Achtung: der nachfolgende Blog enthält nicht die politische Meinung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Er enthält nicht einmal die Meinung des Autors. Er möchte nur zwei Deutungsvarianten eines aktuellen Konflikts einander gegenüberstellen und fragen, ob die Soziologie Mittel entwickelt hat, diesen Deutungsstreit zu entscheiden.
Europa steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem sich der Ausbruch der europäischen Urkatastrophe zum 100. mal jährt, scheint sich an seinen Rändern ein Konflikt aufzutun, der aus dieser längst überwundenen Zeit stammt: Im klassischen Stil einer imperialen Macht annektiert Russland unter dem Vorwand des Schutzes der Bevölkerung ein Territorium, verändert einseitig Grenzen und sperrt sich internationalen Verhandlungen. Es erneuert damit ein Verhaltensmuster aus der Zeit der konkurrierenden Nationalstaaten, die ihre inneren Demokratisierungs- und Modernisierungsdefizite durch auswärtige Machtpolitik kompensierten.
Die Europäische Union hat dieses Stadium der Entwicklung anhand der bitteren Erfahrung von zwei Weltkriegen überwunden. Sie steht für die Prinzipien der gemeinsamen Entwicklung im friedlichen Wettbewerb und für internationale Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die über die Grenzen Europas als Angebot zur Kooperation hinausreichen. Ihre Aufgabe muss es sein, Russlands politische Führung durch sanften Druck an den Verhandlungstisch zurückzubewegen, den Konflikt über die Definition von Minderheitenrechten ohne Verschiebung territorialer Grenzen zu lösen, Russland ein Pakt zur gemeinsamen Mehrung des Wohlstandes, Demokratisierung des politischen Systems und Modernisierung von Gesellschaft und Kultur anzubieten und der Ukraine die freie Entscheidung über ihre politische Zukunft zu lassen.
Oder:
Europa steht von einer gewaltigen Herausforderung. Mitten im Prozess seiner inneren Einigung und äußeren Expansion stößt es auf den konkurrierenden Machtblock der Eurasische Union unter Führung Russlands, der auf der Andersartigkeit seines politischen Systems, seiner gesellschaftlichen Ordnung und seiner kulturellen Orientierungen beharrt. Damit gerät auch die universalistische Sendungsidee, die die europäische wie jede Nationsbildung begleitet – die Vorstellungen vom Fortschritt durch ökonomischen Wettbewerb, vom sozialem Ausgleich und der Lösbarkeit aller politischen Konflikte über Verhandlungen – in eine Krise, weil die EU nun entweder machtpolitisch die Universalität ihrer Vorstellungen behaupten, oder als partikularistische Ordnungsidee auf die eigene Bevölkerung beschränken muss.
Der Konflikt zwischen den beiden Machtblöcken entsteht nicht zufällig auf einer Huntington-Linie, auf der drei Kulturkreise zusammenstoßen: der muslimische mit den Krim-Tataren und der Türkei als ihren Schutzherren, der russisch-orthodoxe und der europäische, für den die ca. 5 Mill. Ukrainer vor allem im Westteil des Landes stehen, die als Mitglieder der Unierten Kirche Rom unterstehen. Nach dem weitgehenden Scheitern der Aufnahmegespräche zwischen der Türkei und der EU bildet die Ukraine gewissermaßen das Elsass-Lothringen zwischen dem europäischen und dem eurasischen Machtblock, die sich nach dem Muster der klassischen Nationsbildung als politische Willensgemeinschaften aus verschiedenen Vorgängerstaaten herauspräparieren. Das Zeitalter der Nationalstaaten ist nicht zu Ende, es reproduziert sich im globalen Maßstab: USA, Europa, Eurasien, China und vielleicht noch ein paar Schwellenländer mit ihren Einflußzonen.
