Ich habe Verwandtschaft aus Frankreich, die jedes Mal, wenn sie für ein paar Tage nach Deutschland kommt, ihre eigenen Nahrungsmittel mitbringt, weil sie sagt, dass an den deutschen Lebensmitteln einfach etwas faul sein müsse – Essen könne einfach nicht so billig sein. Umgekehrt geht es mir im Ausland oft so, dass ich viele Lebensmittel recht teuer finde. Wie ein Kommentator meines gestrigen Beitrags geschrieben hat: Vielleicht nicht das einzige, aber auf jeden Fall ein Problem sind Discounter wie Aldi und Lidl. Die Macht der Discounter ist so groß, dass der deutsche Lebensmittelmarkt als der härteste der Welt gilt. Selbst ein Unternehmen wie Walmart, das ein ähnliches Geschäftskonzept verfolgen wie Aldi, zog sich 2006 aus dem deutschen Markt zurück, weil es (preislich gesehen) nicht einmal mit „normalen“ deutschen Supermärkten wie Edeka miithalten konnte. Wie kommt es, dass die Discounter in Deutschland – obwohl ihre Macht immer wieder beklagt wird – so einen Einfluss auf den Lebensmittelmarkt haben? Und warum ist das im Ausland anders?
Referenzpreise
Wie ich gestern geschrieben habe, kaufen wir bei den meisten Produkten eben nicht nach dem Preis, sondern nach Qualitätskriterien, d.h. wir kaufen das unserer Meinung nach beste Produkt. Erst wenn Verbraucher keinen Unterschied zwischen zwei Produkten erkennen, kaufen sie das billigere – und wir gehen normalerweise davon aus, dass zumindest Produkte derselben Marke dieselbe Qualität haben, egal wo wir sie kaufen. [1]
Auch wenn Verbraucher manchmal systematisch Preise vergleichen (bei teuren Produkten tun die meisten das immer, manche Leute machen das auch bei Alltagsprodukten), treffen wir i.d.R. die Entscheidung, ob ein konkretes Produkt (z.B. Landliebe Vanille-Joghurt) in einem konkreten Handelsunternehmen (z.B. Kaiser’s Tengelmann in Berlin-Pankow) günstig ist oder nicht eben nicht durch systematischen Preisvergleich mit den Konkurrenzunternehmen – dazu müsste man die anderen Supermärkte zumindest in der Nähe abklappern. Auch wenn neuerdings Online-Portale wie „supermarktcheck.de“ den Preisvergleich erleichtert, ist das den meisten Verbrauchern zu aufwändig. Stattdessen orientieren wir uns bei der Einschätzung, ob dieses Produkt „teuer“ oder „günstig“ ist, am sog. Referenzpreis.
Der Referenzpreis ist ein Richtwert, was das konkrete Produkt (z.B. Landliebe Vanille-Joghurt) ungefähr kostet. [2] Für jedes einzelne Produkt, das wir regelmäßig konsumieren, haben wir Referenzpreise im Kopf. Wir merken uns dabei die Preise nicht relational, d.h. dass z.B. ein 150g-Becher „Müller Joghurt mit der Ecke“ bei Lidl um 48% teurer ist als bei Edeka.
Vielmehr lernen wir den Preis für jedes Produkt in jedem Laden und jeder Marke den Preis separat auswendig, [3] d.h. wir merken uns etwa, dass der 150g-Becher „Müller Joghurt mit der Ecke“ bei Edeka, Rewe und Real (in der Woche vom 04.03. bis 09.03.) 33ct. kostet, bei Sky Coop 35 ct., bei „Lebensmittel.de“ 42 ct. und bei Lidl und Hit 49 ct. Wenn wir also das nächste Mal bei einem Tante-Emma-Laden um die Ecke einkaufen und der „Joghurt mit der Ecke“ dort 70 ct. kostet, stellen wir fest, dass der Preis um etwa 20ct. höher ist als bei diesen Läden und stufen ihn daher als „teuer“ ein. Sollte er dagegen nur 30ct. kosten, stufen wir ihn als „günstig“ ein.
