Nerds, Nerdettes #3 Provokation und Ächtung des Nerd

Könnte es sein, dass die Abwehr gegen die Piratenpartei mehr mit deren Nerdiness als mit Sachpolitik und Programmatik zu tun hat? Die harsche und oft recht emotional begründete Ablehnung der für ihr junges Alter doch vergleichsweise braven Partei wunderte mich schon 2009, als etablierte politische und publizistische Akteure erstaunlich heftig gegen sie zu polemisieren begannen. Doch dazu später mehr: Meine These für den heutigen Beitrag lautet, dass die Provokation, die die Piratenpartei für Manche darstellt, weniger in sachpolitischen Fragen oder in der politischen Konkurrenzsituation begründet liegt, als in der nerdiness der Partei.

Es wird heute also weniger um den Nerd und die Nerdette als Sozialfigur gehen als um die Frage, inwiefern Nerdiness im Politischen als Provokation wahrgenommen wird bzw. in diskreditierender Absicht zugeschrieben wird. Als Beispiel soll der Diskurs um das „Genderproblem“ der Piratenpartei dienen. In einem Aufsatz im Sammelband „Unter Piraten“, auf den ich mich im folgenden immer wieder beziehen werde, haben Paula-Irene Villa und ich versucht, diese Debatte zu rekonstruieren und zu interpretieren (Siri/Villa 2012).

Was war geschehen? Ab Ende 2009 gab es eine starke Kritik an den Piraten, die sich an der geringen Zahl weiblicher Mitglieder entzündete. „Gab es solche Männerbünde nicht schonmal?“, fragte die EMMA. Und ein Artikel bei SPON zeichnet unter dem Titel „Jung, dynamisch, frauenfeindlich?“ das Bild von machohaften „Chef-Nerds“. Wiederum in der EMMA zeichnete Gabriele Kämper das Bild einer kindlichen aber nicht minder gefährlichen Jungenspielgruppe, in der die Nerd-Jungs sich als Herren der virtuellen Welt fühlten und sich zart-zwitschern via Twitter verbrüdern:

„Das kommt gut an. Bei den Wählern der Piraten, die überwiegend männlich, jung und gebildet sind, aber auch oft arbeitslos. Die Mischung ist brisant: Junge Männer, die einen Platz in der Gesellschaft beanspruchen, das aber (noch) nicht einlösen können. Da fällt man gern in eine halb regressive, von kindlichen Abenteuerhelden, und halb aggressive, von männlichen Überlegenheitsphantasien geprägte Haltung zurück.“

Zwei Männer- oder „Jungs“-Bilder werden in diesem Beitrag entworfen: Erstens jenes des tendenziell arbeitslosen und ortlosen, suchenden Jungen, zweitens das eines aggressiven und verspielten Nerd-Jungen, der sich anhand technischer Prothesen zum Herr der Welt aufschwingen will.

In einem Artikel der Journalistin Alexandra Borchardt, ebenfalls für die EMMA, erzählt diese eine Geschichte, in der die beiden Bilder zu verschmelzen scheinen. Hierzu ein längeres Zitat (Kursivierungen durch JS).

„Während aber in der Mathematik jeder zweite Studienanfänger weiblich ist, lehnen viele Frauen gerade die Informatik ab. Nicht, weil ihnen die Arbeit keinen Spaß macht, wenn sie diese denn einmal ausprobieren. Sondern weil sie sich scheuen, von Männern umringt zu sein, „die im Computer wohnen“, wie dies die Informatik-Professorin Sissi Closs formuliert. Viele Mädchen erleben den Nerd als eher langweiligen, ein bisschen kontaktgestörten Typen, der bis spät in die Nacht vor dem Bildschirm sitzt – auch wenn er nicht mehr Gesundheitslatschen, sondern piratisch-korrekt Kapuzenpulli trägt. Der Unterschied ist nur: Früher hätte so einer Briefmarken gesammelt oder Züge der Bundesbahn katalogisiert, heute hingegen zieht der eine oder andere in Weltkonzernen die Fäden, neuerdings – siehe Piraten – auch in politischen Parteien.