Im Gegensatz zu seiner eigenen Stellung im Jugoslawien-Konflikt (Kosovo-Frage) beharrt Europa jetzt auf dem Primat der Unverletzlichkeit und Souveränität der bestehenden Nationalstaaten vor dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, weil es gleichzeitig von Autonomie-Bewegungen im Inneren bedroht wird. In Katalonien und Schottland stehen zwei Volksbefragen an, die von den jeweiligen Zentralregierungen als nicht vereinbar mit dem nationalen Recht interpretiert werden und – sollten sie zur staatlichen Separation führen – die EU vor das Problem der Beitrittsverhandlungen nach innen stellen würde. Das ist, als ob nach einer Scheidung dem verlassenen Partner ein Vetorecht über die neue Beziehung des anderen zustünde. In dieser Lage kongruieren in der Krim-Frage Interessen und Ideen, solange keine Zweifel an der Vorstellung auftauchen, dass der Weg Europas die Entwicklung in anderen Erdteilen vorwegnehme, also gewissermaßen die Speerspitze eines Prozesses sei, dem andere Völker – auch Russland – früher oder später folgen würden. Deshalb die Weigerung, die EU nach innen und außen als nation-building anzusehen, deshalb der Erinnerungskult zu 1914 in Europa, in Russland dagegen zur Abwehr der Faschisten im Großen Vaterländischen Krieg. Beide Seiten jedenfalls pflegen ihre Ideologien, und bei keiner kann man sagen: sie hat recht.
Zwei Deutungen, zwei Großerzählungen, aus denen völlig unterschiedliche politische Reaktionen gefolgert werden können. Was haben sie mit Soziologie zu tun? Viel, denn beide korrespondieren mit bestimmten Grundvorstellungen von Gesellschaft. Comte nannte sie „Dynamik“ und „Statik“.
Nehmen wir die erste, die evolutionistische. Sie ist grundsätzlich humanitär angelegt, weil sie von der Erwartung getragen wird, in der Zukunft läge – bei allen Ambivalenzen – ein besserer Zustand, der früher oder später für alle Menschen seine Wirkung entfalten würde. Ihre Anhänger (ich nenne sie hier einmal: die Beckisten) sind getragen von der moralischen Gewißheit, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, nämlich auf der der Zukunft. Sie neigen dazu, nicht auflösbare Differenzen mit anderen zu diachronisieren, das heißt den anderen eine Position zuzuschreiben, die „heute überwunden“, eben „Geschichte“ sei, nicht „der des 21. Jahrhunderts“ entspreche. Was sie so sympathisch macht ist ihre grundsätzliche Offenheit gegenüber anderen, die sich aus der Erwartung speist, der andere werde irgendwann einmal nicht mehr anders sein – auch wenn er es jetzt noch nicht weiß. Was sie dann manchmal unsympathisch macht, ist das lächelnde (oder unduldsame) Schweigen, in das sie verfallen, wenn sie auf hartnäckige Gegenargumente stoßen. Dann denken sie wie Anthroposophen: wenn Du es auch jetzt noch nicht einsehen möchtest, dass ich recht habe, dann eben in der nächsten Reinkarnation.
Beckisten benötigen keinen komplexen Umgang mit Geschichte. Denn alles, was war, ist nur insofern relevant, als es Vorstufe zum Gegenwärtigen oder Zukünftigen ist. Sie argumentieren immer ein wenig wie der amerikanische Psychologe Paul Rozin auf die Kritik, ein großer Teil der Erkenntnisse der modernen empirischen Psychologie sei an einer bestimmten Population gewonnen: amerikanischen Undergraduates. Das, so meinte er, sei nicht schlimm, weil in Zukunft alle Menschen so sein werden, wie amerikanische College-Studenten heute. Danach braucht man sich mit der russischen Nationalideologien nicht ernsthaft auseinandersetzen, denn die junge städtische Elite sei ja schon ganz nach Westen ausgerichtet: die Zukunft gehört Pussy Riot. Und die Oligarchen haben alle eine Wohnung (und ein Konto) in London.
Beckisten benötigen auch keine komplexen Typologien, weil sich ihnen alles in die klare Relevanz des aktuellen Zustandes auflöst. „Soziologen kennen offensichtlich nur noch eine Epoche: die Moderne“, seufzte eine Historikerin in einer Berufungskommission, alles andere ist ihnen, was den Historikern die Neolithische Revolution: davor kann, aber braucht man auch nicht wirklich zurückzublicken. Literatur, die älter ist als fünf Jahre, braucht man nicht zu lesen, denn alles, was an ihr wahr ist, ist in den neueren Forschungsstand eingegangen – so argumentieren seit je fortschrittsgläubige Fächer.
Schaut man nun auf die Verbreitung des evolutionistischen Deutungsschemas, so dominiert es weitgehend die Gegenwartsanalysen: Differenzierungstheorien allüberall – aber keine Theorie der Entdifferenzierung. Risiko-, Mulitoptions-, Informations-, Wissens-, ich-weiß-nicht-was-Gesellschaft: Alle operieren mit der Vorstellung, einer universalen Entwicklung auf der Spur zu sein, deren Alternativen sich allenfalls in historischen Reihungen auflösen lassen.
