„Race“-Kategorien re/visited

Ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie melden sich zu einer Fortbildung an und füllen ein Formular aus. Sie machen Angaben zu Ihrem Namen, Geschlecht, Alter, Ausbildung, Rasse, Beruf, … ups – wie bitte, zu was? Zu meiner „Rasse“?? Während die anderen aufgeführten Kategorien Ihnen evtl. nicht unproblematisch erscheinen, so finden sie doch im deutschen Sprachraum allgemein Verwendung – sowohl im Alltagsleben als auch in Statistik und Wissenschaft. „Race“-Kategorien sind dagegen höchst unüblich und werden in Deutschland seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr verwendet. In Südafrika dagegen schon – und das o.g. Gedankenexperiment basiert auf einem realen Formular (siehe Foto), das ich in meinen Konferenzunterlagen fand, als ich Anfang Juli (wie in meinem letzten Blogeintrag beschrieben), eine internationale HIV-Konferenz in Stellenbosch besuchte (der rote Kreis hebt die Antwortmöglichkeiten zu „Race“ auf dem Formular hervor: „Black“, „Asian“, „Coloured“, „White“).

registration form fpd südafrika
Registration Form FPD School of Health Sciences (short course in medical ethics)

Auf der Konferenz hielt Jonathan Jansen eine Eröffnungsrede über Rassismus und den Stellenwert der „race“-Kategorien im heutigen Südafrika. Jansen ist Präsident des South African Institute of Race Relations und Vizekanzler und Rektor der Free State Universität. Er sprach über die vier Kategorien, die üblicherweise gebraucht werden (in seinen Worten: „African“, „White“, „Coloured“, „Indian“) und legte anschaulich dar, wie stark diese Kategorien nicht nur die amtliche Statistik, Politik und Wissenschaft, sondern auch das Alltagshandeln prägen: „Unless South Africans can put you in one of these boxes, they don’t know how to behave towards you.“

„Race“-Kategorien sind wissenschaftlich und politisch höchst umstritten – und werden doch in verschiedenen Gesellschaften (inklusive Südafrika und den Vereinigten Staaten) in großem Maßstab, d.h. auch in den Sozial- und Gesundheits-Statistiken, verwendet. An dieser Stelle ist kein Platz, um die komplexe Debatte ausführlich darzustellen, es sei nur so viel gesagt: „Race“-Konzepte basieren auf der Vorstellung von biologischen Unterschieden zwischen Menschen, die von biologischer Forschung im Großen und Ganzen nicht bestätigt, sondern widerlegt wurden. Nichtsdestotrotz halten sich die Kategorien und prägen die soziale, politische und wissenschaftliche Wirklichkeit. Interessant ist dabei, dass gerade auch zivilgesellschaftliche Akteure teilweise die Verwendung von „race“- Kategorien einfordern, mit dem Argument: auch wenn „race“ -Kategorien sozial konstruiert sind, stellen die mit ihnen verbundenen Formen von Rassismus doch eine Realität dar – und will man diese dokumentieren, analysieren und verändern, so muss man mit den Kategorien arbeiten (eine Position, die von Critical Race Theoretiker/innen auch als „strategic essentialism“ bezeichnet wird, vgl. Bowker/Star 2000:224 in ihrer Besprechung von „race“-Klassifizierungen und Reklassifizierungen in der Apartheid Ära).

In dem DFG-geförderten Projekt „Kategorien im Wandel“ rekonstruieren wir die Kategorien, mithilfe derer in Deutschland und Großbritannien Wissen zu Migrant/innen im Kontext von Infektionskrankheiten (genauer gesagt: in der Gesundheitsberichterstattung zu HIV und Tuberkulose) hergestellt werden. Weder in Deutschland noch in Großbritannien werden dazu explizit „race“-Kategorien verwendet, aber in GB finden Ethnizitäts-Kategorien (z.B. „Asian“, „Black African“, „Black Carribean“, „White“, etc.) breite Verwendung. Diese wurden 1991 mit dem Census eingeführt, haben sich seitdem weiter ausdifferenziert und sind bei genauerer Betrachtung „race“-Kategorien sehr ähnlich, auch wenn sie nicht als solche ausgewiesen sind. Um diese Kategorien, die auch in Gesundheitsstatistiken verwendet werden, rankt eine lebendige und auch kritische Diskussion.