Haben wir die Wahl, kaufen wir meist unsere Lebensmittel in dem Supermarkt, in dem sie am billigsten sind. Auch wenn wir (z.B. weil wir persönlichen Service schätzen) lieber in etwas teureren Läden kaufen, gilt: Wenn der konkrete Preis für ein Lebensmittel im Handel den Referenzpreis zu sehr übersteigt (wobei die Toleranzschwellen je nach Verbraucher unterschiedlich sind), kaufen wir normalerweise nicht. Wird ein Produkt dagegen für weniger als der Referenzpreis angeboten, glauben wir, ein Schnäppchen zu machen: Wir kaufen es eher und in größeren Mengen, als wir es normalerweise würden. Der Preis darf aber auch nicht zu niedrig sein: Liegt der Preis eines Produktes zu sehr unter dem Referenzpreis, glauben wir, dass es von minderer Qualität ist und kaufen es ebenfalls nicht – das ist genau, was bei meiner französischen Verwandtschaft passiert. Die deutschen Lebensmittelpreise liegen so sehr unter den französischen Referenzpreisen, dass Franzosen Zweifel an deren Qualität haben. Preise für Produkte, die sich verkaufen, variieren also zwischen der Niedrigst- und der Höchstschwelle um den Referenzpreis. [4] Zu hohe und zu niedrige Preise unterhöhlen also das Vertrauen in ein Produkt.
Die Innovation Discounter als Startpunkt des Preiswettbewerbs im Lebensmittelhandel
Eine Besonderheit des deutschen Lebensmittelmarktes ist nun eine Innovation im Bereich des Handels, die eine sogenannte pfadabhängige Entwicklung (Arthur 1988, Windeler/Schubert 2007, Meyer/Schubert 2007) anstieß:
Die Gebrüder Albrecht waren echte Unternehmerpersönlichkeiten im Schumpeterschen (1926) Sinne (vgl. hierzu auch Prischung 2012a) – in den 1980ern erfanden sie mit Aldi die Vertriebsform „Discounter“. Das Unternehmenskonzept von Aldi ist dabei eben nicht „möglichst billig“, sondern hohe Qualität zum niedrigstmöglichen Preis. Aldi verfolgt also nicht nur eine konsequente Sparpolitik (auch auf Kosten der Mitarbeiter), sondern auch eine konsequente Qualitätspolitik. So gibt es eine sehr harte interne Qualitätskontrolle, Aldi-Manager werden regelmäßig gezwungen, die eigenen Produkte zu verkosten, und wenn ein Produkt zu schlecht bei „Stiftung Warentest“ [www.test.de] abschneidet, fliegt es bei Aldi aus dem Warensortiment. Die Qualität von Aldi-Produkten kann vermutlich nicht mit einem Öko-Markt in Berlin mithalten, aber ich war schon in einigen Kleinstädten, in denen das Aldi-Gemüse definitiv frischer war, als das in anderen lokalen Supermärkten. Damit scheint das Versprechen zu sein: „Qualität muss nicht viel kosten“.
Die Preissenkungsspirale
Dadurch wurde ein Mechanismus in Gang gesetzt, der innerhalb kürzester Zeit außer Kontrolle geriet, der bis heute den deutschen Lebensmittelmarkt bestimmt und aus dem wir heute nicht mehr herauskommen – nämlich dass Konkurrenz unter deutschen Lebensmittelhändlern fast ausschließlich über den Preis läuft. Ich nenne ihn die „Preissenkungsspirale“, weil sich seit Mitte der 1980er fast jedes Jahr dasselbe Muster wiederholt:
Aldi senkt die Lebensmittelpreise, z.B. für Joghurt und Milch. Diese setzt die „normalen“ Lebensmittelhandel unter Druck – wenn die Preise ihrer Produkte zu sehr über den Preisen von Aldi liegen, kauft sie niemand mehr. Die traditionellen Lebensmittelgeschäfte versuchten also, durch Preissenkungen Aldi und die anderen Discounter zu unterbieten oder wenigstens nicht teurer als die Discounter zu sein. Die Discounter senkten jedes Mal die Preise – mussten sie senken, weil ihr Geschäftsprinzip die niedrigen Preise waren. Die Preise wurden solange gesenkt, bis sie bei manchen Produkten unter Einkaufspreis lagen.