Und dann die andere Großdeutung, ich nenne sie die antagonistische. Ihr Pathos ist nicht humanitär-universalistisch, sondern realistisch-partikular und wird von der Vorstellung getragen, einen durch ideologische Vorstellungen ungetrübten Blick auf die Phänomene zu haben. Ihre Anhänger (ich nenne sie hier einmal: Münklerianer) sind getragen von der Gewißheit, aus der Geschichte zu kennen, was ist und was kommen wird – zumindest prinzipiell. Sie neigen dazu, Differenzen mit anderen zu essentialisieren, das heißt zu nicht vereinbaren Perspektiven auf die Welt zu erklären, die von diametral verschiedenen „Werten“ getragen seien. Was sie sympathisch macht ist ihr illusionsloser Blick auf die Wirklichkeit und die häufig überraschende Sicht, die sie liefern. Was sie dann manchmal unsympathisch macht, ist der Kampfmodus, in den sie schnell geraten und in dem kein vernünftiges Argument mehr zählt. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.
Münklerianer benötigen einen komplexen Umgang mit Geschichte. Denn alles, was einmal war, ist für sie eine Möglichkeit, die jederzeit wieder kommen kann. Sie argumentieren immer ein wenig wie der Karnevalsprinz: Wenn ich nur will, kann ich sein wie Attila, der Hunne. Sie beschäftigen sich nur allzu gerne mit dem Fremden als Fremdes, das auch fremd bleiben soll; denn: wenn der Russe so oder so denkt, dann weiß ich, warum ich Europäer bin und bleiben möchte. Ihnen wird auch noch die abstruseste Lebensform zum Möglichkeitsentwurf für aktuelles Handeln. Sie rechnen mit allem. Sie argumentieren: Lasst doch den Russen die Krim – oder tretet ihnen militärisch entgegen.
Schaut man auf die Verbreitung des antagonistischen Deutungsschemas, so dominiert es in den Sozialwissenschaften die politischen Think-Tanks vornehmlich in den USA und China, englische Historiker sowie einen Teil derjenigen Sozialwissenschaften, die sich mit internationalen Beziehungen befassen.
Soweit die beiden Varianten: einmal Gesellschaft als evolutionäres Großprojekt der Menschheit, bei dem der falsche Entwurf sich durch richtiges politisch-moralisches Handeln (und bei Luhmann von alleine) erledigt, einmal als unheilbares Gruppenphänomen, dass bei allen Einigungen seine Spaltungen immer wieder neu produziert, indem durch kontingente historische Prozesse (Machtkämpfe) bestimmte Formen dominieren, andere dagegen untergehen. Hier Differenzierungs-, dort Konflikttheorie.
Wer hat recht? Kann man nicht an die Soziologie als eine führende Sozialwissenschaft die Erwartung herantragen, diesen Streit zu entscheiden? Andere Wissenschaften bekommen es ja auch hin, bestimmte Theorien, die Welteislehre etwa, als falsch nachzuweisen, und andere, die Urknall-Theorie, als richtig. Warum wir nicht? Aber mit welchen Mitteln? Durch empirische Forschung? Wohl kaum, die Datenlage ist komplex, und selbst entschlossene Indikatoren-Forscher dürften es schwer haben, den Streit anhand von, sagen wir: dem Umgang mit sexuellen Minderheiten zu entscheiden. Theoretischer Reflexion? Gerade aus ihr entsteht ja diese Differenz. Wer hilft weiter?
Mit der wissenschaftlichen Entscheidbarkeit solcher Streitfälle steht viel auf dem Spiel; so die Frage, ob die Sozialwissenschaften nur intellektuelle Munition für das liefern, was zu glauben wir uns schon vorher entschlossen haben, wie Weber meinte. Wir können mit unserer Wissenschaft nur verstehen, warum der andere so argumentiert, wie er argumentiert und ihm Konsequenzen und Inkonsequenzen nachweisen. Hat Weber also recht?
Lieber Herr Albrecht,
ich finde ihren Artikel sehr interessant, doch wundert mich die „binäre Schematisierung“ ihrer Darstellung.
Man könnte m.M. einen Großteil der aktuelleren kulturtheoretischen Theoriebildung (v.a. im Bereich „Globalisierung“) als Versuch auffassen, der von Ihnen beschriebenen „Beckist oder Münklerianer“-Frage zu entgehen. z.B. mit Konzepten von „hybridization“, „appropriation“ usw.