Der Nerd sei ein für Frauen unattraktiver und langweiliger Mann, so der Tenor der Passage – auch wenn er keine Gesundheitslatschen mehr trage. Früher hätte so einer Briefmarken gesammelt, heute leite er Konzerne. Paula-Irene Villa und ich haben danach gefragt, weshalb derart diffamierende Beschreibungen von Männern benutzt werden, um berechtigte und notwendige Kritik an Sexismus und mangelnder Gendersensibilität vorzutragen: „Mit R.W. Connell gesprochen, entspräche das Klischee des Nerds einer marginalisierten Männlichkeit (Connell 2006). (…) Sie ergibt sich aus der Entgegensetzung zur Negativfolie der (echten?) hegemonialen Männer, die grölen, Waffen tragen, Alkohol trinken, und alles andere als poetisch oder zart sind.“ (Siri/Villa 2012: 154)

Feminist*innen kämpfen seit Generationen dafür,dass Frauen nicht attackiert und diskriminiert werden. Besonders wichtig war hierbei – und ist immer noch – die Kritik an medialen Darstellungen, die Frauen als willige Projektionsfläche für Machtphantasien darstellen. Dazu gehört die Sensibilisierung für alle Praktiken, die einen „perfekten“, sexuell attraktiven und immer willigen Frauenkörper konstruieren. Angesichts dieser kritischen Tradition ist es erklärungswürdig, dass Feministinnen auf das Bild eines „unmännlichen Mannes“ zurückgreifen, um politisch einen Punkt zu machen.

Erklären lässt sich dies vielleicht damit, dass die Piratinnen und Piraten politische Sehgewohnheiten irritieren. Nicht nur, weil sie so besonders provokante Inhalte verträten, sondern aufgrund von Selbstbeschreibungen, die für das Politische bisher unüblich sind und die sich teilweise aus der Netzkultur speisen. Es scheint, als entstünden diverse Übersetzungsprobleme, wenn diese netzkulturellen Kommunikationen im politischen System beobachtbar werden:

Ein erstes Beispiel hierfür wäre die Freude an scheinbar infantilen Bildern und „Verkleidungen“, die sich aus der meme-Kultur speist (vgl. Siri/Villa 164f.). Wer nicht weiß, was der Ursprung von cat content ist (vgl. hierzu Reißmann, Stöcker & Lischka 2012, Kap. 1) , kann die Ausstrahlung von My little Pony auf Piratenkonferenzen fast nur albern finden. Schnell folgt dann das Urteil, ein Vorgang sei kindisch und „gar nicht wirklich politisch“. (Dazu passt sehr schön dieser Blogbeitrag von Jörg Blumtritt).

Als zweites Beispiel kann die ’nerdlogische‘ Scheu vor generalistischem Besserwissen genannt werden. Diese zeigt sich daran, dass Expert*innen im Liquid Feedback, der Plattform, auf welcher die Piratenpartei ihre Entscheidungen vorbereitet, viele Stimmen auf sich vereinen können aber auch in für Medien unbefriedigenden Antwort von Piraten-„Officials“, in einem Punkt nicht für die Partei, sondern nur für sich sprechen zu können oder gar zu einem Sachverhalt keine Meinung zu haben. Niklas Luhmann hat in seinem Text über die Politik im Wohlfahrtsstaat (1981) beschrieben, wie das Politische mit systemfremden Ansprüche überhäuft werde. Dem Politischen werde eine Allzuständigkeit verordnet, die dieses nicht einlösen könne. Aus dieser Allzuständigkeit leitet sich die Performance des allwissenden und nie um eine Antwort verlegenen Politikers ab, die die Piratinnen und Piraten bis dato deutlich konterkarieren (siehe auch Nachtrag c unten).

„Als Einzelgänger und Außenseiter sowie Sammler von Spezial-Wissen und dessen Profanierung markiert der Nerd ursprünglich das Nicht-Verwertbare, Ungeordnete, Nicht-Kommunizierbare. Über die Netzkultur und die Sehnsucht nach Hipster-Innovation rückt er jedoch bei Nerd-Nights, in der Populärkultur oder als organisierter Dilettant in der Piratenpartei in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und die Mitte der Gesellschaft, kommuniziert, performt virtuos und wird kommunizierbar“ schreiben Bromley et al. (2013).

