„Oh stimmt, da war ja was…“

Dieser Beitrag beleuchtet die Organisation eines Kongresses aus studentischer Sicht. Inzwischen rückt der 5. Studentische Soziologiekongress in greifbare Nähe und als Organisierende können wir nun auf eine fast zweijährige Planungsphase zurückblicken.

Bereits beim 4. Studentischen Soziologiekongress 2013 in Bamberg haben wir uns die ersten Gedanken darüber gemacht, wie wir uns als potenzielles Organisationsteam und den Standort Tübingen in unserer Bewerbung hervorheben können, um die Chance zu erhalten, uns auf das Projekt ‚SSK15‘ zu stürzen. Mit der erfreulichen Zusage Anfang 2014 war es dann auch schon soweit, dass wir anfangen konnten weitere Ideen zu sammeln. Allerdings mussten wir – wie fast schon zu erwarten war – feststellen, dass wir nicht alle Ideen, die in die Bewerbung eingeflossen sind, realisieren konnten. Umso mehr freuen wir uns darüber, die Gelegenheit bekommen zu haben, ein Angebot zu schaffen, das sich zwar geändert hat, unsere anfänglichen Vorstellungen aber übertrifft.

Obwohl der Ein oder die Andere durch Fachschaftsarbeit, HiWi-Stellen oder Nebenjobs bereits Erfahrungen bei der Organisation größerer Veranstaltung sammeln konnte, mussten wir feststellen, dass die Organisation eines Kongresses von uns deutlich mehr und auch andere Fertigkeiten erfordert als bspw. das Organisieren einer Weihnachtsfeier. Es wurde uns recht schnell deutlich, dass ein Studium der Betriebswirtschaftslehre oder Rechtswissenschaften zwar nicht zwingend notwendig, aber dennoch ganz hilfreich gewesen wäre. Die Schlüsselqualifikationspunkte hätten wir uns wohl auch eher in Kursen zu Grafik-Design und Textsatz erarbeiten sollen.

So sehr uns die Soziologie auch begeistert; wie ein gültiger Werbevertrag aufgesetzt wird und welche formalen Kriterien eine Rechnung erfüllen muss, gehört ebenso wenig zur Ausbildung einer*s Soziologie-Studierenden wie das Arbeiten mit Grafik- oder Desktop-Publishingprogrammen.

Klingt das jetzt, als sei die Organisation des Kongresses eine unliebsame und beinahe unlösbare Aufgabe? Nein, ganz im Gegenteil! Für uns hat sich die Chance geboten mehr aus unserem Studium zu machen. Ohne den Druck und den bitteren Bologna-Beigeschmack – streng strukturierter Modulhandbücher und der Forderung, bitte in der Regelstudienzeit fertig zu werden – konnten wir über den Tellerrand hinausschauen, ohne dass am Ende des Semesters die Abgabefrist einer Hausarbeit, das eigentlich spannende Thema durch Termindruck unliebsam und den Text im schlimmsten Fall zu einem an der Oberfläche kratzenden Aufsatz werden lässt. Aufgrund der zeitlichen Beschränkung, bleibt im BA/MA-System oftmals kaum Zeit, tiefer in die Materie einzudringen, das Gelernte kritisch zu hinterfragen und anwenden zu können, sowie auch außerhalb des eigenen Fachbereichs und der am Institut angebotenen Schwerpunkte in ein anderes Themenfeld einzutauchen. Neben der Möglichkeit beim Lesen und Strukturieren der Abstracts, fachliche Aspekte eigenständig aufzuarbeiten und auf andere Themen aufmerksam zu werden, konnten wir ‚etwas Praktisches‘ fürs Leben – in und außerhalb der wissenschaftlichen Sphäre – mitnehmen. Wir haben bisher mehr gelernt, als in so mancher Blockveranstaltung. Es geht eben nicht immer nur um ECTS-Punkte.

Die praktischen Erfahrungen in Rechnungswesen, Marketing und mit Grafikarbeiten in allen Ehren; das für uns nicht nur soziologisch interessantere, sondern auch lehrreichere, war der Gruppenprozess. Auch wenn sich die meisten aus dem Orga-Team bereits aus dem Studium kannten und teilweise auch schon kleinere Veranstaltungen zusammen organisiert haben, stellt die gemeinsame Zeit einen ganz eigenen Vergemeinschaftungsprozess dar. Was mit vielen offenen Fragen bezüglich der Gruppenstruktur und Entscheidungsfindung begann, mündet nun in einer, selbstständig, in Kleingruppen ausgearbeiteten und im Plenum ab- und durchgesprochenen, viertägigen Veranstaltung.

