wissenschaftliche ist oder nicht.

    Wenn ich Sie hier an dieser Stelle öffentlich beleidigen würde, dann wäre dies keine Trollerei. Weil: ich eine Adresse hinterlasse (eine Blog-Adresse öffentlich, dort eine Twitter-Adresse und eine Mail-Adresse, verdeckt durch das Blogformular hier). Wenn schon die Mailadresse nicht zuverlässig wäre, so zeigt wenigstens die Blogadresse eine wiederholbare Ansprechbarkeit. Ich selbst bin zwar nicht sehr bekannt, aber auch nicht gänzlich unbekannt – und für Sie gilt etwas Ähnliches, zzgl. der Tatsache, dass Ihre Adresse durch eine Referenz der DGS plausibel wird. Sie hätten eine einfache Möglichkeit den Grund für eine Beschimpfung zu erfragen, entweder bei mir selbst oder – wenn Sie Twitter bentutzen – bei anderen Nutzern, die mir folgen. Oder auch einfach hier, indem Sie einen Kommentar abgeben mit der Frage nach einem Grund. Ob nun eine Antwort kommt, ob sie glaubwürdig ist, ist zunächst eine andere Frage, allein, es reicht, dass eine wiederansprechbare Adresse im Spiel ist, die nicht gänzlich anoym ist.
    Soweit wäre dieser Fall gänzlich uninteressant, weil der Zusammenhang wenigstens die Möglichkeit eröffnet, für Abhilfe im Fall der Ratlosigkeit zu sorgen.
    Was wäre nun, ein Nutzer würde Sie hier unter dem Namen „Gottes Stellvertreter“ beschimpfen und im Blogformular die Adresse: „nomail@himmel.com“ hinter lassen?
    Sie hätten nur die IP-Adresse, mit der Sie den Standort des Terminals lokalisieren können, von welchem aus diese Nachricht abgeschickt wurde und Sie können vergleichen, ob diese IP-Adresse schon einmal im Kommentar Eingang verzeichnet wurde.
    Einzige Möglichkeit wäre nur, hier eine Nachfrage nach dem Grund abzuschicken.

    Wie kann man aber aus diesen Angaben etwas Verlässliches über Grund heraus finden, der über die eigene Imagination hinaus zutreffend wäre?
    Natürlich könnte man einwenden, dass ein solcher Kommentar nicht einfach so kommt, sondern Ergebnis einer Kommentarhistorie wäre, dass also ein Kommentar-Wechsel voraus gegangen sein müsste, der schließlich in dieser Beleidigung kulminiert.
    Aber auch das ändert nichts an der prinzipiellen Beobachtung, die man ja schon machen kann, noch bevor eine Beleidigung geäußert wurde.
    Warum wird überhaupt 1. ein anonymer Kommentar abgesendet? und 2. freigeschaltet? Denn die Freischaltung ist ja auch eine beobachtbare Operation, ist also schon ein Antwort ist, indem sie Zulässigkeit signalisiert. Warum wird zugelassen, dass anonyme Kommentare abgesendet werden können, allein dadurch, dass man eine Kommentarfunktion einrichtet?

    Mein bisherige Überlegungen, Beobachtungen und Vermutungen besagen, dass das keiner erklären kann oder will. Stattdessen wird nur die Obszönität skandalisiert, wenn es zur Beleidigung kommt. Aber dass ganz offensichtlich Anonymität überhaupt zugelassen, ja sogar erwünscht, befördert wird, wird nicht skandalisiert, wird nicht als Obszönität behandelt, obwohl diese Obszönität die Bedingung dafür darstellt, dass solche Eskalationen überhaupt in Gang kommen.

    „Trollen wäre somit ein Versuch, gefahrlos anzugreifen.“

    Wer lässt das zu, wenn nicht auch derjenige, der Kommunikation anbietet? Und warum könnte derjenige unschuldig sein und unschuldig bleiben?

    1. Zustimmen möchte ich in dem Punkt, dass es schwierig sein wird, die Frage nach der sozialen Motivation des Trollend empirisch zu klären – obwohl unmöglich wird es nicht sein.

      Nicht zustimmen würde ich in dem Punkt, dass der Getrollte „mitschuldig“ ist. Das gilt nur, wenn es schon eine Mitschuld bedeutet, dass man ist.

      Natürlich setzt sich jeder, der öffentlich kommuniziert, der Gefahr aus, missverstanden oder Objekt von aggressiven Attacken zu werden. Das ist allerdings eine Bedingung und keine Mitschuld. Wessen sollte der Getrollte sich auch schuldig gemacht haben?

      Trollen scheint dagegen an Kommunikation zwischen Menschen, die keine gemeinsame Interaktionsgeschichte haben und haben sollen, gebunden zu sein – also an die Folgenlosigkeit für den Troll. Damit wird eine Grundbedingungen von Kommunikation versucht außer Kraft zu setzen. Mit allen Vorteilen und Nachteilen. Es ist dann zwar leichter zu kommunizieren, aber die Kommunikation bringt dann auch keine Identitätsgewinne – was bedeutet, dass der Troll nur aus der Selbstzuschreibung (man beachtet mich) Befriedigung ziehen kann. Und das ist ziemlich unbefriedigend. Auch für den Troll.

      Gerne würde ich die Handlungsstruktur des Trollens rekonstruieren und das kann man auch, ohne Trolle zu interviewen. Einen ähnlichen Weg geht auch der Beobachter der Moderne – glaube ich. Denn hat man einmal die Sinnfigur des Trollen erfasst, dann kann man auf die sozialen Motive schließen. Trollen mag zwar ein individuell vollzogene Handlung sein, aber dennoch ist sie ein sozialer Handlungstyp, der sich praktisch als Antwort auf ein soziales Problem herausgebildet hat. Kurz: Wenn man weiss, auf welches soziale Problem das Trollen die Antwort ist, dann hat man auch das Trollen verstanden. Oder anders: Wenn Trollen die Antwort ist, was war die Frage?