Laut Luhmann besteht die Aufgabe der Politik darin, kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen (Luhmann 2002). Armin Nassehi hat dies dahingehend ergänzt, dass es nicht nur um die Herstellung von Entscheidungen gehe sondern auch darum, ein Kollektiv (zum Beispiel ein Volk) herzustellen, dem diese Entscheidungen überhaupt zugerechnet werden können (Nassehi 2006: 345). Ich denke mithilfe dieser Hinweise kann man verstehen, wieso die Piratenpartei für viele etablierte Akteure eine solche Provokation darstellt. Denn wieso sollten sich ausgerechnet Außenseiter und Einzelgänger für die Produktion von Kollektivität zuständig fühlen?

 

#Nachtrag#

(a) Ein drittes und ebenfalls sehr spannendes Beispiel, dass auch in diversen Kommentaren schon angesprochen wurde, ist die Irritation von genderstereotypen Politikperformances durch nerdiness. Ich würde gerne eigens dazu einen Text schreiben, weshalb ich es oben ausgespart habe. Für all die guten Kommentare bedanke ich mich sehr und werde versuchen, alle Hinweise in den kommenden Posts zu verarbeiten.

(b) Worum es mir oben nicht ging, war eine soziologische Auseinandersetzung mit der Piratenpartei. Wer sich hierfür interessiert, kann einen Blick in eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung werfen. Die Autoren Alexander Hensel und Stephan Klecha zeichnen ein aktuelles und ausführliches Bild der jungen Partei. Interessante Selbst- und Fremdbeschreibungen liefert auch der Band „Die Piratenpartei – Alles klar zum entern?“ (bloomsbury 2011)

(c) (9.5.,21:32: *Blogempfehlung* Diesen Link über den Kulturschock „Piratenpartei“ habe ich auch im Blog Memetic Turn von Benedikt Köhler und Jörg Blumtritt gefunden. Die Lektüre lohnt sich sehr, weil er ganz wunderbar zeigt, wie die oben beschriebenen Übersetzungsprobleme und Irritationen zustande kommen.

 

#Literatur#

Bromley, Anna et al. (2013), Ankündigungstext zu „Die Irregulären“Berlin: NGBK.

Luhmann, Niklas (1981), Politische Theorie im Wohlfahrtstaat, München: Olzog Verlag.

Luhmann, Niklas (2002), Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Nassehi, Armin (2006), Der soziologische Diskurs der Moderne,  Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Reißmann, Ole, Stöcker, Christian & Lischka, Konrad (2012), We are Anonymous. Die Maske des Protests. München: Goldmann.

Siri, Jasmin & Villa, Paula-Irene (2012), Piratinnen – Fehlanzeige Gender?, in: Bieber, Christoph & Leggewie, Claus (Hg.), Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena, S. 144-171.

 

9 Gedanken zu „Nerds, Nerdettes #3 Provokation und Ächtung des Nerd“

  1. Absolut richtige Aussage: „Its the Nerd, stupid!“ Meine „Parteifreunde“ machen mich wahnsinnig. Die diskutieren so lange über völlig belanglose Datails, bis die eigentliche Entscheidung absolut keine Rolle mehr spielt. Sie konzentrieren sich derart auf einzelne abschnitte des Bildes, bis sie nicht mehr wissen, was auf dem Gemälde eigentlich zu sehen war.

  2. Mhhh, ohne genau geklärt zu haben, was „Nerdiness“ bzw. „NerdEttes“ nun konkret ausmacht, ist es schwierig über die Nerdiness der Piraten nachzudenken. Auch finde ich, dass der Beitrag zwei riesige Themen – Nerdwissen & Männlichkeitskonstruktionen der Piraten – anschneidet. (Hilfe, es wütet in meinem Kopf.) Aus aktuellem Anlass möchte ich zunächst etwas zum Nerdwissen anmerken:

    Anlässlich der re:publica (Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft: http://re-publica.de/) ist mir wieder aufgefallen, wie innerhalb medialer Berichterstattung die Teilnehmenden derartiger Veranstaltungen diskursiv als Nerds konstituiert werden. Bzw. werden die dort verhandelten Themen als Nerdthemen/-wissen ausgegeben.
    An diesem Punkt gerate ich jedes Mal ins Staunen: Woher kommt dieser künstliche Graben zwischen als Alltäglichkeit (Internet, E-Mails, Smartphones) und „Abgedrehtheit“ (Netzpolitik usw.)? Jedenfalls klingt es häufig so, als tauschten sich die Teilnehmenden auf derartigen Veranstaltungen über total geheimes Spezialwissen aus, das auch nur sie selbst betrifft.