Nun passiert zweierlei: Erstens geht dadurch manchmal ein Handelsunternehmen pleite. Das passiert zweitens aber relativ selten – und zwar wegen des gestern erläuterten Machtungleichgewichts zwischen Handel und Produzenten. Da Produzenten (wegen der Verderblichkeit der Produkte) verkaufen müssen, können die Handelsunternehmen (Mengen-)Rabatte erzwingen, und zwar so lange, bis der Verkaufspreise der Produzenten unter die Herstellungskosten sinken. Nun bleiben ihnen vier Möglichkeiten – sie weichen auf einen anderen Markt aus (Globalisierung), sie rationalisieren ihre Produktionsprozesse, sie betrügen oder sie gehen
Man könnte denken: So weit, so gut.
Nun passiert aber noch etwas Anderes: Durch diese Preisschlachten verschieben sich die Referenzpreise im Kopf der Kunden. Hat man vorher einen Joghurt für max. 55 ct. als günstig empfunden, findet man nun einen Joghurt für max. 50 ct. günstig, und demnächst vielleicht schon für max. 45 ct. Dieser Prozess ist so schleichend und langsam, dass er kaum merklich ist – im Kopf der Verbraucher bleiben die Preise stabil. Erst langsam verschieben sich die Preisrelationen einzelner Produkte zueinander. Wie Prischung (2012b) an früherer Stelle auf diesem Blog bemerkt hat:
Wir sitzen in der Falle – zwischen der Veränderungsunmerklichkeit und der Katastrophendrohung.
Das bedeutet aber für die Discounter: Während ein Joghurt für 50ct. vor einem Jahr noch für ein günstiges Lockangebot taugte, gilt er heute schon als teuer. Also müssen sie – um ihr Image als „gut und günstig“ zu halten – wieder die Preise senken … die Preissenkungspirale beginnt von Neuem.
Auf diese Weise sind die Lebensmittelpreise in Deutschland in den letzten dreißig Jahren trotz Inflation nicht oder kaum gestiegen, in manchen Fällen sogar gesunken. Gleichzeitig hat sich der Stellenwert von Lebensmitteln im Zeitverlauf stark verändert: Noch in den 1950ern umfassten Lebensmittel den größten Teil der (deutschen) Haushaltsausgaben. Heute sind Lebensmittel (in Deutschland) ein relativ kleiner Ausgabeposten.
Der deutsche Lebensmittelhandel versucht zwar immer durch neue Marketingkonzepte, diesen Preisverfall aufzuhalten. Doch die Dynamik, die er in den 1980ern in Gang gesetzt hat, kann er nicht mehr aufhalten.
Referenzprodukte: Warum Fleisch und Milchprodukte besonders von der Preissenkungsspirale betroffen sind
Abschließend bleibt zu sagen, dass nicht alle Supermarkt-Produkte gleichermaßen von der Preissenkungsspirale betroffen sind – im Gegenteil: In manchen Bereichen gab es kräftige Preiserhöhungen. Besonders betroffen sind Fleisch und Milchprodukte, und zwar aus einem ganz einfachen Grund:
Im Supermarkt kauft ein Verbraucher aber eine ganze Reihe von Produkten gleichzeitig: Ein Vier-Personen-Haushalt verwendet im Schnitt zweihundert verschiedene Lebensmittel. Von jedem Lebensmittel gibt es verschiedene Sorten (bei Joghurt z.B. Naturjoghurt, Erdbeerjoghurt, Himbeerjoghurt usw.) und Marken (bei Joghurt z.B. Bauer, Ehrmann, Landliebe, Müller, Nestlé, Zott usw.). Entsprechend muss der Verbraucher bei jeder der 200 Produktklasse zahlreiche Einzelprodukte nach Qualität und Preis unterscheiden, und dann noch vergleichen, in welchem Supermarkt es was gibt und wo es am billigsten ist. Der Verbraucher merkt sich deshalb nicht bei allen 200 Produkten, die er regelmäßig konsumiert, die exakten Preise in allen Supermärkten. Ob ein Supermarkt teuer oder billig ist, wird anhand einer Handvoll Produkte – den sogenannten Referenzprodukten – entschieden, bei denen er die Referenzpreise genau kennt.