      1. „Wenn Trollen die Antwort ist, was war die Frage?“

        Die Frage lautet: wie erklärt man das Zustandekommen von Kommunikation (nicht: wie rechtfertigt man ihre Ergebnisse), die spezifische Unwahrscheinlichkeitsbedingungen erzeugt, durch die die Kommunikation, wenn sie trotzdem gelingt, dafür sorgt, dass diese Bedingungen für die Fortsetzung der Kommunikation nicht (oder nur sehr, sehr schwer) rekonstruierbar sind? Das heißt: diese Schwierigkeiten, die ebenfalls auf Unwahrscheinlichkeit des Gelingens verweisen, nämlich auf das unwahrscheinliche Gelingen von Erklärung (Theorie im weitesten Sinne), entsprechen den Unwahrscheinlichkeitsbedingungen des Entstehens dieses Typs von Kommunikation. Die Antwort lautet: Durch soziale Serendipität, (deren Folgewirkung auch die Beschimfpung, Schmähung, Beleidigung sein kann, aber auch Freundlichkeiten, Hilfsdienste, Verabredungen) wird hergestellt, dass Kommunikation trotz einer permanenten mangelnden Synchronisation von Systemumwelten immer noch möglich ist. Soziale Serendipität meint also nicht den geläufigen psychischen Überraschungseindruck, dass man etwas passendes findet, das nicht gesucht wurde, sondern: das soziale, das genauso wenig nicht zufällige wie nicht notwendige Zusammenfallen und Zusammenwirken von sozialen Umweltereignissen, die selbst durch kein System integriert werden können und stattdessen eine vollständige Selbstorganisation erzeugen – Selbstorganisation ohne System (Rhizomatik).
        Trollen ist gleichsam nur das Epiphänomen, also nur eine Wirkung, die auch noch anfällt, ohne selbst auf die Ursache zurück schließen lassen zu können. „Trollen“ ist nur Jargon, kein Begriff.

        Entsprechend gilt für eine Wissenschaft nicht mehr, dass sie einfach abfragen könnte, was sie wissen will, sondern sie müsste sich auf dieses Phänomen der sozialen Serendipität selbst einlassen. Allerdings kann sie dies nicht, oder jedenfalls nicht so leicht. Die Gründe dafür sind vielfältig, einer wurde hier schon genannt: man wird dafür nicht belohnt. Das ist nicht der einzige, und nicht einmal der wichtigste. Der wichtigste Grund scheint mir zu sein, dass die disruptiven Mechanismen des Internets selbst kaum irgendwo eine attraktorbildende Beobachtungsfähigkeit zustande bringen. Und dies verweist wiederum auf die Unwahrscheinlichkeitsbedingungen des Zustandekommens einer Erklärung, welche der Unwahrscheinlichkeitsbedingungen dieser sozialen Serendipität entspricht.

        Der Mangel einer Erklärung entspricht der Obszönität des Trollens. Diese Obszönität erzeugt Empörungskommunikation aufgrund von Nichtwissen, besser gesagt: aufgrund nicht ausreichender theoretischer Erfahrung mit dem, was durch Internet kommunikabel wird. Neues und Unbekanntes kann eben nicht mit bekannten und erprobten Mitteln erklärt werden.

        Wie gesagt: eine Erforschung, eine Erklärung ist möglich, aber nicht so leicht machbar.

  7. @ „Die auch soziologisch interessante Frage ist, weshalb es für manche Menschen Sinn macht, richtungslos und gefahrlos aggressiv zu sein.“
    Für „manche Menschen“ kann man, vermute ich, „manche Männer“ einsetzen.
    W-e-n-n Agressivität der psychische Motivkern des sog „Trollens“ ist, dann kann man soziologisch und psychologisch alle Formen von Agressionen im Internet in den Blick nehmen. Da gibt es ja viele, und keine davon wäre prinzipiell neu. Auch das „Trollen“ (vandalisieren unter Ausschalten der normalen Sozialkontrollen wie Scham, Strafe, Ausschluss, materielle Nachteile etc.) ist nicht neu – anonyme Briefe an Redaktionen oder bestimmte Personen sind ein Topos des öffentlichen Lebens und seit jeher eine Begleiterscheinung der Medien. Weitere Trollphänomene sind pöbelnd durch die Straßen ziehen, Grafitti, Klosprüche, „im Schutz der Menge“ Redner niedergrölen, etc ad infinitum. Gerade gestern z.B. in Rendsburg: http://is.gd/bJtywj „Ich hätte rational ja noch nachvollziehen können, wenn Wertgegenstände gestohlen worden wären … dies ist eine Grenzüberschreitung, die ich nicht verstehe.“ So ein Vandalisieren ist auch eine Form von Kommunikation, die irgendetwas mitteilen soll – aber man weiß eben auch hier nicht, WER da WAS und WEM und WARUM mitteilen will.
    Es sind eigentlich die gleichen psycho-sozialen Motive, wobei das Internet lediglich eine großartige Chance bietet, sich als „Tu-nicht-gut“ auszuleben – dank dessen, dass man sowohl als Person als auch als Körper unerreichbar bleibt für Gegenwehr, Strafe, „Dingbarmachung“.
    Augenscheinlich ist das „Stören“ und „Muskeln zeigen“ für Männer psychisch deutlich attraktiver als für Frauen, was einen Hinweis auf die psychische Mechanik des Trollens bietet und übrigens mit der psychischen Motivlage des Bloggens teilweise eine „genetische“ Verwandtschaft besitzt.
    Ob zum Trollen das „Richtungslose“ als Merkmal gehört? Ich glaube nicht, dass dies eine notwendige Bedingung ist. Ich könnte z.B. als Fan von Borussia Dortmund unter Bayern Fans agressiv und sinnlos störend auftreten, „nur um die zu ärgern“. Das hätte dann eine Richtung.
    „Gefahrlos“ agressiv zu sein ist immer favorisiert. Einbrecher kommen, wenn keiner Zuhause ist. Kriegstechnisch führt das zur Entwicklung von Raketen, Tretminen und Drohnen. Verwandelt sich ein Internetuser in einen Troll, schickt er gleichsam eine Drohne los. Das Besondere sehe ich eher im heimlichen Gekicher auf Seiten des Trolls über die Aufregung, die er auslöst, wo er doch nur so ganz harmlose Späße macht (und möglicherweise empfindet er sich selbst subjektiv überhaupt nicht als aggressiv, sondern nur als spaßig und gut gelaunt).

