Nachdem ich nun Einiges über die soziale Konstruktion des Raumes geschrieben habe, möchte ich zurückkehren zum Wechselverhältnis von Wirtschaft und Raum. Wie ich bereits angedeutet habe, sind diese auf vielerlei Weise miteinander verbunden, etwa über die Verlängerung der Produktionsketten, die sich u.a. in Standortverlagerung und Globalisierung auswirkt. Gleichzeitig sind regionale Disparitäten eine altbekannte Dimension sozialer Ungleichheit. Die Sozialstrukturanalyse geht dabei klassischerweise von absoluten Raumvorstellungen des Behälterraums aus, d.h. sie nimmt Räume als gegebenen Handlungsrahmen. Dabei fallen u.a. gravierende Unterschiede der Lebens- und Arbeitsmarktchancen, d.h. es macht einen großen Unterschied, an welchem Ort man geboren wurde bzw. lebt.
Infolge der Europäisierung der Finanzkrise (Prisching 2012) richten wir in jüngster Zeit zwar den Blick v.a. auf Unterschiede innerhalb von Europa (Münch 2012). Dabei gerät aber aus dem Blick, dass auch innerhalb Deutschlands sehr persistente regionale Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit existieren, und zwar nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland. Zu unterscheiden sind vielmehr vier deutsche Wirtschaftsräume: der Nordwesten, der Süden, der Osten und die Stadtstaaten.
Eine Kernidee der demokratischen Bundesrepublik der Nachkriegszeit und eine Grundlage für das Programm der sozialen Marktwirtschaft war die Gleichheit der Lebenschancen. Entsprechend ist in der Soziologie die Sozialstrukturanalyse mit der Frage, wie soziale Ungleichheit entsteht und abgebaut werden kann, ein zentraler Bereich. Soziale Ungleichheit meint dabei, dass die die Lebenschancen einer Person nicht von ihrer individuellen Leistung, sondern der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bestimmt werden. Wenn im Nachkriegsdeutschland über die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, über Inklusion, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit gesprochen wurde, war dabei immer auch Gleichheit der Chancen auf dem Arbeitsmarkt gemeint, weil Erwerbsarbeit in modernen Industriegesellschaften so zentral ist für andere gesellschaftliche Bereiche (Baur 2008a): Arbeit ist nicht nur Quelle sozialer Anerkennung, sondern auch Basis finanzieller Absicherung des Arbeitnehmers und seiner Familie. In Deutschland sind zusätzlich fast alle Zuwendungen durch den Sozialstaat an Erwerbsarbeit gekoppelt, da nur über sie Anrechte auf Sozialversicherungsleistungen erworben werden können. Den meisten Menschen gibt Arbeit außerdem einen Sinn im Leben und bietet die Möglichkeit zur Selbstentfaltung, weshalb häufig Hartz IV-Empfänger sogar dann eine bezahlte Arbeit annehmen, wenn sie fürs Arbeiten weniger verdienen als sie Sozialleistungen bekämen – das gilt übrigens insbesondere für die in Stammtischrunden viel beschimpften Ostdeutschen: Viele Ostdeutsche fahren lieber 100km (und verbrauchen erhebliche Benzinkosten) für einen Job in dem sie z.B. nur vier Stunden am Stück für fünf oder sechs Euro die Stunde arbeiten dürfen, nur damit sie nicht arbeitslos sind (Gebauer et al. 2002).
Eine wichtige und frühe Erkenntnis war nun, dass sehr große regionale Unterschiede in den Lebens- und Arbeitsmarktchancen existieren. Nun könnte man sagen: Dann zieht doch einfach um – aber viele erwachsene Menschen sind in ihrer Heimat verwurzelt und eben nicht so mobil wie etwa Wirtschaftsunternehmen (d.h. sie möchten nicht alle paar Monate umziehen). Für Kinder und Jugendliche ist es noch schlimmer, wenn sie in einer benachteiligten Region wohnen, weil die Entscheidung umzuziehen nicht bei ihnen liegt (und wer kann schon etwas dafür, in welches Elternhaus er zufällig geboren wurde). Sind in einer Region nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden, können Menschen folglich von der Teilhabe am Markt durch Erwerbsarbeit ausgeschlossen werden (Bude/Willisch 2006).