    Da Internet und digitale Kommunikationstechnologien vermutlich immer mehr Bestandteil des Alltäglichen aller werden, müssten die Piraten also eigentlich als Helden oder begehrte Spezialisten gefeiert werden (hierzu ein Artikel aus der ZEIT: http://www.zeit.de/campus/2011/04/nerds), da sie sich relevanter Fragen in dem Bereich annehmen. Dies passiert jedoch nicht. Die Piraten werden als weltfremde Eigenbrötler dargestellt; das heißbegehrte Nerdwissen führt in diesem Fall also zu einer Abwertung. Das erscheint mir paradox und auch völlig unlogisch.

    Vielleicht ist im politischen Kontext das Macht- und Distinktionsverhältnis bzw. -gerangel von hegemonialer & marginalisierter Männlichkeit doch schwerwiegender, als es auf den ersten Blick scheint. Aber hierzu ein anderes Mal mehr.

  3. Hallo BlogLeserin,

    es folgen einige eher unsystematische Gedanken zu Deinem Kommentar. Unsystematisch, weil ich gerade wenig Zeit habe, aber unbedingt noch heute antworten wollte.

    „An diesem Punkt gerate ich jedes Mal ins Staunen: Woher kommt dieser künstliche Graben zwischen als Alltäglichkeit (Internet, E-Mails, Smartphones) und „Abgedrehtheit“ (Netzpolitik usw.)?“

    Ein gutes Stück journalistischer Konstruktionsarbeit ist hieran wohl beteiligt. Auch die Berichterstattung zum Piratenparteitag aktuell folgt dem von Dir beschriebenen Muster. Wir waren also vielleicht etwas voreilig, als wir die Wissensdimension als positiv beschrieben haben (in den Kommentaren zum ersten Post meine ich…)

    „Die Piraten werden als weltfremde Eigenbrötler dargestellt; das heißbegehrte Nerdwissen führt in diesem Fall also zu einer Abwertung. Das erscheint mir paradox und auch völlig unlogisch.“

    Ich denke, dass das erstens mit dem zu tun hat, was ich mit Nassehi und Luhmann argumentieren will: In der Politik geht es danach mit jeder Kommunikation um die Herstellung eines Kollektivs. In meiner Diss habe ich im Anschluss hieran formuliert, dass Politiker stets „das Ganze“ der Gesellschaft zu symbolisieren haben, stets als ganze Person von Interesse sind. Und das macht es wahrscheinlicher, dass Normalisierungen (des Personals aber auch der Inhalte und der Programme) stattfinden, die zum Ziel haben, möglichst viele als Kollektiv adressieren zu können und möglichst gut „das Ganze“ darzustellen. Was im System der Wissenschaften dann zum Vorteil gereichen kann, kann im Politischen daher ein Nachteil sein. Das zum Nerd-Wissen in der Politik.

    Zweitens ist es für uns vielleicht hilfreich, nochmal eine praxistheoretische Sicht auf den Gegenstand zu betonen: Wenn wir uns ganz konsequent vorstellen, dass die Performanz und die Zuschreibung von Männlichkeit(en) in echtzeitlichen sozialen Praxen erfolgt, tritt deutlicher hervor, wie wenig sich konkret benennen lässt, was „wirklich“ nerdig ist. Die Gleichzeitigkeit vieler unterschiedlicher Kontextualisierungen von Nerdism (z.B. des gleichen Attributs als Teil einer hegemonialen oder marginalisierten Männlichkeit) müssen wir dann nicht als Paradox beobachten. Sondern können sie in ihrer Unterschiedlichkeit beschreiben und hinnehmen.

