Geschlechtersoziologisch betrachtet: Die Quote

[Ein Blog lebt von seiner Aktualität. Die DGS-Seiten migrierten am vergangenen Wochenende. Das dauerte länger als geplant, weshalb dieser Eintrag einige Tage in der Pipeline schmorte. Ich freue mich darauf, in den nächsten Wochen für den DGS-Blog die Welt feministisch-geschlechtersoziologisch kommentieren zu dürfen.]

Auf einer der politischen Nebenbühnen der Re­publik stritten in den vergangenen Wochen an­lässlich des „Quotengipfels“, auf dem die Bun­desregierung mit den Dax-30-Unternehmen  wieder einmal „den Dialog über die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen“ pflegte (BMFSJ), die beteiligten Ministerinnen erneut über die Sinnhaftigkeit gesetzlicher Vor­gaben, um eben diesen Frauenanteil in Auf­sichtsräten und Vorständen zu steigern.

Das ist eigentlich schon keine Meldung mehr wert, werden hier doch seit Jahr und Tag die immergleichen Positionen ausgetauscht, einzig wechselnd ist allein das (partei-)politische Per­sonal, das diese Positionen vertritt. Umso er­staunlicher ist es daher, wie viel Beunruhigung die Forderung nach dieser Quote immer noch und immer wieder auslöst. Denn nicht nur die Ministerinnen streiten sich, auch im Netz bei­spielsweise ist der Streit um diese Forderung ein Dauerbrenner. Da provoziert schon ein femini­stischer Umtriebe ansonsten unverdächtiger ZEIT-Artikel, der pro Quote argumentiert, locker 600 Kommentare binnen Wochenfrist – eine Quote, von der der DGS-Blog nur träumen kann. Und dabei handelt es sich bei der weitaus größe­ren Zahl dieser Kommentare um teils ebenso aufwändig konstruierte wie verschwurbelt for­mulierte antifeministische Traktate.

Erstaunlich ist der Furor auch angesichts der Tatsache, dass wir hier – bei rund 40 Mio. Erwerbstätigen insgesamt – über ungefähr 700 Positionen sprechen. Positionen indes, die nicht nur bestens bezahlt und prestigereich sind, son­dern vor allem Einfluss und Gestaltungsmöglich­keiten ohnegleichen bieten.

Gesagt ist zur Quote ohnehin alles, was es dazu zu sagen gibt. Die sattsam bekannten Zahlen brauchen kaum wiederholt werden. 10 Jahre nach der freiwilligen Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft, das zahnlose Instrument, das einst die rot-grüne Bundesregierung schuf, sind die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Unternehmen noch immer „men only“: 97 % aller Vorstandspositionen in großen deutschen Unter­nehmen waren 2010 mit Männern besetzt. Und damit sind sie vergleichbar gut aufgestellt wie die DGS und fast rückständiger zu nennen, als manch Londoner Gentlemen’s-Club, von denen viele längst auch Frauen als Mitglieder akzep­tieren. Doch das nur am Rande.

Wir wissen auch, dass das „Argument“, durch die  Quote kämen Frauen lediglich aufgrund politi­schen Willens und nicht wegen ihrer Kompetenz auf die Chefsessel schon immer war, was es ist: eine Abwehrstrategie, um Macht, Einfluss, Ge­staltungsmöglichkeiten und Ressourcen nicht teilen zu müssen. Wohin er all die Männer „aus­sortieren“ solle, sorgte sich Daimler-Chef Dieter Zetsche bereits prophylaktisch. Vor allem aber dient es der Verschleierung männlich-homo­sozialer Kooptationsstrategien: Dass unter Män­nern ohnehin nicht allein Eignung und Kompe­tenz, sondern oft genug Beziehungen und vor allem Ähnlichkeit entscheiden.  Ein Befund, den selbst führende deutsche Personalberater teilen. Die deutsche Unternehmenskultur, so der Ge­schäftsführer der Unternehmensberatung Kien­baum, Walter Jochmann, sei „subtil noch immer sehr männlich geprägt“. Kurzum, die Quote ist an der Zeit. Sie ist so überfällig wie einst die reife Tomate, die den SDS-Granden Hans-Jürgen Krahl in Frankfurt/Main traf.

Aus geschlechtersoziologischer Sicht geht es ohnehin um mehr, als darum, die 700 attraktiv­sten Jobs der Nation geschlechtergerechter zu teilen. In den Unternehmen selbst würde eine fixe Quote zweifellos ungleich effektiver funktio­nieren wie der derzeit viel beschworene Euro-Hebel: um die Zahlen an der Spitze zu erreichen, müssten die Unternehmen systematisch von unten für geschlechtergerechtere Bedingungen sorgen.  Der dringend anstehenden Kulturrevo­lution in der deutschen Unternehmenslandschaft würde die Quote mächtig Auftrieb geben.