Die objektiven Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Lebensbedingungen (wie etwa Wirtschaftsentwicklung, das Lohnniveau und die Erwerbschancen) variieren dabei nicht nur international, sondern auch innerhalb von Deutschland (Heidenreich 2003). Um diese regionalen Unterschiede greifbar zu machen, habe ich regionale Strukturdaten [1] über die deutschen Bundesländer der BRD mit Hilfe einer hierarchischen Clusteranalyse mit dem Ward-Verfahren [2] klassiert. Dabei haben sich, wie die obige Grafik zeigt, vier Regionaltypen herauskristallisiert:
Der Nordwesten
Der Nordwesten entspricht dem deutschen „Durchschnitt“: Politisch wechseln sich CDU- und SPD-Regierungen, wirtschaftlich sind städtische Verwaltungs- und Dienstleistungszentren in zentrale Industrieregionen eingebettet. Frauen haben vergleichsweise schlechte Arbeitsmarktchancen, und ihre Erwerbsbeteiligung ist relativ niedrig. Insgesamt entsprechen die Arbeitsmarktlage und Beschäftigungsquote dem deutschen Durchschnitt, die Pro-Kopf-Einkommen sind im gesamtdeutschen Vergleich relativ hoch, die Arbeitslosenquoten sind niedrig bis mittel. Die Raten der Sozialhilfe-Empfänger war vor den Hartz-Reformen relativ hoch. Ein typischer Vertreter für den Nordwesten ist Nordrhein-Westfalen.
Der Süden
Baden-Württemberg ist das Musterbeispiel für ein Bundesland des konservativ-liberalen Südens. Auch dort sind Verwaltungs- und Dienstleistungszentren in zentrale Industrieregionen eingebettet. Allerdings sind hier wesentlich mehr Zukunftsindustrien angesiedelt, weshalb die Durchschnittseinkommen und Beschäftigungsquoten hoch, die Arbeitsmarktlage sehr gut, die Arbeitslosen- und Sozialhilfequoten sehr niedrig sind. Allerdings sind die Arbeitsmarktchancen von Frauen ebenso schlecht wie im Nordwesten. Hier findet man am häufigsten das sogenannte Ernährer-Hausfrau-Modell, in dem der Mann Vollzeit arbeite und die Frau zu Hause bleibt.
Der Osten
Der Osten stellt gewissermaßen den Kontrastfall zum Süden dar: Hier findet man sehr oft Doppelverdiener-Paare. Frauen haben gute Arbeitsmarktchancen, sind aber überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Insgesamt ist die Arbeitsmarktlage schlecht, da der Osten wirtschaftlich zur europäischen Peripherie gehört, d.h. es gibt kaum Industriearbeitsplätze, sondern vor allem Arbeitsplätze in schlecht bezahlten Branchen wie dem Tourismus und der Landwirtschaft. Entsprechend sind die Beschäftigungsquote und die Einkommen niedrig. Aufgrund der hohen Erwerbsbeteiligung von Frauen haben fast alle Erwachsenen Ansprüche auf Arbeitslosenversicherung erworben, weshalb vor den Hartz-Reformen zwar die Arbeitslosenquote sehr hoch, die Sozialhilfequote dafür aber sehr niedrig war. Politisch ist der Osten postsozialistisch geprägt, mit hohen Wähleranteilen für die PDS. Gleichzeitig sind hohe Wähleranteile für rechtsradikale Parteien zu vermerken (Alheit et al. 2004). Ein typischer Repräsentant dieser Region ist Sachsen-Anhalt.