Da ein typischer Supermarkt zwischen 20.000 und 40.000 Produkten führt, ist es unmöglich, sich die Preise aller Produkte in verschiedenen Märkten auswendig zu merken und ihre Veränderung über die Zeit zu verfolgen. Deshalb verwendet der Handel genau diese Referenzprodukte, die er immer wieder bewirbt und über die er den Preiswettbewerb führt (d.h. der Handel hat die Referenzprodukte definiert, nicht der Verbraucher).
Zu diesen Referenzprodukten gehören eben Milchprodukte und Fleisch, weshalb er auch stärker vom Preiswettbewerb erfasst wird, also andere Produkte – was ich persönlich sehr ironisch finde, weil das meines Erachtens genau die Lebensmittel sind, bei denen meines Erachtens Qualitätsunterschiede am größten sind und die deshalb am wenigsten von Preiswettbewerb erfasst werden sollten.
Anmerkungen
[1] Unterschiedliche Verbrauchertypen sind dabei unterschiedlich preissensibel, und es spielen auch andere Kriterien eine Rolle (z.B. Bequemlichkeit, Distanz zum nächsten Laden, in dem man das Produkt kaufen kann). Dass Konsumenten das günstigere Produkt kaufen, wenn sie keinen Unterschied zwischen Produkten erkennen können, gilt insbesondere für den Handel, d.h. wenn wir etwa gerne Joghurt essen und Nestlé-Joghurt unsere Lieblingsmarkte ist, kaufen wir sie bevorzugt in dem Supermarkt, in dem der Preis für diese Marke am niedrigsten ist, weil wir davon ausgehen, dass die Qualität von Nestlé-Joghurt in jedem Supermarkt gleich ist.
[2] Entsprechend können wir eine Werteskala von Produkten aufstellen, in der sich laut Simmel (1901) die gesellschaftliche Wertschätzung von Produkten widerspiegelt: Teure Produkte haben mehr Status als billigere Produkte. Bei Produkten, die wir häufig in großen Mengen konsumieren (wie Lebensmittel), muss allerdings der Einzelpreis geringer sein als bei Produkten, die wir selten (Edelsteine) oder in kleinen Mengen (Wohnung, Auto) konsumieren, weil sie sonst nicht in genügend großer Zahl verkauft werden können und deshalb nicht für die Massenproduktion geeignet sind (z.B. spanischer Trüffel-Schweinschinken). Wir ordnen deshalb auch die Gesamtkosten bestimmter Lebensmittelbereiche (Wohnen, Essen, Reisen, Freizeit usw.) im Kopf: Ihre relativen Kosten zueinander zeigen den gesellschaftlichen Stellenwert: Die Gesamtausgaben eines deutschen Haushalts für Essen sind geringer als die für Wohnen und Freizeit. Lebensmittel sind für uns heute also eher eine Nebensächlichkeit. Innerhalb des Lebensmittelbereiches gibt es günstige Alltagsgüter (Milch, Mehl, Tomaten usw.) und teure Luxusgüter (Serrano-Schinken, Drachenfrüchte, Hummer). Joghurt ist ein Alltagsgut. Er eignet sich damit nicht zum demonstrativen Konsum. Die untergeordnete Stellung von Lebensmitteln entspricht der Marktsituation: In Westeuropa gibt es ein Überangebot an Nahrung, insbesondere an Milch. Der moderne Konsument muss sich keine Sorgen mehr machen, zu verhungern.