Doch noch eine zweite, gesamtgesellschaftlich weitaus gewichtigere Hebelwirkung könnte die Quote entfalten. Weiten wir daher unseren Blick über die Grenzen der Unternehmen hinaus, und rücken einige andere Zahlen in den Blick: Zu 97 % männlichen Vorständen gesellen sich – um nur zwei Branchen zu nennen – mehr als 90 % Frauen in der ambulanten Pflege und rund 93 % Frauen im Friseurberuf. Ein Beruf, den die Innung der Friseure aufgrund seiner „Vielseitig­keit“ als „Traumberuf“ anpreist, in dem Stunden­löhne von unter 3,- EURO in einigen Regionen Deutschlands jedoch die Realität sind.

Wie hängt nun das eine mit dem anderen zusam­men? Die Mehrzahl der Frauen ist in Teilzeit, in nicht-existenzsichernder, nicht sozialversiche­rungspflichtiger Beschäftigung erwerbstätig, sie arbeiten häufig in Jobs, in denen Armutslöhne die Regel und nicht die Ausnahme sind. Und es sind bislang die Frauen, die den ja längst statt­gefundenen Wandel in der Organisation und Verteilung von gesellschaftlich notwendiger Ar­beit schultern. Mehr als drei Viertel der in einer Partnerschaft lebenden Mütter mit Kindern unter 16 Jahren, stellt der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung fest, erledigt persönlich „alles“ (4 %) oder „das meiste“ (72 %) der Kin­derbetreuung und der Hausarbeit. Eine Ein­schätzung, die von den Vätern weitestgehend geteilt wird: Sieben von zehn Vätern geben an, von der anfallenden Sorge- und Hausarbeit den „kleineren Teil“ (61 %) oder „kaum etwas, gar nichts“ (7 %) zu machen.

Anders gesagt: Die weibliche Erwerbsquote steigt, sozial- und familienpolitische Regelungen orientieren sich zunehmend, wie die soziolo­gische Geschlechterforschung seit langem argu­mentiert und empirisch gezeigt hat, am Leitbild des adult worker, das heißt jede erwachsene Person ist selbst verantwortlich für ihre ökono­mische Existenzsicherung, allerdings ist damit bisher keine Umorganisation der Sorge- und Reproduktionsarbeiten oder deren auch finan­zielle Aufwertung bzw. Entlohnung verbunden. Dass die Sorge für sich selbst und andere eine gesellschaftlich geteilte Aufgabe und nicht die der Frauen alleine ist, von einer solchen gesellschaft­lichen Wirklichkeit sind wir jedenfalls noch weit entfernt.

Eine gesetzlich verbürgte Quote allein wird diese Aufgabe auch nicht lösen, wir brauchen sie dennoch. Und dies nicht nur – und vielleicht so­gar zuletzt –, weil wir eine geschlechtergerech­tere Zusammensetzung der ökonomischen Eliten wollen, sondern weil sie im besten Fall eben als ein solcher Hebel funktionieren und mehr Tem­po und Dringlichkeit in die Gestaltung dieser vielleicht wichtigsten Frage unserer Gesellschaft, nämlich wie die gesellschaftlich nötige Arbeit gerecht verteilt wird, bringen wird.

2 Gedanken zu „Geschlechtersoziologisch betrachtet: Die Quote“

  1. Liebe Sabine,

    ich bin bei dem Thema Quote sehr gespalten. Sicherlich erzeugt sie – wie andere Gleichstellungsmaßnahmen – Zwänge, aber sie kann dadurch auch Probleme verursachen und nach hinten losgehen.

    So hat etwa die Zentrale Frauenbeauftragte der TU Berlin neulich gefordert, dass Professuren nur noch ausgeschrieben werden dürfen, wenn es nachweisbar min. eine potenzielle Kandidatin gibt. Das zwingt natürlich zu aktuver Rekrutierung, kann aber in nicht wenigen Fällen dazu führen, dass inhaltlich wichtige Stellen nicht mehr ausgeschrieben/ besetzt werden können.

    Das Problem ist doch, dass oft die Selektion in früheren Karrierephasen stattfindet. Ich denke da an Studienfächer wie Verkehrswesen mit 7% oder Fahrzeugtechnik mit 5% Frauenanteil bei den Erstsemestern – die dann aber z.B. in gutbezahlten Berufen in der für Deutschland ja sehr wichtigen Automobilindustrie münden.

    Diese wenigen Frauen spezialisieren sich dann auch noch im Lauf des Studiums, so dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen man bereits gegen Ende des Studiums gar keine Frauen mehr findet. In der Soziologie haben wir das übrigens auch in abgeschwächter Form: Karrierestrategisch wären Spezialaisierungen in Theorie, quantitativer Sozialforschung und Sozialstruktur (möglichst in Kombination) günstig, weil es zumindest in der Wissenschaft fast an jeder Universität Professuren gibt, während viele Spezielle Soziologien nicht überall vertreten sind. Aber gerade im Bereich quantitative Methoden findet man z.B. nur sehr wenige Frauen.

    Solche Selektionsmechanismen finden wir auch später – in der Soziologie fällt z.B. der Frauenanteil beim Übergang vom Studium zur Promotion von etwa 50% auf etwa 30%.

    Man müsste also viel früher ansetzen.

    Herzliche Grüße und schöne Ostern,

    Nina

  2. Die Quote ist der Beweis, dass das Auswahlkriterium „Geschlecht“ statt „Eignung“ ein gutes Konzept ist.

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