Die Stadtstaaten
Die politische Kultur von Stadtstaaten wie Bremen ist dagegen einerseits durch eine starke Arbeitertradition, andererseits durch das links-alternative Milieu geprägt. Wirtschaftlich gehören sie zur Semi-Peripherie mit einer Mischungen aus Dienstleistungs- und Industriearbeitsplätzen. Die Arbeitsmarktlage ist gemischt, da einerseits die Beschäftigungsquote hoch, die Einkommen sogar sehr hoch sind, andererseits auch (vor den Hartz-Reformen) die Arbeits- und Sozialhilfequoten hoch sind. Ebenso ambivalent ist die Arbeitsmarktlage von Frauen, da sie einerseits sehr gute Arbeitsmarktchancen haben, andererseits der Anteil alleinerziehender Mütter, die von SGB II abhängig sind, relativ hoch ist.
Auswirkungen der Unterschiede der Wirtschaftsstruktur auf die Arbeitsmarktchancen
Was folgt daraus? Zunächst kann man beobachten, dass tatsächlich die Lebenschancen unterschiedlich verteilt sind. So schlagen sich diese regionalen Unterschiede der Wirtschaftsstruktur auch in den Arbeitslosenquoten nieder. Im Februar 2013 waren z.B. im Bundesdurchschnitt 7,4% der Erwerbsbevölkerung arbeitslos und 9,4% unterbeschäftigt. Betrachtet man das aber regional differenziert, zeigen sich große regionale Disparitäten: Während Baden-Württemberg mit 4,3% Arbeitslosen bzw. 5,7% Unterbeschäftigten sehr viel besser als der Bundesdurchschnitt dasteht, liegt Nordrhein-Westfalen mit 8,5% bzw. 10,5% knapp über, aber nahe am Durchschnitt. Viel düsterer sieht das Bild im Osten und den Stadtstaaten aus: In Sachsen-Anhalt waren 12,6% der Erwerbsbevölkerung arbeitslos und 16,3% unterbeschäftigt, in Bremen waren es 11,5% bzw. 14,7% (BA 2013).
Nicht nur die objektiven Lebenschancen, auch die (Wirtschafts-)Mentalitäten und Haltungen etwa zu Arbeitslosigkeit und sozialer Sicherung variieren regional (Baur 2008b). (Darüber vielleicht mehr an einem anderen Tag.)
Am faszinierendsten (und frustrierendsten) finde ich persönlich aber, dass regionale Disparitäten erstaunlich stabil sind, und zwar nicht nur in Deutschland – schon seit etwa dem 16. Jahrhundert existieren deutliche Unterschiede zwischen zentralen und peripheren Regionen in Europa (Braudel 2001), [3] und keiner weiß genau warum. Die Soziologie beißt sich jedenfalls seit Jahren an der Frage, wie sich das erklären lässt und wie man das ändern kann, die Zähne aus. [4]
Die Nachkriegspolitik zielte daher darauf ab, über den Länderstrukturausgleich hier Chancengleichheit (und eben kein Zentrum und keine Peripherie) zu schaffen, damit die Lebenschancen nicht von der regionalen Herkunft abhängen. Und es gibt Anlass zur Hoffnung, weil ab und zu eine Stadt, eine Region oder ein Land ihre Position im Gefüge regionaler Disparitäten verändert. Ein Beispiel ist Bayern, das jahrzehntelang sehr stark vom Länderfinanzausgleich profitiert hat und jetzt ein wirtschaftlich recht erfolgreiches Bundesland ist, also von einer schwachen zu einer starken Region geworden ist.