    Für einen weiteren Schritt, die Beobachtung eines Diskurses, der sich um Nerdism und Politik dreht, finde ich drittens den von Dir oben geprägten Begriff „Gerangel“ sehr hilfreich und treffend: Durchaus scheinen die vielen verschiedenen Selbst-und Fremdbeschreibung von NerdEttes in Konkurrenz zu stehen und – nun nur ein mögliches Beispiel – vielleicht auch für unterschiedliche Bereiche der Lebenswelt: Am Beispiel der re:publica und der Piraten. Da haben wir mindestens zwei konkurrierende Milieus: Einerseits ein technikaffines Milieu, dass dem Lob des Nerdism nahe steht und dann ein skeptisches sozusagen „alteuropäisches“ (dessen Macht ja durch die Netzpolitik ja auch ein Stückchen angenagt wird), welches dann vielleicht über die re:publica-Nerds lästert und von selbstbewussten Nerd-Selbstbeschreibungen irritiert wird. Dazu gehören vielleicht auch viele der etablierten Journalisten (deren Deutungsmacht durch das digitale Medium, Blogs, AktivistInnen) ja ebenfalls angekratzt wird). Inwiefern das dann wieder vergeschlechtlichte Positionen sind, ist dann wieder eine weitere spannende Frage, nur soviel: Ich denke, dass die Marginalisierung nerdiger Männlichkeiten mit so etwas wie einer Konkurrenz von (inzwischen auch?)hegemonial-nerdiger und hegemonial-„alteurop.“ Männlichkeit zu tun hat (das ist in dieser Binarität noch viel zu holzschnittartig, stimmt so nicht ganz, aber diese Konkurrenz lässt sich m.E. doch ganz gut in der Empirie beobachten).

    Schöne Sonntagsgrüße!

    (P.S. Und vielen Dank für den wunderbaren Link. Der Zeitartikel ist super. Auge/Faust.)

  4. Vielen Dank für die aufschlussreichen Hinweise! Die Argumentation zu dem Ganzheitlichkeits-Anspruch an politische Personen ist absolut nachvollziehbar, da den Piraten ja vorgeworfen wird eine Ein-Thema-Partei zu sein.

    Die Frage an der ich derzeit tüftle ist, warum Piraten/Nerds eigentlich marginalisierte Männlichkeiten verkörpern? Dem Stereotyp nach sind sie Weiß, gut gebildet und haben das Potential, einen hohen beruflichen Status zu erreichen.
    Was sind also die Kriterien, die hier nicht die hegemoniale Schublade bedienen?
    Ist es ein fehlendes Behauptungsstreben?
    Die unzureichende Inszenierung als heterosexueller und potenter Mann*(siehe Butler: heterosexuelle Matrix)?

    1. Ich hatte diesen Beitrag schon einmal beantwortet aber meine Antwort, wie ich erst jetzt sehe, nicht gespeichert. Sorry. Sinngemäß habe ich geschrieben, dass ich denke, dass oben stehendes auf jeden Fall stimmt: Der Nerd als Figur ist sicher nicht nur marginalisiert (weil die Figur ja auch hegemonial wirken kann). Es kommt also immer auf den Vergleichsrahmen an. Wenn ich nun wieder an die Piraten denke, könnte man „fehlendes Behauptungsstreben“ bzw. fehlenden Machtwillen und „weiche“/verletzliche Männlichkeiten an einigen empirischen Beispielen herausarbeiten. Und besonders auffällig war für mich die Abwertung der Männer als sexuelle Underperformer, also durchaus die „unzureichende Inszenierung als heterosexueller und potenter Mann“…

  5. Du schreibst, worum es dir hier nicht ging, sei eine soziologische auseinandersetzung mit der Piratenpartei. Vielleicht laufen mir da die Begriff durcheinander, aber dann verstehe ich die Funktion der Eingangsthese nicht. Denn, falls es richtig ist, das die Piratenpartei für „manche“ (vorher und konkretisiert „etablierte politische und publizistische) Akteure“ eine Provokation darstellte, gegen die also erstaunlich heftig polemisiert wurde, lassen sich doch mögliche Begründungen dafür nur in einer politischen, soziologischen oder gar psychologischen Analyse der Partei finden. Und du bietest hier ja auch ein Deutungsmuster an. Falls dieses Deutungmuster nicht auf einer soziologischen Betrachtung der Piratenpartei beruht, auf welcher dann?

    Das Problem: wenn du a) die These aufstellst, jene Provokation verkörpert durch die Piratenpartei fände ihre Ursache in der angenommenen sog. „Nerdiness“ der Partei und b) Quasi einen Disclaimer einführst, soziologische Auseindersetzung mit der Piratenpartei sei hier nicht das Ziel, dann wird die Auseinandersetzung mit der These für brave LeserInnen wie mich schwierig. Denn alternative Deutungen finden schwer ihren Platz.