  8. Mir scheint es würde zielführend sein, „Trollen“ genauer zu definieren. Den Ansatz des „folgenlosen Angreifens“ halte ich für verfehlt. Ab wann ist ein Angriff ein Angriff? Wieso sollte der Angriff folgenlos sein? http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/redaktionsraeume-der-augsburger-allgemeinen-durchsucht-a-880178.html
    Kusanowsky hat bereits eine ziemlich globale, aber damit eben auch offene Beschreibung geliefert: Das Druchbrechen/Stören von Erwartungs-Erwartungen.
    Das hat erst einmal nichts mit Aggression zu tun. Insofern wären auch Psychopathologisierungen wie sie vom Kommentator Fritz vorgeschlagen wurden überflüssig. Oder zumindest in Bezug auf das „Gesamtphänomen Troll“ nicht zutreffend.

    Die Richtung die die Diskussion aufgenommen hat, geht von zu vielen Annahmen aus, die das Trollen wenig beschreiben. Es geht nicht um Beleidigung oder Attacke. Natürlich gibt es auch solche Trolle, aber das beschreibt nicht „das Trollen“.

    Letztlich zeigt es sich doch hier sehr gut, was Trollen auch ist. Begonnen wurde die Diskussion damit, wie man als Sozialforscher von bestimmten Organisationen und Gruppierungen instrumentalisiert werden kann. Es hätte sich eine methodische und methodologische Diskussion entwicklen können.

    Dann wurde die Diskussion mit Trollbeiträgen in eine andere Richtung bewegt. Denn auf diese Beiträge wurde inhaltlich mehrfach eingegangen. Obwohl die Erwartungen und die Erwartungs-Erwartungen auch mehrfach durchbrochen wurden. Aber eben nur in Gänze. Es blieben Anknüpfungspunkte. Und diese lenken die Diskussion in eine neue Richtung. Völlig normal. So verlaufen eben Diskussionen. Was also ist das Trollen? Ich finde Kusanowskys Idee der Störkommunikation recht treffend. Und dann erkennt man auch alsbald, dass es a) nichts mit Beleidigung und Aggression zu tun haben muss und b) dass es nichts mit dem Internet zu tun hat.

    Im Übrigen möchte ich noch auf eine für das Verständnis von Kommunikationsformen (nicht nur) im Internet wichtige Idee hinweisen:
    „[…] aber die Kommunikation bringt dann auch keine Identitätsgewinne[…]“
    Identität ist aber nicht im Geringsten die Voraussetzung für „Fame“. Für besondere Arten dieses „Ruhms“ bzw. der Selbstwertsteigerung ist Nicht-Identität sogar Voraussetzung. Sobald wir uns im Bereich illegaler, illegitimer, anomischer oder zumindest nicht mehrheitsfähiger sozialer Prozesse bewegen, ist Anonymität Selbstschutz. Der Graffiti-Sprayer ist auch unerkannt und unbekannt. Und dennoch hat er Fame in der Community. Das Tag ist sein Code. Sein Fame ist hochgradig imaginiert und dennoch wirkungsmächtig. Der Fame vermeintlich anonymer Trolle ist auch hochgradig imaginiert. Aber warum sollte Imagination nicht auch Identitiätsgewinne einschließen bzw. eben das Konzept hinterfragen?!

    Und wenn man sich die Folgen verdeutlicht, was bedeutet das für die Kommunikation mit Trollen? Wenn die Ergebnisse der Diskussion egal sind, wenn das Spiegeln des Verhaltens egal ist, wenn alle Erwartungen gebrochen werden können und dennoch am Ende ein imaginierter Sieg im Wettkampf der Worte steht? Dann hilft nur noch, wie oben schon jemand schrieb: don’t feed the troll = Keine Diskussion mit Trollen.

    Ich würde mich jedenfalls über die Rückkehr zum eigentlichen Thema freuen.

  9. Ach, so „pathologisierend“ meinte ich es eigentlich nicht, eher ein Stück weit „normalisierend“. Ich hatte ja auch ein Fragezeichen hinter der „Agressivität“ als Hauptmotiv angebracht. „Fame“ finde ich einen sehr guten Begriff, der dieses andere Motiv zeigt, für die Agressivität nur das gewählte Mittel ist, um sich hervorzutun.
    Der Begriff „Störkommunikation“ trifft es auch nur unzulänglich. In der Studentenrevolte war „Störkommunikation“ eine Protest-Praxis, die zum Teil sehr kreativ eingesetzt wurde. Ebenso kann man vieles in der modernen Kunst seit dem Dadaismus als eine Störkommunikation ansehen, die aber nur die Kommunikation neu ermöglichen will.
    Eventuell gibt es auch eine Typologie von Trollen, die vom „Hater“ bis zum Neo-Netz-Dadaisten reicht?