Als ehrenamtlich arbeitende, nicht hierarchisch organisierte Gruppe mit einem gemeinsamen großen Ziel, mussten wir zunächst einen Weg finden mit den Ideen und Vorstellungen, die jede Person einbringt und am liebsten verwirklicht sehen möchte, umzugehen. Wie können wir Entscheidungen treffen, mit denen alle zufrieden sind? Wollen wir basisdemokratisch und konsensbasiert abstimmen oder nach einem Mehrheitsprinzip? Wie viele Personen sollten für Entscheidungen anwesend sein und wollen bzw. brauchen wir ein Vetorecht? Welches Mitglied hat welche Stärken und möchte sie/er diese auch einsetzen oder doch lieber etwas Neues lernen? Was tun wir, wenn jemandem etwas dazwischen kommt und Aufgaben unbearbeitet bleiben – verteilen wir die Aufgaben um oder brauchen wir eine weitere Person, die die Aufgaben übernehmen kann? Schaffen wir es neue Mitglieder zu integrieren und auf den gemeinsamen Stand zu bringen?

Inzwischen sind diese Fragen längst erfolgreich geklärt, viele Aufgaben erledigt und wir befinden uns voller Vorfreude auf der Zielgeraden.

Auch unsere anfänglichen Sorgen, ob wir es schaffen werden, mit unserem Thema DENKEN ÜBER(-)DENKEN ausreichend Interesse zu wecken, um ‚den Nachwuchs‘ zum Vortragen, Zuhören und Teilnehmen motivieren zu können, haben sich schon sehr bald als unbegründet herausgestellt: Mit rund 60 Vorträgen und einer stetig steigenden Zahl an Anmeldungen kann der Kongress nur ein voller Erfolg werden.

Dass der Kongress so viel Aufmerksamkeit erhalten hat, liegt sicherlich nicht nur an unserem Internetauftritt und den Postings bei Facebook und Twitter, sondern vielmehr an der Möglichkeit an unterschiedlichen Stellen – mehr oder weniger direkt – mit Soziolog*innen in Kontakt zu treten: Viele Fachschaften (o.Ä.) im deutschsprachigen Raum haben an ihren Instituten unsere Plakate aufgehängt und unsere Flyer ausgelegt, die Organisator*innen des DGS-Kongresses haben uns ermöglicht, uns auf dem Kongress in Trier zu präsentieren und unser Logo ist schon seit langem auf der DGS-Homepage zu sehen.

Dies zeigt uns, dass sich nicht nur innerhalb der SSK15-Orga-Gruppe gegenseitig unter die Arme gegriffen wird, sondern dass wir außerdem ein weitreichendes Netzwerk von Unterstützenden haben. An dieser Stelle sei all denjenigen herzlich gedankt!

Nun bleibt noch der Feinschliff und die – eigentlich unmögliche – Vorbereitung auf spontane Eventualitäten. Sobald die letzten Unsicherheiten aus dem Weg geräumt sind, können Endspurt und die Kongresstage beginnen. Drei Fragen werden wir wohl erst nach dem Kongress beantworten können: War da noch was? Haben wir an alles gedacht? Müssen wir an irgendeiner Stelle improvisieren?

Jetzt schon einen kleinen Rückblick wagend, möchten wir insbesondere unsere Freude über, internationales Interesse, sowie die motivierende Begeisterung, die wir von Seiten der Teilnehmenden, Vortragenden und all unseren Unterstützenden erfahren haben, festhalten. Dazu zählt auch die Erleichterung, als wir bemerkt haben, dass der SSK15 trotz des zeitgleich stattfindenden Kongresses der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie (ÖGS), viele Interessierte nach Tübingen zieht. Gerade solche Momente bestätigen uns immer wieder darin, mit der Entscheidung den Kongress auszurichten, den richtigen Entschluss gefasst zu haben. Die Chance, sich über Modulhandbücher und HiWi-Stellen hinaus an der Universität engagieren zu können und damit unseren Teil zur Gestaltung des Lehrangebotes und der Vernetzung innerhalb der Soziologie beitragen zu können, hat sich für uns bereits gelohnt – auch wenn wir dadurch den ein oder anderen Abstrich auf dem Weg zu unseren eigenen Abschlüssen machen mussten.

Wir freuen uns jedenfalls auf alle Interessierten und alle Vortragenden, die ab dem 1.10. in Tübingen sein werden!