    Drei probleme, die ich an dieser Stelle habe könnte ich nennen:

    1) ich habe schon an anderer Stelle hier versucht darauf hinzuweisen, dass die Typisierungen „Nerd“, „Nerdette“ „Nerdiness“ aus meiner Sicht zunehmend problematisch werden. Die damit verbundene scharfe Homogenisierung sehr heterogener Gruppen und Individuen (oder eben: sehr heterogener kollektiver oder invidueller Interessen und sozialer Praktiken) stößt hier auf eine m.e. schwach begründete Definition. Bei diesem Missverhältnis stellt sich für mich die Frage nach der Legitimität dieser Typisierung. Aber das Problem mit der Typisierung habe ich aber, wie gesagt, an anderer Stelle schon genannt.

    2) Es gibt alternative Deutungen für die Irritationen, die das Auftauchen der Piratenpartei ausgelöst hat. Diese kommen ganz ohne der Figur des „Nerds“ aus, aber nicht ohne eine politische und auch soziologische Betrachtung der Partei und auch ihres politischen Milieus. Das ist das Problem mit These und Disclaimer.

    3) Ich habe Schwieirgkeiten mit der Prämisse. Du weißt das ganz sicher besser, aber mein Eindruck war es nun gerade nicht, dass die Piratenpartei für „etablierte politische und publizistische Akteure“ eine besondere Provokation darstellte. Im Gegenteil eher, es mag da manche Ausnahmen geben, aber zum Wahlsieg in Berlin wurden sie von Medien geradezu getragen. Danach folgte fast ein Jahr Medienhype, kaum eine Talkshow kam ohne die Piraten aus. Die Berichterstattung kippte immer wieder und immer häufiger von Sympathie und Stauen in Boulevard. Aber daran waren sie eher selbst schuld. Und ich meine, dass ein ProtestwählerInnenpotential, das sie über ein Jahr halten konnten, ihnen dann wegtröpfelte und schließlich bis heute die Beine in die Hand nahm, dafür können sie sogar recht wenig. Aber die „etablierten politischen und publizistischen Akteure“ eigentlich auch nicht. Die Piraten waren sozusagen ein politisches Missverständnis. Ich will sagen: Mein Eindruck ist nicht, dass sie eine sonderliche Provokation darstellten, eine Herausforderung und Irritation eher schon. Also war nicht jede Raktion freundlich. Dies betrifft auch und besonders die anderen Parteien. Aber lag das wirklich an sowas wie „Nerdiness“, an Ponytimes auf Parteitagen und Twitter-Flausch? Oder lag es vielleicht eher daran, dass eine Partei auftrat, deren RepräsentantInnen stetig versicherten, es seien halt noch keine Inhalte festgelegt, die sich aber dennoch bundesweit mal eben auf 10 Prozent in den Umfragen aufschwang und in einen Landtag nach dem anderen einzog? Und deren Spitzen und Basis dabei zudem noch den Eindruck vermittelten, Politik sei mehr oder weniger halt Glücksache, mit etwas „gesundem Menschenverstand“ und einigem Humor ließe sich das sicher besser machen? Weil es ja auch darum ginge, es halt einfach besser zu machen. Das Systemupdate? Darauf reagieren etablierte Politik und einigermaßen seriöse Publizistik halt verschnupft, das stimmt schon, geht aber auch anderen Parteineugründungen so und ist daher nicht wirklich ungewöhnlich.

    3. Das den Piraten in der Folge einer Art politisch-gesellschaftlichen Missverständnisses ProtestwählerInnen abhanden kamen, heißt aber durchaus nicht, dass sie ihr (eher kleines) Potential nicht hätten. Es geht dabei klarerweise um Menschen, die i.d.R. gut (und häufig auch technisch) ausgebildet sind, die häufig in projektorientierter prekärer Arbeit verharren müssen, die innerhalb ihres Tätigkeitsfeldes enorme Flexibilität zeigen müssen und dabei, dadurch odr halt überhaupt tatsächlich kreativ und experimentierfreudig sind. Ich weiß nicht, ob diese Merkmale Nerds und Nerdiness beschreiben, aber ich ahne, dass sie einen hohen Anteil der Aktiven und der (verbliebenen) WählerInnen beschreiben. So bleibt gerade die Stadt Berlin ein gutes Terrain für die Piratenpartei, gesetzt sie zerlegt sich jetzt oder nach der BTW nicht, gesetzt auch, sie erhält ihren Charakter als Partei der Interessen dieses speziellen Milieus. In Berlin gibt es ja auch einen der größten Piratverbände bundesweit. Ich z.b. mache diesen Umstand an der weiten Verbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse in kreativen und technisch-orientierten Branchen (oftmals liegt das nun beieinander) in der Stadt fest.