    1. Mit „normalisierend“ kann ich mich wiederum anfreunden. ;-)

      „Eventuell gibt es auch eine Typologie von Trollen, die vom “Hater” bis zum Neo-Netz-Dadaisten reicht?“

      Eine solche Typologisierung würde ich unterstützen. So würde auch, selbst wenn noch keine ausreichende Definition vorhanden ist, der Differenzierung Rechnung getragen.

  10. @Sascha Pommrenke

    Eine ausreichende Definition für „Trollen“ hat noch niemand gefunden und wird auch niemand finden können, weil das zu Findende (die Definition) nicht ohne ihre Beurteilung zustande kommen kann. Beides, die Definition ebenso wie ihre Beurteilung, unterliegt den Internet-Kommunikationen. Diese sind aber nicht exklusiv inkludierbar, weil auf dem Wege der Internetkommunikation im Prinzip nichts und niemand ausgeschlossen werden kann. Auch (aber nicht allein) deshalb wird diese Trollerei auffällig. Sie wird nicht auffällig, weil Menschen ursächlich irgendetwas etwas wollen. Denn ein Wille wird nirgendwo kommunikativ übertragen, überhändigt oder abgeschickt. Die physikalischen, biologischen und sozialen Bedingungen verhalten sich gegen psychische Dispositionen indifferent.
    Sie ist auffällig, weil ein bestimmtes Dispositiv sich als untauglich erweist. Dieses untaugliche Dispositiv ergibt sich aus Verfahrensweisen der massenmedialen Anfertigung und Verbreitung von Dokumenten, die ein soezifisches Schema der Organisation von Fremdreferenz valide machen; und durch diese sozial beobachtbare Untauglichkeit ergibt sich die Vermutung über die Notwendigkeit der sozialen Erarbeitung eines entsprechenden Dispositivs für Internetkommunikation. Aber das ist ein sozialer Prozess, der auf vielen Zufälligkeiten angewiesen ist und der nur möglich ist, wenn man sich auf Strukturen einlässt, die Unbekanntheit, die Anonymität für die Fortsetzung der Kommunikation garantieren.
    Das heißt dann auch, dass Verfahrensweisen erprobt und getestet, geprüft und aussortiert werden müssen. Einfacher gesagt: die Bereitschaft zu scheitern müsste attraktiver sein als das Verlangen nach Belohnung. Aber dies ist nicht so einfach zu erwarten.

    Empirisch ist darum die Trollerei nicht das entscheidende Problem, sondern die Unerfahrenheit hinsichtlich eines langsam bekannt werdenden Problems: die Anonymität als Problemlösungeigenschaft und Voraussetzung eines neuen Typs von sozialen Systemen.

    1. Mir geht immer noch nicht die These von kusanowsky aus dem Kopf, nach welcher der Blogger für das Trollen mitverantwortlich ist. Auch beim wiederholten Durchdenken dieser These spricht wenig dafür.

      Das Bloggen ist ohne Zweifel Kommunikation, sicherlich jedoch keine Kommunikation, die ein konkretes gegenüber adressiert (one-to-one) und auch keine Kommunikation, die eine bestimmte, bekannte Gruppe von Menschen adressiert (one-to-some). Es ist aber auch gewiss nicht eine Kommunikation, die alle in adressiert, sondern ein Sonderfall der Kommunikation many zu many.

      Da jedes kommunikative Handeln im übertragenen Sinne eine ‚Aufforderung zum Tanz’ darstellt, ist auch das Schreiben eines Blogs objektiv eine Aufforderung an viele zum Tanz. Einige (so will es der Blogger), die sich davon angesprochen fühlen, können diese Aufforderung annehmen und sich am Tanz beteiligen, sei es durch aktives Lesen oder die gepflegte Mitbeteiligung. All jene jedoch, die nicht der Aufforderung zum Tanz Folge leisten wollen, können schweigen und (aus Sicht des Bloggers) mögen sie auch schweigen.

      Doch offensichtlich möchten einige, die nicht der Aufforderung zum Tanz folgen wollen, auch nicht schweigen. Sie wollen jedoch nicht mittanzen, sondern ‚Boxen’ oder ‚Entmystifizieren’. Trägt der Blogger daran Schuld?

      Beides, Boxen wie Entmystifizieren, ist eine Form aggressiven Handelns – und das ist das Spezifische. Da es jedoch dem Troll nicht um das Argument geht (das hieße ja, doch in gewisser Weise mitzutanzen), ist die sichtbare Schmähung des Bloggers das Einzige und Wesentliche, was er tut. Dies macht das Trollen so beliebig und letztlich wirkungslos.

      Deshalb ist der Troll kein Partisan, der in Vertretung einer letztlich gerechten Idee aus dem Dunkel das Falsche angreift. Denn Partisanen sind vor allem dann, wenn die gerechte Idee gesiegt hat, gerne bereit, sich öffentlich erkennen zu geben.

      Der Troll ist aber auch kein moderner Nachfahre des alten Trickster, der durch seine Verunglimpfungen das Alte entmystifiziert und damit Raum für Neues schafft. Da nichts Neues sichtbar wird, erschöpft sich die Aggression in sich selbst.

      Da der Troll im Dunkeln bleibt, kann er auch keine symbolischen Gewinne einfahren. Dies zeigt (nach meiner Deutung), dass es dem Troll weder um die Verteidigung einer ihm gerecht erscheinenden Idee, noch um symbolische Gewinne geht. In seiner einsamen Freude über sein Trollen gleicht er in gewisser Weise dem kleinen Zwerg, der (einem Märchen nach) im dunklen Wald ums Feuer tanzt und dabei singt: „Oh wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“.

