Der Ruf nach einer öffentlichen Soziologie ist sicherlich nichts Neues, gewinnt aber angesichts der Debatten um die ‚Krise Europas‘ und den ‚Populismus‘ wieder an Relevanz. Die meisten SoziologInnen stehen dem ‚Projekt‘ öffentliche Soziologie wohlwollend gegenüber, zielt es doch auf eine Aufwertung der Disziplin in Sachen Sichtbarkeit und ‚social impact‘. Womöglich versprechen wir uns davon sogar den vergangenen Status einer Leitwissenschaft wiederzuerringen, frei nach dem Motto: Public Sociology – ‚make sociology great again‘. Geht es jedoch um eine konkrete Beteiligung am öffentlichen Soziologisieren, wird es meistens recht still. Wieso das? Prinzipielle Zustimmung aber praktische Vernachlässigung? Eine schöne Gelegenheit, mit diesem scheinbaren Widerspruch eine soziologische Argumentation zu motivieren. Wir ergreifen sie anhand des SozBlog, den die Frage nach öffentlicher Soziologie schon vor einigen Jahren umgetrieben hat:
Im SozBlog publiziert jeweils ein/e deutsche/r SoziologieprofessorIn zwei Monate lang in unterschiedlicher Häufigkeit seine/ihre Gedanken zum gegenwärtigen Stand der Disziplin, den jüngsten Forschungsergebnissen oder bloggt ‚ganz einfach‘ aus dem eigenen Leben als SoziologIn. Günter Voß eröffnete den Blog am 4.9.2011 mit dem Titel Die DGS hat jetzt einen Blog … und den Schlagworten public sociology, Soziologie, Twitter, Web 2.0. Gleich im ersten Absatz weist er darauf hin, dass der SozBlog aus akademischer Perspektive nicht unproblematisch ist: „Für die einschlägige Community war diese Neuigkeit vermutlich nicht besonders aufregend, wurde aber immerhin mit Interesse registriert. Der/die Eine oder Andere aus dem soziologischen Umfeld mag aber ob dieser Initiative der DGS irritiert die Stirn gerunzelt haben.“ Dem stellt er ein Plädoyer gegenüber – die Soziologie habe die Erzeugung von Relevanz in den „neuen Medien“ bitter nötig:
„Die Soziologie, vor allem in Deutschland, läuft nämlich Gefahr, zu einem Fach zu werden, das nur noch wenig öffentliche Aufmerksamkeit findet. Wenn es um aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen geht, werden seit einiger Zeit, von Ausnahmen abgesehen, häufig Vertreter anderer Fächer gefragt. Dieser Trend kann nur aufgehalten werden, wenn sich Soziologinnen und Soziologen mutig aus ihrer jeweiligen Perspektive zu relevanten Fragen äußern – und das dann auf allen Kanälen. So reputierlich und karrierenützlich Papers in hochrangigen Fachjournalen sein mögen, für die öffentliche Wahrnehmung des Fachs bringen sie wenig. Da sich die Soziologie nicht nur mit den Grundlagen, sondern auch mit der Aktualität des sozialen Geschehens beschäftigt, sollte sie ihre Einsichten auch in der aktuellen Öffentlichkeit kommunizieren.“
Voß wiederholt damit Michael Burawoys Krisendiagnose und fordert mehr Engagement für ‚Public Sociology‘. ‚Make sociology great again‘? Dafür bräuchte es Mut „auf allen Kanälen“, um anderen Disziplinen in puncto ‚Aufklärung‘ wieder Konkurrenz zu machen. Gleichzeitig erwähnt er eingangs, das Bloggen sei eine „nicht ganz risikolose Aufgabe“, weil es professionell keine Rendite abwerfe. Public Sociology scheint so einerseits als notwendig und wünschenswert, andererseits als wenig rentabel wahrgenommen zu werden. Noch weiter geht Jo Reichertz, als er am 9.1.2013 unter dem Titel Der SozBlog als Zeitvergeudung für Schreiber und Leser/innen? bloggt:
„Zu schreiben, dass ich mich freuen würde, in den nächsten zwei Monaten den SozBlog der DGS gestalten zu dürfen, wäre eine glatte Lüge. ‚Unbehagen’ wäre eher die zutreffende Bezeichnung des Gefühls, das aufkommt, wenn ich daran denke, in den kommenden zwei Monaten erstmals in meinem von Medien mitgeprägten Leben als Wissenschaftler bloggen zu sollen.“
Worin liegt dieses Unbehagen begründet? Reichertz steht der Möglichkeit des Öffentlich-Machens soziologischen Wissens in Blogform grundsätzlich skeptisch gegenüber, da er unter anderem „subversive (Fehl-)Deutungen durch Nutzer jedweder Art“ befürchtet. Aufgrund der Eigenheiten des Mediums sei „Bloggen nicht ungefährlich – vor allem für die, die noch auf eine Karriere in der Wissenschaft hoffen“. Man riskiert also nicht nur Zeit zu verlieren, sondern auch sein Gesicht, da das Format der Unwissenschaftlichkeit Tür und Tor öffne.