Abschließend wüssten wir gerne noch von euch und Ihnen, liebe Lesende, wie steht ihr/stehen Sie zu einem (solchen) Blick über den Tellerrand? Sollte sich das Engagement von Studierenden auf die Erlangung der vorgegebenen ECTS-Punkte und das Erreichen eines Abschlusses binnen Regelstudienzeit beschränken oder teilt ihr/teilen Sie unsere Meinung, dass ein Studium – auch in Zeiten klammer Kassen und Kürzungen von Lehrangeboten – mehr leisten kann und stets noch Platz für freies Lernen von und miteinander sein sollte? Inwiefern könnt/können und möchtet/möchten ihr und Sie als Dozierende und Studiengangsgestaltende solche Freiheiten ermöglichen und wie viel Zeit bleibt euch/Ihnen selbst dabei für Engagement außerhalb der Lehrverpflichtung?

3 Gedanken zu „„Oh stimmt, da war ja was…““

  1. Über den Tellerrand zu sehen lässt sich durch fast nichts ersetzen. Das ist auch das Motto des Studium Generale an der Hochschule Furtwangen (http://www.hs-furtwangen.de/willkommen/weiterbildung/weiterbildung-an-der-hfu/studium-generale.html), das ich initiiert habe und mit großer Freude organisiere. Allerdings habe ich folgende Beobachtung gemacht. Leider kamen nur sehr, sehr wenige Studierende „freiwillig“ donnerstags um 20 Uhr zum SG. Erst als wir eine „Wahlpflichtveranstaltung“ (3 ECTS-Punkte für 12 Besuche) daraus gemacht haben, war die Bude (fast immer) voll. Gut für die ReferentInnen, die oft einen langen Weg in Kauf nehmen, aber auch ein wenig enttäuschend. Ich hoffe, dass dies unter Soziologinnen noch ein wenig anders ist… allerdings stellt sich auch umgekehrt die Frage, ob es per se schlecht ist, wenn Anreizsysteme geschaffen werden, die es erleichtern, über den Tellerrand zu blicken. Eine Hochschule, die sich als „öffentliche Hochschule“ versteht, muss ja nicht unbedingt nur auf Idealismus setzen. Dahinter verbirgt sich vielleicht auch eine Deformation, die davon ausgeht, dass „freiwillig“ oder „idealistisch“ erworbenes Wissen in irgendeiner Hinsicht „besser“ ist, als solches, das aufgrund eines Anreizes erworben wurde. Welcher Vorteil sollte das sein?

  2. Mit den zunehmend jüngeren Studierenden kommt neben dem eigentlichen akademischen Studium ein immer größerer Teil an Erziehungsaufgaben auf die Lehre hinzu. Von könnte man fast dazu tendieren, dass es gut wäre, die Studierenden zu ihrem Glück der Horizonterweiterung und dem Erwerb praktischer Fähigkeiten zu zwingen. Allerdings muss man wiederum bedenken, dass wir von einem akademischen Studium sprechen, dass zu wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen befähigen soll.
    Dementsprechend denke ich, dass Schlüsselqualifikationen – um der Qualifizierung willen – nicht viel in einem Curriculum zu suchen haben. Der Weg, der hier geschildert wird, erscheint mir vielfach besser. So werden zusätzlich zum Studium (1) weitere Inhalte des Studiums aufgenommen und vertieft, praktische Kompetenzen erlernt, Netzwerke innerhalb und außerhalb der Hochschule aufgebaut sowie das Angebot der Lernmöglichkeiten für andere Studierende erweitert. Soweit zumindest in der Vorbereitung des Kongresses. Ab dem 01.10. werden noch weitere Fähigkeiten unter Zeitdruck erprobt werden und es findet für die Teilnehmenden ein wichtiger Schritt der akademischen Sozialisation (2) statt (Erfahrung einer Fachtagung, Austausch mit KollegInnen/KommilitonInnen, Präsentation und deutliches Feedback, Kooperationsmöglichkeiten,…). Für die Soziologie selbst werden neue Themen aufgezeigt und der wissenschaftliche Nachwuchs für die nächsten Generationen über den Seminarraum hinaus sichtbar (3). Nicht zuletzt sind es Eigenverantwortung, Aufopferung und Leidenschaft für die Sache sowie das Aufbrechen der (standortbezogenen) Denkmuster, die nur schwierig in einer Pflichtveranstaltung vermittelt werden können (4).
    Kurzum: Der SSK ist ein perfektes Beispiel, wie sich Forschung, Studium und Praxis ergänzen können und alle Seiten voneinander profitieren. Auch wenn nicht alle Studierenden an solchen Projekten teilhaben können, scheinen sie die Ziele von Veranstaltungen zu Schlüsselqualifikationen besser zu erreichen als die verbindlichen Veranstaltungen im Curriculum. Deshalb, aus Eigennutz und Gemeinwohlorientierung: Engagiert euch!