Ungeachtet dessen sehen Politiker dieses Programm des Nachteilsausgleichs spätestens seit der Wiedervereinigung zunehmend als gescheitert. Diese Aufgabe des Gedankens gleicher Lebenschancen spiegelt sich in Begriffen „Glokalisierung“ und „Wettbewerb der Regionen“, aber auch in Reformen des Sozialstaats nieder, die z.B. die Gleichheit des Lohnniveaus aushöhlen. Ich finde es übrigens sehr ironisch, dass ausgerechnet dieses Bundesland, der stärkste Gegner des Länderfinanzausgleichs geworden ist, seitdem es vom Nehmer- zum Geberland geworden ist. Soweit zum Thema innerdeutsche Solidarität …
Anmerkungen
[1] Für die Analysen habe ich aus verschiedenen Quellen wurden regionale Strukturdaten ausgewählt und in einem Datensatz zusammengestellt, von denen ich auf Basis der Forschungsliteratur annehme, dass sie mit der Bevölkerungsmeinung zu Arbeitsmarkt und Sozialstaat zusammenhängen. Diese Strukturdaten lassen sich grob folgenden Bereichen zuordnen: politische Struktur (insbesondere Wahlverhalten), Wirtschaftsentwicklung und Wohlstand, Arbeitsmarktlage, Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe; Arbeitsmarktlage von Frauen; demographische Daten (Bevölkerungsdichte, Fläche). Zusätzlich habe ich qualitative Informationen über die historische Entwicklung und aktuelle Lage insbesondere dieser Bereich hinzugezogen. Solche Strukturdaten nennt man auch „prozessproduzierte Daten“, weil sie nicht primär für die sozialwissenschaftliche Forschung, sondern für andere Zwecke erstellt wurden. Da sie sich nicht auf Personen, sondern auf soziale Einheiten der Meso-Ebene (hier: Bundesländer) beziehen, nennt man sie außerdem „Aggregatdaten“. Konkret habe ich folgende Indikatoren für die Typenbildung herangezogen (Quelle jeweils in Klammern und kursiv): Größe des Landes und Bevölkerungsdichte, Sozialhilfeausgaben, Ausgaben für Hilfe zum Lebensunterhalt, für Hilfe in besonderen Lebenslagen und für Wohngeld, Zahl der Empfänger von Wohngeld und von Hilfe zum Lebensunterhalt (Statistisches Bundesamt) ; Erwerbstätige insgesamt, nach Geschlecht, nach Sektor und nach beruflicher Stellung, Zahl der Arbeitslosen, Arbeitslosenquote, Zahl der offenen Stellen und Zahl der Kurzarbeiter, Verdienst und bezahlte Wochenstunden, BIP und BWS insgesamt und nach Sektor (Statistische Landesämter); Wahlbeteiligungen bei den verschiedenen Bundestagswahlen, Anteil der Zweitstimmen für CDU/CSU, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen, FDP, PDS, DKP, NPD, DVU und REP bei den verschiedenen Bundestagswahlen (Bundeswahlleiter); Sozialhilfeempfänger je 1.000 Einwohner, Veränderung der Zahl der Sozialhilfeempfänger (1995-2000), Einwohner-Arbeitsplatzdichte, Beschäftigungsquote, Veränderung der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (1995-2001), Qualifizierung der Beschäftigten, Arbeitslosenquote, Veränderung der Arbeitslosenquote (1995-2002), Anteil der Langzeitarbeitslosen an den Arbeitslosen, Anteil der Frauen an den Sozialhilfeempfängern und Veränderung der Zahl der weiblichen Sozialhilfeempfänger (1995-2000), Frauenanteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, sozialversicherungspflichtig beschäftigte Frauen je 1.000 Frauen zwischen 15 und 65, Veränderung der Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen (1995-2001), Arbeitslose Frauen je 1.000 Frauen zwischen 15 und 65, Anteil der arbeitslosen Frauen an den Arbeitslosen und Veränderung der Zahl der arbeitslosen Frauen (1995-2002) (INKAR 2003 des Bundesamts für Raumordnung und Raumwesen); Verfügbares Einkommen je Einwohner, Private Konsumausgaben je Einwohner, Arbeitnehmerzahl, Zahl der Erwerbstätigen, Geleistete Arbeitsstunden je Erwerbstätigen, Arbeitsstunden je Erwerbstätigen bzw. Arbeitnehmer (Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder)
[2] Grundlage der Typenbildung waren eine sog. hierarchische Clusteranalyse nach Ward (Fromm 2006). Zunächst wurde dabei für jeden der Bereiche eine gesonderte Clusteranalyse durchgeführt, anschließend wurde ein Gesamtmodell errechnet. Bei allen Clusteranalysen kristallisierte sich gleichermaßen eine 4-Clusterlösung heraus. Die deutschen Bundesländer lassen sich demnach vier Typen zuordnen, die sich (hinsichtlich der ausgewählten Kriterien) untereinander ähneln und von Ländern der anderen Typen deutlich unterscheiden: die nordwestlichen, die südlichen, die östlichen Bundesländer und die Stadtstaaten.