      Aber selbst diese einsame Freude des kleinen Zwergs im Walde bleibt dem Troll verwehrt, interessieren sich doch viele für das Trollen, aber niemand wirklich für den Troll. Weshalb der Troll keine Ruhe finden kann.

      1. „Aber selbst diese einsame Freude des kleinen Zwergs im Walde bleibt dem Troll verwehrt, interessieren sich doch viele für das Trollen, aber niemand wirklich für den Troll. Weshalb der Troll keine Ruhe finden kann.“

        Das ist eine ganz hübsche und bildreiche Illustration, die die ganze Ratlosigkeit zeigt. Diese Mutmaßungen über Begehren, Absichten, Motive, Wünsche oder Willen des Trolls könnem mit keinem bekannten Mittel evident werden. Wie treffend beschrieben: „interessieren sich doch viele für das Trollen, aber niemand wirklich für den Troll“ – und auch, ob überhaupt noch von Interessen die Rede sein, muss doch fraglich werden. Denn: Interesse wofür und woran? Wenn doch offentlich ist, dass es um nichts mehr geht. Es geht nicht um Propaganda, nicht um Überedungskunst, nicht um Geschäfte, ja häufig nicht einmal um Vandalismus oder Sabotage. Die banale Frage lautet doch: was soll das eigentlich? Und die von Ihnen Herr Reichertz gegebene Antwort lässt nur Ratlosigkeit zurück. Diese Ratlosigkeit hat tatsächlich einen empirischen Charakter und – so meine ich – auch einen solchen Wert, scheint mir diese Ratlosigkeit doch ein Effekt dieser sozialen Serendipität zu sein. Diese Ratlosigkeit scheint mir der bessere Ansatzpunkt zu sein als Empörung, weil Empörung oder Potest eigentlich nur die Rechtfertigung für Nichtwissen ist.

        Eine ganz andere Sache ist die Frage nach der Verantwortung oder Mitverantwortung. Mein Argument besteht nicht darin, dass irgendjemand an etwas Schuld wäre, sondern nur, dass es keine Unschuldigen mehr gibt. Angespielt ist damit auf die Kontingenz des modernen Rationalitätschemas, das eine Relationierung des Zweck-Mittel-Verhältnisses einerseits und eine Relationieurng des Ursache-Wirkungs-Verhälntis anderesseits selbst schon sozial relationiert hat, so dass ein Bestehen auf eine einseitige Relationierung eine enorme Verarmung und Verkürzung der Welt darstellt.
        Tatsächlich lässt sich der Beziehungsreichtum der Gesellschaft weder mit einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis noch mit einem Zweck-Mittel-Verhältnis angemessen einfangen. Der Voraussetzungsreichtum für das Zustandekommen von sozialen Beziehungen ist viel zu groß, als dass mit derlei armen Mitteln etwas angemessen erklärt werden könnte.
        Nicht undschuldig sein oder bleiben können heißt dann eben nicht auch schon schuldig sein müssen, weil Schuld immer noch eine Sache des Nachweises wäre, wohingegen die Unschuld, wenn sie verteidigt werden sollte, insbesondere dann, wenn niemand eine Anklage erhebt, eigentlich nur noch eine heillose Verstrickung hervorbringt, die man sich auch sparen kann, indem man den empirischen Normalfall erwägt: Kommunikation geschieht, wenn sie weiter geht, nicht schon, wenn jemand etwas schreibt oder jemand anderes etwas liest. Lesen und schreiben sind eine notwendige Bedingung für diese asynchrone Beziehung, aber keine ausreichende. Eine ausreichende Bedingung für den Fortgang der Kommunikation ist die Kommunikation selbst, die in ihrem Fortgang auch ganz seltsame Struktureffekte hervor bringen kann, wie zum Beispiel diese Trollerei, die niemand so recht verstehen kann.
        Der Grund dafür scheint zu sein, dass die Mittel des Verstehens genauso wenig bekannt sind. Wer immer noch behaupten will unschuldig bleiben zu können, obwohl jeder ein Beitrag für die Erbringung von Aufmerksamkeitsphänomenen liefern muss, landet in einer selbst gewählten kleinen und sehr armen Welt.
        Das Rationlitätsschema reicht entsprechend nur noch aus für diejenigen, die innerhalb eines Regelwerks operieren, das sich entlang der Differenz erlaubt/verboten, richtig/falsch und belohnen/bestrafen entfaltet.
        Die Wissenschaft kann es sich auf Dauer nicht erlauben, in der Grundschule zu bleiben.

        Forschung muss nicht nur Methoden anwenden, sondern auch Methoden erforschen. Die Bedingung für beides, für die Erforschung wie für die Anwendung sind dabei sich zu ändern.

        1. „Forschung muss nicht nur Methoden anwenden, sondern auch Methoden erforschen.“

          Das ist völlig zutreffend. In den weiteren Blogs versuche ich dafür zu werben.

  11. „Mir geht immer noch nicht die These von kusanowsky aus dem Kopf, nach welcher der Blogger für das Trollen mitverantwortlich ist.“

    Ja, es ist nicht ganz einfach zu verstehen, warum derjenige schuld sein soll, der ein Kommunikationsangebot macht, wenn jemand darauf eingeht nur um mitzuteilen, dass er nicht drauf eingeht. Die Lösung wäre einfach gar nicht drauf eingehen anstatt die Ablehnung zu kommunizieren. Das Problem von kusanowsky ist, dass er Beobachtetes (Kommunikationsangebot) und Beobachter (Troll) verwechselt. Somit wird vom Beobachteten (Alter) her gedacht und nicht vom Beobachter (Ego). In einer anderen Theoriesprache kann man auch sagen kusanowsky verwechselt Objekt und Subjekt. Das Argument, weil der Blogger an die Öffentlichkeit geht, ist er selbst dran schuld wenn er getrollt wird, läuft ungefähr auf dasselbe hinaus, wie die Behauptung Frauen, die sich aufreizend anziehen sind selbst schuld wenn sie belästigt werden. Jetzt wird vielleicht verständlich warum ich auch nach funktionalen Äquivalenten für Trollen in Interaktionssituationen frage.