Zugegebenermaßen ist mir auch nicht klar, ob das zum Verständnis der „Krimkrise“ beitragen kann, oder wie man diese dritte Position idealtypisch formulieren könnte. Aber jedenfalls entlastet es uns Soziologen von der Entscheidung entweder Beckist und Münklerianer zu sein – oder etwa nicht?
cu
Binäre Schemata sind immer problematisch, weil sie eben stark vereinfachen. Die Logik in diesem Fall: entweder zielen soziologische Erklärungen auf Einheit oder auf Differenz. Tertium non datur. Aber damit haben sie natürlich Grenzen in ihrer Erklärungskraft. Testen wir sie aus:
Globalisierungstheorien zielen grundsätzlich auf Einheit („Weltgesellschaft“), sind insofern beckistisch. Sie können allerdings so konstruiert sein, dass sie neue Fragmentierungen (Fundamentalismus) gleich mitbedenken. Dann sind sie münkleristisch (grauenhaft, das Wort, aber ich muss in der Konsequenz meiner Begriffsvorschläge bleiben). „Hybridization“ und „appropriation“ zielen für mich beide in die gleiche Richtung: Differenz bleibt bestehen, wird aber unwesentlich, weil sie sich gleich verteilt. Wer nun aber untersucht, wie aus der japanischen Aneignung der amerikanischen Comic-Kultur das Phänomen Manga entsteht, das dann wiederum zur Abgrenzung jugendlicher Subkulturen dient: Differenz. Insofern bietet auch ein binäres Schema, wenn es idealtypisch verstanden wird, viele Möglichkeiten zur Unterscheidung.
Lieber Herr Albrecht,
mein „Problem“ bei der Gegenüberstellung von „Beckisten“ und „Münklerianern“ ist der, dass es in Ihrer Darstellung m.M. nicht nur um Gleichheit/Differenz geht, sondern um gleich WERDEN (was eine historisierung regionaler Unterschiede mit sich führt) versus unterschiedlich BLEIBEN (wobei diese Differenzen auf einem essentialistischen Kulturbegriff beruhen – vielleicht ist das auch nur eine Einbildung aufgrund des Titels mit Huntington).
Die Globalisierungtheorien, die ich meine (die das Konzept der Hybridization benutzen), würden aber eher ein unterschiedlich WERDEN betonen, wobei sich diese Unterschiede dann auch nicht auf Kulturkreise wie etwa Europa, der Westen, Russland oder China beziehen lassen – diese vermeintlichen Kulturen sind ja in sich höchst heterogen, und da diese Heterogenität ständig im Wandel ist, lässt sie sich auch nicht als klare Grenzen auffassen. Das bedeutet aber nicht, dass die Heterogenität gleichmäßig über die Welt verteilt wird. Regionale Unterschiede bleiben bestehen, werden sogar zum Teil noch deutlicher, weil sie an Identität gekoppelt werden.
So ungefähr die Kurzzusammenfassung. Das wäre für mich schon eine dritte Position, weil sie zwar weiterhin von Differenzen ausgeht, aber diese Differenzen als Diffus und Dynamisch auffasst und einen essentialistischen Kulturbegriff vermeidet.
(Das ist zumindest das paradigmatische ZIEL, dann kann man natürlich fragen, ob das Ziel auch erreicht wurde)
cu
Ein essentialistischer Kulturbegriff liegt mir fern, aber genauso fern ein essentialistischer Gesellschaftsbegriff (konstruiert etwa über „Struktur“). Beide Konzepte lassen sich nur als unterschiedliche Perspektiven auf eine komplexe soziale Realität verstehen, die im Begriff idealtypisch (d.h. einseitig) verdichtet wird. Es ist bezeichnend, dass sich so viele an den Homogenitätsunterstellungen von „Kultur“ stören, aber niemand an denen von „Gesellschaft“.
Konkret: Huntington spielt in meiner Argumentation nur in der dritten Ebene eine Rolle (vielleicht war es ein Fehler, ihn in den Blog-Titel aufzunehmen, das war ein kalkulierter Aufreger): Ich beobachte zwei (wiederum nur idealtypisch) unterscheidbare Haltungen, und beschreibe innerhalb der einen, welche Plausibilität Huntington für diesen Typus hat. Also: Beobachtung 3. Ordnung, nicht meine Position.