Die Güte der Clusterlösung wurde überprüft, indem sie einerseits mit den qualitativ-historischen Informationen abgeglichen wurde, andererseits die Stabilität der Lösung untersucht wurde. Die Klassifikation ist nicht trennscharf: Je nachdem, welche Indikatoren zur Clusterbildung herangezogen werden, wechseln einzelne Bundesländer die Gruppenzugehörigkeit. Gruppiert man z. B. nach der Arbeitsmarktlage, wird Rheinland-Pfalz dem Nordwesten, Hessen dem Süden, Berlin dem Osten zugeordnet. Erfolgt die Typenbildung nach der Betroffenheit von und Ausgabe für Sozialhilfe, gehört Rheinland-Pfalz zum Süden, Hessen zum Nordwesten, Berlin zu den Stadtstaaten. Neben den „Wanderern“ verweilen eine Reihe von Bundesländern stabil in derselben Gruppe.
Aus diesen Kernländern wurde für jede der vier Regionen eines ausgewählt, das die Eigenschaften seines Regionaltyps möglichst genau repräsentierte, also möglichst dem Durchschnitt seines Typs entsprach und gleichzeitig die Unterschiede zu anderen Typen möglichst klar herausstrich.
[3] Auszumachen sind innerhalb von Europa fünf regionale Typen: Im Bereich der „blauen Banane“ sind urbane, vielfach hauptstädtische Verwaltungs- und Dienstleistungszentren (die „global cities“ (Sassen 1994) in zentrale Industrieregionen eingebettet. In beiden Regionaltypen zusammen wohnen 39 % der europäischen Bevölkerung, die 56 % des europäischen BIPs erbringen. Westdeutschland gehört als Gesamtheit zu diesen beiden Regionaltypen. Daneben existieren industriell geprägte Verwaltungs- und Dienstleistungsregionen, periphere Industrieregionen (hierzu gehört Ostdeutschland) sowie periphere Dienstleistungs- und Agrarregionen (Heidenreich 1999, 2003, Braczyk et. al. 1998).
[4] Eine mögliche Ursache sind Unterschiede im institutionellen Rahmen (Crouch 2001). Zu beobachten sind u.a. verschiedene Varianten des Kapitalismus – d.h. unterschiedliche Formen der Ausgestaltung des Wirtschaftssystems (Hall/ Soskice 2001) –, verschiedene Wohlfahrtsregime – d.h. unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen und Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme (Esping-Andersen 1990) – und verschiedene Geschlechterregime –, d.h. die Förderung spezifischer Formen der Aufteilung von Erwerbs‑, Familien- und Hausarbeit zwischen Mann und Frau (Pfau-Effinger 2004). Aus der Wirtschaftssoziologie ist außerdem bekannt, dass zu den Faktoren, die die regionale Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen, unter anderem gehören: natürliche Ressourcen, Transportkosten durch Entfernung zu potentiellen Absatzmärkten, das in der Vergangenheit akkumulierte Kapital, komparative Faktorkosten (insbesondere Arbeitskosten), kooperative oder konfliktorientierte Arbeitsbeziehungen, Qualifikationsniveau und Arbeitskultur der Arbeitskräfte sowie die Existenz von Innovations-, Produktions- und Dienstleistungsnetzwerken. Kleinräumigkeit fördert die Entstehung von Vertrauen, gegenseitigem Verständnis, Lerneffekten, einem spezifischen Wissen mit ebensolchem Fachvokabular sowie lokalen Governance-Strukturen. Sie verringern die Transaktionskosten, reduzieren Unsicherheit und lassen neues Wissen schnell diffundieren. Folglich spezialisieren sich Regionen – mit Hilfe mehr oder weniger erfolgreicher regionaler Strategien – häufig auf bestimmte Branchen bzw. die Produktion bestimmter Produkte (Heidenreich 1997). Da diese Branchen unterschiedlich wettbewerbsfähig sind, beeinflusst dies direkt die Arbeitsmarktlage einer Region, weshalb letztere unterschiedlich von Arbeitslosigkeit betroffen (BA 2005) und mehr oder weniger wohlhabend bzw. durch Verarmung von Bevölkerungsschichten berührt sind, was sich z. B. in Deutschland in verschieden hohen Sozialhilfeausgaben niederschlägt (Statistische Ämter 2003).