    Desweiteren wird nun auch verständlich welche Funktion das Schuld/Unschuld-Argument bei ihm hat. Wenn alle nicht unschuldig sind aber auch nicht schuldig, dann könnte man sich ja einfach von diesem Beobachtungschema verabschieden. Das tut er aber nicht. Warum? Kusanowsky wirft mir ja gerne vor, dass ich keine Erklärung sondern nur eine Rechtfertigung liefern würde (für was eigentlich?). Er bezeichnet sich aber auch selbst als Troll. Dann wird klar, er versucht selbst nur eine Rechtfertigung für Trolle zu liefern, warum man sich nicht auf den Kommunikationspartner einlassen muss. Mit anderen Worten versucht er sie unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit von Schuld frei zu sprechen und vielleicht auch sich selbst.

    Gerade wenn Kommunikation offensichtlich keine soziale Funktion erfüllt, wird man auf die psychische Funktion verwiesen. Wenn es also beim Trollen sozial um nichts mehr geht, dann wird man mehr oder weniger dazu gezwungen nach Motiven zu fragen. Das ist keine Ratlosigkeit sondern die logische Konsequenz.

    1. „Gerade wenn Kommunikation offensichtlich keine soziale Funktion erfüllt, wird man auf die psychische Funktion verwiesen. Wenn es also beim Trollen sozial um nichts mehr geht, dann wird man mehr oder weniger dazu gezwungen nach Motiven zu fragen.“

      Das verstehe ich nicht. Vielleicht kann das noch etwas ausgeführt werden. Eine Kommunikation, die keine soziale Funktion erfüllt? Ist es dann noch Kommunikation? Oder ist hier Wahn gemeint? Nur dann würde es (möglicherweise) keine rekonstruierbare soziale Funktion geben.
      Aber bedeutet das alle Trolle sind wahnsinnig?

      1. Gute Frage. Solange angeschlossen wird, ist es schon Kommunikation. Nur gerade bei den Beleidigungskaskaden, die Trolle auslösen, scheint es als wird keine soziale Funktion mehr erfüllt in dem Sinne dass damit ein soziales Problem gelöst wurde. Im Gegenteil, es wird sogar noch schlimmer. Somit wird zwar kommuniziert aber aneinander vorbei geredet. Wäre die Kommunikation funktionslos, würde sie nicht stattfinden. Also muss eine andere Funktion als eine soziale erfüllt werden. Und somit wird die Aufmerksamkeit von der Systemreferenz sozialer Systeme auf die von psychischen Systemen gelenkt. Das heißt aber nicht, dass man in die Köpfe von Menschen schauen muss. Das geht ja garnicht. Stattdessen muss man sich bloß anschauen, was der- oder diejenige sagt oder schreibt, denn jede Mitteilung informiert auch über das Erleben der mitteilenden Person. Im Rahmen des mitgeteilten Gesamtarrangements kann man dann fragen, welche Funktion dieses oder jenes Element hat, so zum Beispiel welche Funktion die Schuld-Frage in kusanowskys Troll-Theorie hat.

        Damit ist nicht gesagt, dass Trolle wahnsinnig wären. Diese Assoziation zwischen sozialer Funktionslosigkeit und Wahn ist mir nicht geläufig. Was man aber anhand dessen, was beobachtbar ist, sagen kann, ist, dass Trolle anscheinend Probleme damit haben Kritik so zu formulieren, dass sie von Kritisierten auch angenommen werden kann. Da es häufig auch nicht darum geht, dass die Kritisierten die Kritik annehmen sollen, scheint es eher in die Richtung zu gehen, die auch Jo Reichertz andeutete.

  12. Lieber Beobachter der Moderne,
    wenn ich ja wüsste wer du bist und was du willst, dann wäre manchens vielleicht einfach veständlich zu machen. Oben hatte ich geschrieben:

    „Mein Argument besteht nicht darin, dass irgendjemand an etwas Schuld wäre, sondern nur, dass es keine Unschuldigen mehr gibt.“

    Selbstverständlich gestehe ich jedem eine eigene Unschuldsvermtung zu. Wenn du dich für unschuldig halten willst an all dem, was dir widerfährt, dann bin ich nicht derjenige der dir Gegenteil nachweisen könnte oder wollte.
    Es geht nicht um die Frage eines Nachweises, sondern um die Überlegung, ob man angesichts einer fraglichen Zweck-Mittel-Relation einerseits und einer genauso fraglichen Ursache-Wirkung-Relation andererseits eine kognitive Stärke zurück gewinnen könnte, wenn man die Relationen selbst relationiert und fragt: welchen Zweck hat es denn noch, wenn ich auf diesem Wege, mit diesem Mittel (einer many-to-many-Kommunikation) versuchen wollte meine Unschuld, meine selbstverantwortete Ursachenlosigkeit zu retten? Es klappt doch gar nicht mehr. Man darf das leugnen ohne an Ansehen zu verlieren, gewiss. Aber wen interessiert das denn noch, wenn ohnehin schon nicht mehr klar ist, mit wem man es zu tun hat. Oder bist du „Beobachter der Moderne“ derjenige, für den ich dich halten möchte? Wohl nicht. Also ist es auch egal. Soll ich mal deinen guten Ruf runieren? Soll ich wirklich?
    Und außerdem: wer ich wirklich bin hast du auch noch nicht heraus gefunden.