  3. Engagierte Studenten!

    Ein mutiges und notwendiges Thema, DENKEN ÜBER(-)DENKEN, das mich positiv überrascht im Zeitalter von Bologna und Creditpoints, in dem SELBST denken nicht mehr angesagt ist, wie ich aus eigener Erfahrung mit Studenten als Dozent weiß! Nur noch eine Minderheit ist daran interessiert und dazu fähig!

    Die Hilflosigkeit der Lehrenden, die bis zur Zensur führte und die ich in diesem Blog zum Thema „Erkenntnistheorie/Ontologie in der Soziologie“ erfahren habe, war frappierend und sehr ernüchternd. Über Grundlagen wird nicht mehr nachgedacht, Hauptsache man schreibt und hält seine Karriere in Schwung!

    Um so erstaunter, um nicht zu sagen entsetzter, bin ich andererseits über die Bemerkung von Stefan Selke, der zudem noch von einem „Studium GENERALE“ (Humboldt) spricht, wenn er zum erforschenden, selbst bestimmten Lernen in einer Disziplin ohne Fundament sagt: „Dahinter verbirgt sich vielleicht auch eine Deformation, die davon ausgeht, dass „freiwillig“ oder „idealistisch“ erworbenes Wissen in irgendeiner Hinsicht „besser“ ist, als solches, das aufgrund eines Anreizes erworben wurde. Welcher Vorteil sollte das sein?“

    Als man mir an der FU Berlin 1978 erzählen wollte, worin der Kern des Soziologie-Studiums bestehen sollte, nämlich aus der Satz-für-Satz-Lektüre von Marx/Lenin/Engels, bin trotz damaliger Neigung zum Marxismus zu Luhmann nach Bielefeld geflüchtet und habe das bis heute nicht bereut. Allerdings kritisiere ich die Epigonen von Luhmann und die entstandene Komplexitäts-IDEOLOGIE heute genau so wie Luhmann die ideologischen Einseitigkeiten damaliger Soziologie.
    Außerdem führt der konstruktivistisch-interaktionistische Ansatz der Systemtheorie in eine Sackgasse, wenn es um den Zugang zu STRUKTUREN geht, ganz abgesehen von ihrer Ablehnung wissenschaftlicher ERKLÄRUNGEN sozialer Prozesse.

    Der Einzige, der die wissenschaftstheoretisch/methodologische Situation in der gegenwärtigen, universitären Soziologie realistisch beschreibt, ist Gerhard Wagner:

    „Das (dass keine aktuellen Publikationen zum aktuellen Stand der Forschung soziologischer Wissenschaftstheorie zu finden sind, G.A.S.) ist kein Zufall, denn im Unterschied zu anderen Einzelwissenschaften findet man in diesem Fach noch nicht einmal annähernd eine facheinheitliche Konzeption von Gegenstand und Methode, die man referierend vorstellen könnte. Was man findet, sind viele widersprüchliche Positionen (Braun,2008), die überblicksartig vorzustellen müßig wäre. Man würde damit nur einen Missstand dokumentieren, der offenbar für den Missstand des ganzen Fachs verantwortlich ist. ‚Es gibt in diesem Fach derzeit keinen Stand der Erkenntnis‘, lautet die öffentlichkeitswirksame (Hervorhebung .G. A. S.) Kritik anlässlich des Jubiläumskongresses, den die Deutsche Gesellschaft für Soziologie zur Feier ihres 100-jährigen Bestehens 2010 in Frankfurt am Main ausgerichtet hatte ( Kaube 2010).
    Als wollten sie dieses vernichtende Urteil ( Hervorhebung G.A.S.) bestätigen, ließen kurz darauf Fachvertreter in einer Befragung durchblicken, dass es tatsächlich keinen ‚Konsens über das Grundwissen der Disziplin‘ gibt, was sich in erster Linie mit einer ‚fehlenden gemeinsamen wissenschaftstheoretischen Vororientierung im Fach‘ erklären lässt (Braun & Ganser 2011:171)
    Da die Soziologie offenbar wie ein Computer abgestürzt ist,…“ (Wagner 2012:1)
    Nun bin ich wirklich gespannt auf die studentischen Ergebnisse zum Thema „DENKEN ÜBER(-)DENKEN“ und zur aktuellen Fassung des Verhältnisses von Erkenntnistheorie/Ontologie in der Soziologie!
    Also was macht Erkenntnisse in der Soziologie zu WISSENSCHAFTLICHEN ERKENNTNISSEN und unterscheidet sie von journalistisch plausibler soziologischer Massen-Unterhaltung oder elitärer „aufgeblasener Rhetorik“ (Markus Gabriel) ohne tragfähiges Fundament?

Kommentare sind geschlossen.