    Funfact: Die LINKE ist jünger als die Piratenpartei. (Piratenpartei Deutschland Gründung: 2006, Die LINKE Vereinigung von WASG und PDS 2007).

    1. problem 3. ist ein bonusproblem. nur das erklärt das doppelte auftauchen der „3“ in meinem kommentar oben. eigentlich sollte der letzte absatz gar keine nummer haben. :-)

      1. Lieber T, erst einmal eine Entschuldigung für die späte Antwort. Ich will mich immer richtig mit den Kommentaren auseinandersetzen und dafür braucht es Zeit, die der Unialltag nicht so hergibt. Im folgenden also endlich zur Diskussion Deines Beitrags.
        „Du schreibst, worum es dir hier nicht ging, sei eine soziologische auseinandersetzung mit der Piratenpartei.“
        Das hätte ich besser explizieren sollen, Du hast recht: Anders als in meinem Parteienbuch geht es mir hier nicht um eine umfassende Betrachtung der Partei/Bewegung sondern um einen medialen Diskurs, der für sich genommen bereits interessant ist. Es fehlt also das Wort „umfassend“.
        „Das Problem: wenn du a) die These aufstellst, jene Provokation verkörpert durch die Piratenpartei fände ihre Ursache in der angenommenen sog. “Nerdiness” der Partei und b) Quasi einen Disclaimer einführst, soziologische Auseindersetzung mit der Piratenpartei sei hier nicht das Ziel, dann wird die Auseinandersetzung mit der These für brave LeserInnen wie mich schwierig. Denn alternative Deutungen finden schwer ihren Platz.“
        Das ist kein „Disclaimer“ und keine Immunisierungsstrategie, sondern gerade der Hinweis darauf, dass es auch andere Beobachtungsmöglichkeiten gibt, wie z.B. eine organisationssoziologische, die mir sonst sehr wichtig ist, hier aber fehlt. Dass ich mit starken Thesen -sicher auch stärkeren als man außerhalb des Blogs von mir gewohnt ist – arbeite hat seinen Grund im Blogformat, das auch für Nicht-SoziologInnen interessant sein soll.
        Zu 1) „ich habe schon an anderer Stelle hier versucht darauf hinzuweisen, dass die Typisierungen “Nerd”, “Nerdette” “Nerdiness” aus meiner Sicht zunehmend problematisch werden. Die damit verbundene scharfe Homogenisierung sehr heterogener Gruppen und Individuen (oder eben: sehr heterogener kollektiver oder invidueller Interessen und sozialer Praktiken) stößt hier auf eine m.e. schwach begründete Definition. Bei diesem Missverhältnis stellt sich für mich die Frage nach der Legitimität dieser Typisierung. “
        Ja, meinetwegen… Aus der von Dir behaupteten „Schwäche“ einer Definition ergibt sich eben auch die Möglichkeit, empirische Daten an ihr spannend zu diskutieren. Ich denke nicht, dass eine Figur oder eine Semantik ihr Abbild in einer Realität findet, oder die Lebenswelt von konkreten Menschen korrekt beschreiben muss – drum habe ich dieses Problem so nicht.
        Zu 2) habe ich oben schon geschrieben.
        Zu 3) Es gab sicher ein starkes Interesse, wie das mit dem Wahlerfolg zusammenhängt, weiß ich nicht. Die abwertenden Kommentare waren aber durchaus häufig und auffällig, damit einher ging auch die Furcht etablierter Parteien vor netzpolitischen Themen.

        Zum letzten Punkt, der Frage nach der Mitgliedschaft der PP kann ich nix beitragen, habe eben in neuere Texte zur PP geschaut, da ist auch noch nichts zu finden. Hensel und Klecha schreiben eher zu den Motiven der Mitglieder und auch bei Bieber hab ich beim Durchblättern nix gefunden. Das wäre spannend, zu erheben.

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