    Das Argument lautet: ganz ohne Not, ohne trifftige Gründe, ohne, dass man Sanktionen nachteilgier Art zu fürchten hätte, setzen sich die Leute massenweise per Internet der Beobachtung aus. Niemand wird dazu gezwungen. Nicht, dass einfach nur Freiwilligkeit vorläge, vielmehr handelt es sich um soziale Zusammenführungsprozesse, die es gewiss gestatten, sich selbst auch für unschudlig zu halten. Aber: wer gewinnt denn noch etwas?
    Man könnte ja sagen, dass Organisationssysteme entscheidend dazu beitragen den Menschen die Freiheit zu rauben, weshalb Menschen dort in Interaktionen das Recht in Anspruch nehmen müssen, ihre eigene Unschuld zunächst garantiert zu bekommen. Keine Frage. Aber die daraus resultierenden Idiotien sind nicht beliebig verlängerbar, auch die sind an Limitationen gebunden, welche aber durch die Internetkommunikation nicht mehr garantiert werden können, sobald Unbekannte mit Unbekannten zu tun bekommen und sich gegenseitig idiotisch-kritsch behaken ohne, dass irgenwelche Entscheidungsnotwendigkeiten, die etwa durch Konkurrenz und Exklusionsgefahr entstehen könnten, die Kritik stimulieren würden.

    Kurz und gut: Ich gönne dir, lieber Beobachter der Moderne gern deine Unschuld, von ganzem Herzen. Aber ich verzichte darauf genau so gern, was eben nicht heißt, dass ich schon an etwas schuld wäre. Allein, man gewinnt ein wenig Freude an diesem Schwachsinn. Man schläft besser, wenn man sich realtistisch mit der Realität beschäftigt, mit der man sich beschäftigt.
    Aber ich betone: das darf man auch lassen und sich auf die Hinterwelten der Kommunikation spezialisieren.

    „Es muss doch etwas dahinter stecken!“, darf der Spötter nicht vergessen zu erwähnen.

  13. @Sascha Pommrenke

    „Eine Kommunikation, die keine soziale Funktion erfüllt? Ist es dann noch Kommunikation? Oder ist hier Wahn gemeint?“

    Eine gute Frage, über die ich auch nachdenke. Vielleicht ist die Wahnhaftigkeit dieses Typs von Kommunikation eine sich nach und nach unverzichtbar machende soziale Funktion?

  14. Seltsam, dass hier noch kein veritabler Diskursverweigerer aufgetaucht ist. Vielleicht ist ja das Heer der Trolle, die angeblich unterwegs sind, um die gesamte vernünftige Kommunikation zu zerstören, eine maßlose Übertreibung? Mir fällt auf Anhieb gar kein Beispiel ein, wo mit im letzten halben Jahr ein „richtungslos Aggressiver“ oder ein „ironischer Provozierer der Diskursordnung“ oder ein „verbaler Frust-Vandalist“ (um mal 3 Typen-Angebote zu machen) begegnet wäre. Den einzigen, den ich erinnere, ist der Neven-Dumont-Sohn, bei dem aber wohl die psychische Problematik mit den Händen zu greifen ist.

    Eine andere Anmerkung: Ich bin immer skeptisch, wenn man bestimmte Menschen als „unvorstellbar“ und „völlig unverständlich“ und „unormal“ perhorresziert. Auch der Troll, egal von welchem Typus, ist keiner, von dem nicht jeder etwas in sich trüge. Es gibt ja sogar einen offiziellen internationalen Welttrolltag, an dem wir alle mal dürfen: der 1. April. In Köln und Düsseldorf geht es nächste Woche juut ab: Maske auf, Verkleidung an, trollen wir uns in die Kneipen. Jemanden zu „veräppeln“ bzw sogar zu „verarschen“ – gang und gäbe. Das ist ein Teil des psychischen Bodens, auf dem das wächst. Je nach Typus kommen andere Nährstoffe hinzu – bei dem einen Alkohol, bei jemandem anderen ein psychisches Leiden, beim Dritten die Lust am Provozieren, beim Vierten ein Unterlegenheitskomplex, der durch eine Form von Machtausübung kompensiert wird – wir wissen nichts, man ahnt einiges. Egal welche Erscheinung von Troll – gibt es da etwas, was grundlegend anders ist als zu den tausend herkömmlichen Formen der Offline-Trollereien? Kann mal jemand ein paar konkrete Phänomene verlinken, wo Trolle traumhaft gut fokussierte Diskussionen zerstören und zunichte machen?

    1. „Für das Trollen ist es wohl zu spät. Der Begriff ist so oft missbräuchlich verwendet worden, dass er kaum noch mehr als ein weiteres inhaltsleeres Synonym ist – genau wie der Marketingsprech, der das moderne Englisch durchdrungen hat. Vielleicht ist mangelnde Bereitschaft, die Sprache und Kultur des Netzes zu verstehen aber auch ein Zeichen dafür, dass man den betreffenden Kommentator ignorieren sollte. Vielleicht kann man Leute, die das Trollen nicht verstehen, noch nie von 4chan gehört haben oder leet nicht von noob unterscheiden können, getrost ignorieren.“

      http://www.freitag.de/autoren/the-guardian/ein-troll-dass-ich-nicht-lache

    2. Zu früh auf „return“ gedrückt.
      Was ich noch ergänzen möchte:

      „Egal welche Erscheinung von Troll – gibt es da etwas, was grundlegend anders ist als zu den tausend herkömmlichen Formen der Offline-Trollereien?“

      Der einzige Unterschied wäre wohl die imaginierte Folgenlosigkeit für das eigene Handeln, im Sinne von nicht zur Rechenschaft ziehbar. Aber selbst darin sind einige Offline-Trolle sehr geübt.