Im deutschen Gesundheitssystem sind „race“- und „ethnicity“- Kategorien dagegen undenkbar – zumindest zu diesem Zeitpunkt. In dem o.g. Projekt haben wir im Rahmen einer wissenssoziologischen Diskursanalyse über 500 Dokumente der Gesundheitsberichterstattung seit den 1980er Jahren ausgewertet und Expert/innen befragt. Letztere waren in einem Punkt einer Meinung: sie teilen die Einschätzung, dass es „race“- und „Ethnizitäts“-Kategorien hierzulande vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht geben darf und auch nicht geben wird. Dieses „Tabu“ wurde von den meisten für richtig befunden. Der britische Epidemiologe Raj Bhopal dagegen kritisiert das Fehlen von Ethnizitäts-Kategorien in Deutschland– er hält es für unangemessen, nachfolgende Generationen von Einwander/innen über die Migrationserfahrung ihrer Eltern oder Großeltern zu definieren, und stimmt damit ein in den Chor der internationalen Kritik an der deutschen Kategorie „Personen mit Migrationshintergrund“.

Spannend ist in diesem Kontext auch die Frage, inwiefern sich das Denken nach 1945 durch das „Tabu“ tatsächlich geändert hat. Aus soziologischer Perspektive können wir Kategorisierungen als kollektiv geteilte Vorstellungen der sozialen Wirklichkeit verstehen, die uns helfen, Komplexität zu reduzieren und unser Handeln zu strukturieren. Diese Kategorien entfalten strukturierende und performative Wirkungen und bilden damit die Realität nicht nur ab, sondern bringen sie mit hervor. Was geschieht nun, wenn die Kategorien, die vormals große Wirkung hatten, nun verändert bzw. aus dem offiziellen (politischen und wissenschaftlichen) Sprachschatz gestrichen werden? Nehmen wir die Wirklichkeit anders wahr, seit wir Menschen nicht mehr explizit in „Rassen“ unterteilen? Oder hat die Vorstellung (und Herstellung) von Differenzen einfach eine neue Form gefunden? Dieses Argument wird beispielsweise von Martin Sökefeld u.a. mit Blick auf essentialisierende Vorstellungen von „kulturellen Unterschieden“ nahegelegt.

Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare…

 

5 Gedanken zu „„Race“-Kategorien re/visited“

  1. Liebe Hella,

    das ist sehr interessant, vielen Dank. Ich würde übrigens der Kritik am „Migrationshintergrund“ zustimmen und eher meinen, das es gar nicht darum geht, ob „race“-Kategorien irgendeinen ontologischen oder biologischen Hintergrund haben. Sie haben aber einen sozialen, und zwar in dem Sinne, dass sie als Ressource verwendet werden können – nicht nur zur Diskriminierung. Es ist eine schlichte Tatsache, dass in Deutschland die ethnische Zuschreibung als Afrikaner, als Türke oder sogar als Serbe durchaus soziale Folgen hat und deren Nichtbeachtung dann ungewollte bzw. unsichtbare Effekte zeitigt. Vielleicht ist die Verwendung von „race“-Kategorien schlicht ehrlicher als ihre Verschleierung – und das führt zu der allseits bekannten Paradoxie, dass jeder Versuch, solche Zuschreibungen zu überwinden und unsichtbar zu machen, seinerseits wieder für zum Teil unangemessene Sichtbarkeiten sorgt. Die entscheidende politische, nicht wissenschaftliche, Frage ist es, wie man mit dieser Paradoxie angemessen umgehen lernen kann. Ein Vorteil in Deutschland wäre, dass wir dann womöglich mehr darüber wüßten, was mit Menschen in der zweiten, dritten, vierten Generation nach der Migration geschieht bzw. wo sie landen. Ich meine damit nicht ein wissenschaftlich generiertes Wissen, sondern ein politisch erzeugtes Wissen mit politischen Konsequenzen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist Abweichung bei uns mehr als in klassischen Einwanderungs- oder Kolonialländern von Amts wegen nicht existent, weswegen man sich dann auch um nichts kümmern muss. Paradoxerweise hätte die Selbstzurechnung auf einem Formular womöglich einen größeren Effekt darauf, die „Anderen“ als die „Unseren“ wahrzunehmen als deren Invisibilisierung.
    Ich selbst wüsste freilich nicht, ob ich dann „Bavarian“ ankreuzen müsste.
    In diesem Sinne „pfiat di“
    Armin