Am ausführlichsten greift Nina Baur das Thema im SozBlog am 30.4.2013 auf (SozBlog als Mittel für Public Sociology?), als sie ihre zweimonatige Autorenschaft resümiert und dabei ihre Position als bloggende Soziologin – und bisher aktivste Autorin des SozBlogs – reflektiert:
„Die Chance, dass man (wissenschaftliche) Reputation verliert, ist relativ hoch oder zumindest durchaus vorhanden. Ich dachte, dass der Blog Zeitverschwendung ist, weil ihn ohnehin kaum jemand liest. Ich war mir relativ sicher, dass Bloggen für (viele) soziologische Fragestellungen nicht das richtige Medium bzw. die richtige Darstellungsform ist. Das Zielpublikum war mir völlig unklar.“
Ähnlich wie Reichertz artikuliert auch Baur ihr Unbehagen deutlich und verweist dabei auf die fehlende Passung zwischen professioneller Soziologie und Öffentlichkeit. Das ‚Fremdeln mit dem SozBlog‘ und ähnlichen Formaten hat mit mangelndem Mut also wenig zu tun – vielmehr handelt es sich um gut begründete Bedenken von professionellen SoziologInnen, die sich der Regeln und Eigenheiten des akademischen Spiels bewusst sind. Am Unbehagen, das das Öffentlich-Machen auslöst, offenbaren sich strukturelle Probleme einer zur Begleitwissenschaft abgerutschten Soziologie. Statt selbstbewusstem Charisma, das KollegInnen aus den Naturwissenschaften, der Ökonomie oder der Psychologie auszeichnet, herrschen Unsicherheit und Unbehagen. Das bestätigt unseren Verdacht, dass das Label ‚Öffentliche Soziologie‘ in erster Linie als Problematisierung einer strukturellen Lücke zu verstehen ist und erst in zweiter Linie als Handlungsaufforderung.
Letztlich, so Reichertz, richte sich der SozBlog „vor allem an die Mitglieder der Organisation und es [stellt sich die Frage], was ein solcher Blog, bei dem wir im Wesentlichen ‚unter uns’ sind, zur Entwicklung der Soziologie beitragen kann und soll“. Armin Nassehi bläst ins gleiche Horn, wenn er feststellt, dass der SozBlog nur einer binnensoziologischen Öffentlichkeit zur „internen Selbstvergewisserung“ diene (per Kommentarfunktion zu Nina Baur). Das ist nur allzu verständlich – für eine Disziplin, die an sozialer Anerkennung eingebüßt hat, ist das öffentliche Soziologisieren eben in erster Linie eine Gefahr für den professionellen Status.
Das Fremdeln ist Ausdruck der prekären Position der Soziologie in Öffentlichkeit und Wissenschaft: Man weiß nicht, wie man Menschen jenseits des kleinen Fachpublikums überhaupt erreichen soll – und begibt man sich doch in das ungewohnten Metier, so scheint das Urteil der eigenen Zunft wesentlich bedrohlicher als das öffentliche Unverständnis. Wenn einem schon ‚die Gesellschaft‘ nicht mehr zuhört, dann will man es sich zumindest mit den KollegInnen nicht verscherzen.
Sticht Professionalität also Öffentlichkeit? Ganz so einfach ist es natürlich nicht und sicher gibt es sie (noch), die Granden der Soziologie, die zum Beispiel im Feuilleton ab und zu ran dürfen. Wer von dieser privilegierten Position aus ein ‚mutigeres Auftreten‘ des Nachwuchses und der KollegInnen fordert, formuliert einerseits einen wichtigen moralischen Appell. Andererseits läuft man so jedoch Gefahr, die heute im Allgemeinen dominante individualistische Sicht der Dinge zu reproduzieren – statt die strukturellen Gründe für die schwindende Rolle einer soziologischen Perspektive in der Gesellschaft zu problematisieren. Letztlich betreibt man sonst wohl eher ‚Public Psychology‘ (mehr dazu im nächsten Beitrag).