  15. Nun bin ich gerade, dem Zufall sei gedankt, doch mal auf etwas Konkretes gestoßen, auf die vielleicht unangenehmste Form des „Trolls“, nämlich des „Hassers“: „Haters Gonna Hate. What’s a Woman to Do About It?“ http://is.gd/vdcONX Da kommt die geschlechtliche Perspektive in den Blick, die ja nicht fehlen kann, wenn psychische Motive die „Ursache“ des Trollens sind: „‚A woman’s opinion is the mini-skirt of the internet,‘ writes British columnist Laurie Penny. ‚Having one and flaunting it is somehow asking an amorphous mass of almost-entirely male keyboard-bashers to tell you how they’d like to rape, kill and urinate on you.'“ So betrachtet, könnte das Internet als solches schon eine Funktion haben, nämlich dem Verdrängten die beinahe einmalige Chance zu bieten, sich in einer zwar verzerrten, aber doch offenen Form zu äußern. Der naheste Verwandte wäre der Klospruch, mit dem Unterschied, dass der Klospruch jetzt draußen ans schwarze Brett geheftet wird bzw. sogar mitten ins Cafe hineingebrüllt werden kann, aber dies eben in einem Kommunikationsakt wie hinter verschlossener Klotür. Also doch eine Kommunikation wie von Schlossgeistern. Wobei der „Meinungsneid“, der in dem Zitat von Laurie Penny angedeutet wird, auch als solcher interessant ist. Hinter den aggrssiven Troll steckt dann sozusagen immer der Frust über einen unerfüllbaren Wunsch, sei es der Wunsch nach Anerkennung durch Frauen (der „muttergeschädigte“ Troll), sei es der Wunsch, an einer Diskussion teilzunehmen, aber dabei das Gefühl zu haben, von den Wortführern nicht anerkannt zu werden („vatergeschädigter“ Troll). Das ist jetzt sehr psychologisch betrachtet und dazu noch mit einer etwas ältlichen Begrifflichkeit (bin ja kein Psychologe), abwr letztlich auch soziologisch interessant, dass mit der gesichtslosen Kommunikation im Internet ein Raum entstanden ist, der das öffentliche Regredieren ermöglicht, also das ungehemmte und relativ angstfreie Zurückfallen auf infantile Entwicklungsstufen möglich macht. Gibt es auch offline, aber da ist das Überwinden der sozialen Kontrollen viel stärker mit Ängsten verbunden und daher meist noch deutlich unterm Einfluss von Ich und Überich (Karneval ein gutes Beispiel für so ein relativ kontrolliertes Regredieren). Online kann jeder mit ungleich höherer Leichtigkeit sich allem entziehen und seine jeweiligen „Kindereien“ austoben. Man könnte auch sagen: Trollen ist Kommunikation in radikal entsublimierter Form ;)

  16. Ich würde gern einmal zur Diskussion stellen, inwieweit es sich beim Trolling um gezielte politische Sabotage handeln könnte.
    Bei meiner Recherche in linken Diskussionsforen sind mir oft Beiträge aufgefallen, die bewusst oder unbewusst von vorherigen Diskussionen ablenken oder andere Diskutanten diffarmieren. Die zunächst sehr fundierten Diskussionsbeiträge wurde durch einen Trollbeitrag abgebrochen, woraufhin die weitergehende Diskussion
    sich nur noch damit beschäftigte, den Troll zu beleidigen und andersherum.

    Ich stellte mir dabei oft die Frage, wieso tun diese Personen dies.
    Ist es nur Ausdruck der bisher diskutierten Trollkultrur oder handelt es sich hierbei um spezielle Form der „Diskussionssabotage“?
    Und kann man dann eigentlich noch von „Trolling“ sprechen, wenn damit ein politisches Ziel verbunden ist oder handelt es sich hierbei um ein eigenständiges Phänomen?
    Ich würde mich sehr über Anregungen freuen.

  17. @ Tobias

    Ich würde es zunächst für einen allgemeinen Ausdruck der sog. Trollkultur halten, denn der gezielte Angriff auf eine Person lenkt die Aufmerksamkeit verlässlich weg vom Thema auf eine bestimmte Person – und sei es nur auf den Troll selbst. Man kann ziemlich sicher sein, dass es nach dem Trollangriff nicht mehr ums Thema geht. Die emotionale Wirkung eines Trollangriffs bzw. einer Imageverletzungen besitzt ein großes Ablenkungspotential. Wer ist nicht erst mal geschockt, wenn er sich grundlosen Anfeindungen ausgesetzt sieht und möchte sich zur Wehr setzten? Das führt häufig zu einer wechselseitigen Anfeindungskaskade. Wenn man diese gezielte Ablenkung der Aufmerksamkeit als Sabotage bezeichnen will, dann handelt es sich dabei um eine Art Diskussionssabotage.

    Da diese Strategie nicht nur im Rahmen von politischen Themen funktioniert, würde ich es für einen Ausdruck der Trollkultur im Allgemeinen halten. Hinzu kommt, dass die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien im Sinne von Luhmann im Internet so gut wie nicht funktionieren. Gerade politische Macht lässt sich nur schwer via Internet ausüben. Insofern wäre Trollen im Sinne einer Aufmerksamkeitsablenkung dann eine Behelfslösung, die in den Dienst einer politischen Sache gestellt wird. Aber mehr als Diskussionen zu stören, ist eben im Internet nicht drin.

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