  2. Danke für den Kommentar, lieber Armin. Ich stimme Dir in vielem zu – vor allem darin, dass Ethnizitäts-Kategorien auch hierzulande im Alltag breite Verwendung finden. In unserem Projekt beschäftigen wir uns allerdings in erster Linie mit administrativen Kategorien, die in der Gesundheitsberichterstattung verwendet werden. In UK werden diese teilweise von zivilgesellschaftlichen Akteuren mit beeinflusst (daher auch die zunehmenden Ausdifferenzierung der ethnischen Kategorien in den Sozial- und Gesundheitsstatistiken), aber im Grunde handelt es sich hier – um die begriffliche Unterscheidung von Richard Jenkins aufzugreifen – vor allem um soziale Kategorisierungen im Sinne einer Fremdzuschreibung und weniger um Kategorien, die die Personen und Gruppen selbst zur Identifikation verwenden würden. Die Beziehung bzw. das Spannungsverhältnis zwischen „social categorization“ und „group identification“ wird meiner Einschätzung nach auch in Deutschland den Diskurs zunehmend beeinflussen – es wird also darum gehen, zu klären, welche Kategorien einen wissenschaftlichen Erkenntnisgehalt versprechen, welche Kategorien von politisch-administrativem Nutzen sein könnten – und welche Bezeichnungen dabei für die Gruppen selbst akzeptabel sind. Und hier tut sich ja einiges, statt von „Migrationshintergrund“ zu sprechen, wird beispielsweise vorgeschlagen, von „Postmigranten“ oder „Neuen Deutschen“ zu sprechen oder Bindestrich-Identitäten in Erwägung zu ziehen (vgl. Foroutan 2010). Letzteres hieße für Dich, dass Du evtl. eine bayrisch-xxx Variante in Erwägung ziehen könntest. ;)

    Quelle: Foroutan, Naika (2010) http://www.bpb.de/apuz/32367/neue-deutsche-postmigranten-und-bindungs-identitaeten-wer-gehoert-zum-neuen-deutschland?p=all

  3. Liebe Hella,

    was ich an der Debatte besonders spannend finde, ist, wie im Deutschen durch Verwendung des Terms „race“ statt „Rasse“ – m.E. etwas hilflos – versucht wird, die hoch problematische, aber, wie du zeigst, deshalb nicht einfach zu ignorierende Kategorie sprachlich zu entschärfen.
    Das geschieht natürlich vor dem Hintergrund des NS und der Annahme, dass der entsprechende deutsche Begriff noch „schlimmer“ als der englische sei.
    Dagegen gibt es aus den deutschen „Critical Race Studies“ (Cengiz Barskanmaz bspw.) ja auch das offensive Propagieren der Verwendung des deutschen R-Wortes. Dies erfolgt mit einer interessanten Argumentation (es folgt ein 100%-Selbstplagiat):

    „Barskanmaz kritisiert besonders den häufigen Versuch, das Konzept aufgrund der nationalsozialistischen Geschichte und der negativen historischen Konnotation gerade in Deutschland nicht zu verwenden (ähnlich Möschel 2011). Hier beginnt der von Barskanmaz beschriebene Exzeptionalismus: In dem Versuch, den deutschen Rassismus vor dem Hintergrund des Völkermordes an den europäischen Jüdinnen und Juden als extremen Sonderfall, nicht aber als Teil einer relationalen und transnationalen Geschichte zu sehen (Barskanmaz 2011, S. 387), kommt, so könnte man das Konzept erinnerungspolitisch öffnen, offensichtlich nicht nur eine besondere postnationalsozialistische Sensibilität gegenüber Rassismus zum Tragen (die jedoch einen Bestandteil der postnationalsozialistischen Situation darstellt), sondern auch ein Besonderheitsanspruch, der sogar noch aus den barbarischsten Momenten der deutschen Geschichte nationale Größe schöpfen kann.“

    Stichwort: „Erinnerungs- und Aufarbeitungsweltmeister“. Ich fürchte ein sprachlicher Versuch zur Lösung der Problematik ist, wie auch immer er ausfallen sollte, nicht erfolgversprechend, oder?