Literatur
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BA (Bundesagentur für Arbeit) (Hg.) (2005): Der Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt in Deutschland. Monatsbericht März 2005.
Baur, Nina (2008a): Konsequenzen des Verlusts des ganzheitlichen Denkens. Soziale Marktwirtschaft und die Triade Arbeitsmarkt, Sozialstaat und Geschlechterbeziehungen am Beispiel von Westdeutschland. In: Struck, Olaf/Seifert, Hartmut (Hg.) (2008): Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Wiesbaden: VS-Verlag.
Baur, Nina (2008b): Regionale Ungleichheiten der Arbeitsmarktchancen. Wahrnehmung und Wirklichkeit sozialer Absicherung. In: zur debatte 7/2008. S. 26-27
Braczyk, Hans-Joachim / Cooke, Philip / Heidenreich, Martin (Hg.) (1998): Regional Innovation Systems. London: UCL Press
Braudel, Fernand (2001): Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 3 Bände. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
Bude, Heinz/Willisch, Andreas (Hg.) (2006): Das Problem der Exklusion. Hamburg: Hamburger Edition
Crouch, Colin / Farrell, Henry (2002): Breaking the Path of Institutional Development? Alternatives to the New Determinism. Reihe: EUI Working Paper SPS Nr. 2002/4. Badia Fiesolana, San Domenico (FI): European University Institute Florence.
Esping-Andersen, Gøsta (1990): The Three Worlds of Welfare Capitalism. Cambridge/Oxford: Polity/Blackwell
Fromm, Sabine (2012): Clusteranalyse. In: Fromm, Sabine (Hg.) (2012): Datenanalyse mit SPSS für Fortgeschrittene 2: Multivariate Verfahren. Wiesbaden: VS-Verlag
Gebauer, Ronald/Petschauer, Hanna/Vobruba, Georg (2002): Wer sitzt in der Armutsfalle? Selbstbehauptung zwischen Sozialhilfe und Arbeitsmarkt. Berlin: edition sigma
Hall, Peter A./Soskice, David (Hg.) (2001): Varieties of Capitalism. New York: Oxford University Press
Heidenreich, Martin (1997): Wirtschaftsregionen im weltweiten Innovationswettbewerb. In: KZfSS 49 (3). 500-527
Heidenreich, Martin (1999): Das europäische Städte- und Regionensystem im Wandel. In: Brose, H. G. / Voelzkow, Helmut: Institutioneller Kontext wirtschaftlichen Handelns und Globalisierung. Marburg: Metropolis.
Heidenreich, Martin (2003): Territoriale Ungleichheiten in der erweiterten EU. In: KZfSS 55 (1). 31-58
Pfau-Effinger, Birgit (2004): Socio-historical Paths of the Male Breadwinner Model – an Explanation of Cross-National Differences. In: The British Journal of Sociology 55 (3). 377-399
Sassen, Saskia (1994): Cities in a World Economy. Thousand Oaks. London / Neu-Delhi: Pine Forge
Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) (2003): Sozialhilfe im Städtevergleich. Ein Vergleich 76 deutscher Großstädte. Ausgabe Mai 2003. Bonn: Statistisches Bundesamt. S. 1-8