Wenn Sie sich auf Konzepte der Hybridisierung beziehen, die die Dynamik von Identitätsbildung (in kultursoziologischer Terminologie: sozial reflexive Sinnbildung) einbeziehen, ohne sie dann wieder einer universalistischen Individualisierungstheorie unterzuordnen, sind wir ganz dicht beieinander. Das ist aber historisch nicht neu: auch „Stammeskulturen“ fluktuieren vielfach, laufend bilden sich neue Einheiten aus vielfältigen Wurzeln, nicht nur die Völkerwanderungszeit funktionierte genauso wie heute „Globalisierung“. Aber: diese Identitäten können dann schnell von den Akteuren „essentialisiert“ werden, die sehr klare Grenzen zwischen dem „wir“ und den „anderen“ ziehen. Siehe Ukraine. Und es wäre irgendwie verfehlt, wenn wir Soziologen nun die Bewohner der Krim darüber aufklären wollten, dass es eine soziale Gruppe „Russland“ eigentlich nicht gibt. Genau diese Eigenmächtigkeit der Akteure und der durch ihre Sinnkonstruktionen geschaffenen sozialen Tatsachen müssen wir irgendwo begrifflich abbilden. Das „Semantik“-Konzept ist hier zu schwach, funktionale Differenzierung erfasst es nicht. Aber vielleicht ist es ja ein Musterbeispiel für das, was Sie unter lokaler Identitätsbildung verstehen, auch wenn die Lokalität hier den Anschluss sucht.
Ja, das überzeugt mich, dann sind wir anscheinend tatsächlich in unseren Auffassungen recht nah bei einander. Aus dieser (identitätsbezogenen) Perspektive wird dann auch die binäre Unterscheidung für mich nachvollziehbar.
Lieber Herr Albrecht,
ich finde Ihre Beiträge sehr interessant. Endlich mal wieder jemand, der nicht nur so tut, als wäre alles Friede, Freude, Eierkuchen, sondern auch die bestehenden Probleme des Fachs thematisiert.
Eine Nachfrage zum besseren Verständnis: Handelt es sich bei dieser Vorstellung von den Sozialwissenschaften als Schiedsrichter bzw. Konfliktlöser der Geschichte um Ihre Vorstellung von der gesellschaftlichen Funktion der Sozialwissenschaften? Ich halte sie für ziemlich problematisch.
Ihre Frage kann ich nur durch ein Bekenntnis beantworten, das ich im Blog vermeiden wollte: Hier bin ich Weberianer. Ich glaube nicht, dass die Sozialwissenschaft (wie alle Wissenschaft) sich anmaßen kann, gesellschaftliche oder politische Konflikte zu entscheiden. Ich glaube aber, dass es innerhalb der Soziologie (noch mehr: der Ökonomie, der Politikwissenschaft, der Psychologie) eine Menge Leute gibt, die dies für die eigentliche Funktion ihrer Disziplin halten. Sie möchte ich herausfordern, endlich einmal gute Argumente zu liefern und nicht nur von den gesellschaftlichen Erwartungshaltungen zu leben, die man dann nur im Klein-Klein der Sozialtechnologie einlösen kann – ansonsten aber einfach den politischen Grundkonsens der jeweiligen Gegenwartslagen zu bedienen.
Hallo Hr. Albrecht, hallo Mari (cu@Bi?),
vielen Dank für den interessanten Input.
Primär stört es mich wieder „Huntington“ zu lesen. Ich dachte die unterkomplexe These wäre nun endgültig aufgrund der funktionalen Differenzierung widerlegt? Als Teaser ist er massenmedial natürlich gut hier für den Blog geeignet; vermutlich das Problem zwischen Blogging und Wissenschaftlichkeit.
Ich sehe hier kein Konflikt zwischen zwei(sic!) Machtblöcken, was ist mit China? Und warum das binäre Schema anhand von Kulturen aufziehen (was immer das sein mag, vgl. Baecker). Als Weberianer kann ich das im Rahmen der protestantischen Ethik verstehen. Aber ich finde wir müssten versuchen, das Thema generalisierter anzupacken. Ein tertium gibt es (und wenn es der Unbekannte eingeschlossen Dritte ist). Deswegen würde ich oben nicht „oder“ sondern „oder/und“ schreiben.
Ich würde versuchen umanitär-universalistisch und(!) realistisch-partikular zu denken. In der Tat herausfordernd. Aber warum sollte sich die Soziologie dem nicht stellen können? Vorarbeiten im Rahmen von modernen Regimetheorien sind in den Politikwissenschaften doch vorhanden (K. Waltz sogar integrierend)?
Trotz meines kritischen Bias fand‘ ich den Input sehr anregend (nicht nur für mein Arbeit). Danke dafür. Schade, dass mir momentan nicht die Zeit bleibt das zu vertiefen.
MfG, Lutz Ebeling