    Ebenso frage ich mich, ob hinter der Klassismus-Diskussion auch so etwas halbherziges steckt, eine quasi steckengebliebene Rückkehr zur Klassenanalyse (der trotz aller aktuell populären Kapitalismus-Kritiken hierzulande ja noch immer eher mit Naserümpfen begegnet wird).

    Herzliche Grüße nach Süden,
    Peter

    1. Lieber Peter,
      vielen Dank für Deine interessanten Anmerkungen.
      Die Quelle zu Deinem Selbstzitat (Du weist es ja schließlich als solches aus) würde mich interessieren – könntest Du sie mir bitte zukommen lassen (entweder hier oder per email)? Danke.
      Was die Verwendung des englischen Begriffes „race“ angeht, gehöre ich übrigens auch zu denen, die den englischen Begriff verwenden, wenn ich über den angloamerikanischen Diskurs spreche. Allerdings nicht nur um – wie Du es ausdrückst – „etwas hilflos“ eine sprachliche Entschärfung vorzunehmen (was sicherlich stimmt, wobei ich es eher als eine Distanzierung verstehe), und sicher nicht, weil ich denken würde, der deutsche Begriff sei schlimmer, sondern weil der deutsche Begriff „Rasse“ nochmal anders konnotiert ist, als der englische Begriff „race“ – was mit den jeweils spezifischen historischen und diskursiven Kontexten zu tun hat, in denen die Begriffe verwendet wurden bzw. werden. Aus diesem Grund übersetzen wir in dem „Kategorien im Wandel“-Projekt viele Begriffe nicht, sondern verwenden die Originalbegriffe aus dem jeweiligen (britischen bzw. deutschen) Diskurs.
      Grundsätzlich interessiert mich der Begriff der „Ethnizität“ allerdings mehr – nicht, weil dieser weniger problematisch wäre (was er nicht ist), aber er ist (etwas) weniger biologisierend und hat – wo Du nach Lösungsansätzen fragst – vielleicht etwas mehr Potential, um die soziale Konstruktion von Differenz/en besprechbar/nachvollziehbar/hinterfragbar/erforschbar zu machen.
      Herzliche Grüße nach Norden,
      Hella

      1. Liebe Hella,

        ich gebe zu, das mit dem Selbstplagiat war pure Koketterie… Aber selbstverständlich lege ich die Quelle gern offen:

        Ullrich, Peter. Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs. Göttingen: Wallstein, 2013, http://bit.do/DLNK

        In den Kapitel, aus dem ich zitierte (‚Plagiat‘, da ohne Quellenangabe) geht es um einige der Auswirkungen, die die Sonderstellung (Exzeptionalismus) des Antisemitismus in der deutschen Befassung mit Ungleichwertigkeitsvorstellungen für die Wahrnehmungen u.a. des Nahostkonfliktes hat, darum wie aus Opferkonkurrenz und „geborgten Identitäten“ der verschiedenen Solidaritätslager gut Gemeintes Anschlussfähigkeiten für wiederum hoch problematisches produziert, oder anders formuliert: wie der Anti-Antisemitismus, der Strafgesetz, Staatsräson, unifizierendes Reden und vieles mehr geworden ist, sich verdinglichen kann zu einer Hülse, unter deren Leitstern (wir haben es „Symboldimension“ von Antisemitismus genannt, http://bit.do/ASB) auch Linke ihren Universalismus gut mal aufgeben können (in diesem Fall, indem sie rassistische Diskurse reproduzieren).
        Das Kapitel davor behandelt übrigens den anderen Fall, wie u.a. der Kampf gegen Rassismus, Besatzung usw. blind für das Problem Antisemitismus machen kann.

        Der Vollständigkeit halber gleich noch die beiden anderen Quellenangaben, die du aber sicherlich kennst:

        Möschel, Mathias. „Race in mainland European legal analysis. Towards a European critical race theory.“ Ethnic and Racial Studies 34, Nr. 10 (2011): 1648–64. doi:10.1080/01419870.2011.566623.

        Barskanmaz, Cengiz. „Rasse – Unwort des Antidiskriminierungsrechts?“ Kritische Justiz 44, Nr. 4 (2011): 382–89.

        Viele Grüße, noch aus dem Norden, doch ich mach mich jetzt auch auf in den Süden!
        Peter

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