[3] Das war übrigens für die meisten Verbraucher das eigentlich Schlimme an der Euro-Umstellung – weil wir uns Preise nicht abstrakt merken, mussten wir jeden einzelnen Preis neu lernen. Ich vermute, dass die meisten von Ihnen zumindest bei Produkten, die sie selten kaufen, auch heute noch in DM umrechnen. Genau diese Unsicherheit haben eine ganze Reihe von Unternehmen damals ausgenutzt und einfach die Preise kräftig erhöht. Klopapierpreise haben sich beispielsweise verdoppelt. Die Verbraucher hatten zwar latent das Gefühl, dass „Alles teurer geworden ist“, konnten es aber schlecht nachweisen. Dennoch hat der Preiswettbewerb erneut eingesetzt.
[4] Die Referenzpreise, die wir im Kopf haben, sind allerdings unterschiedlich genau: Bei einer Waschmaschine haben die meisten Leute nur eine ungefähre Größenordnung im Kopf. Diese Größenordnung ist bei den meisten Leuten auch noch sehr verschieden – die einen würden sagen, eine Waschmaschine kostet 300 €, die anderen würden sagen, sie kostet 1.500 €. Bei anderen Produkten können die meisten Verbraucher auf den Pfennig genau sagen, wie viel ein Produkt kostet, und sie sind sich auch einig: Vor dem 1.1.2002 (der Euro-Umstellung) hätten die meisten deutschen Verbraucher auf die Frage, wie viel ein Liter H-Milch kostet, vermutlich „79 Pfennig“ geantwortet. Je öfters wir ein Produkt kaufen, desto genauer können wir sagen, was es kostet. Bei den meisten Lebensmitteln wissen wir deshalb recht genau, was sie im Schnitt kosten und was die einzelnen Marken kosten. Frauen wissen genauer über Lebensmittelpreise Bescheid als Männer. (Die unterschiedliche Rollen von Frauen und Männern beim Konsum ist aber auch ein Thema für einen anderen Tag.)
Literatur
Arthur, Brian (1988): Self Reinforcing Mechanisms in Economics. In: Anderson, P. (Hrsg.) (1988): The Economy as an Evolving Complex System. Reading (MA): Addison-Wesley
Meyer, Uli/Schubert, Cornelius (2007): Integrating Path Dependency and Path Creation in a General Understanding of Path Constitution. In: STI Studies 3. 23-44
Schumpeter, Joseph A. (1926): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. München: Duncker & Humblot
Simmel, Georg (1901): Philosophie des Geldes. Nachgedruckt 1996. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
Windeler, Arnold/Schubert, Cornelius (2007): Technologieentwicklung und Marktkonstitution. In: Beckert, Jens et al. (Hrsg.) (2007a): 217-234
Sehr spannende Analyse, vielen Dank!! Mir stellen sich nur anschließend zwei Fragen:
Ich schätze die Beschreibung des Kaufverhaltens – wie ist diese entstanden? Auto-Ethnographisch in der Selbstbeobachtung? Basiert sie auf anderen Formen der Empirie?
Ich frage, da – obgleich sie ein wichtiges Konzept klar darstellt – zu einheitlich erscheint. Gibt es nicht vielmehr differenzen, wie man einkauft – möglicherweise Sozialstrukturell? Wie ließe sich das mit etwa einer Bourdieuschen Analyse des Geschmacks verbinden? „Nur“ über die ausgewählten Güter oder vielmehr auch über die Art des Einkaufens?
Vielen Dank für den konstruktiven Kommentar!
Sie haben vollkommen Recht – die Frage der Konsumenten ist viel komplexer, als ich es hier dargestellt habe. Ich werde versuchen, darüber an einem anderen Tag etwas mehr zu schreiben.
Zur Methode (nicht zur zu diesem Beitrag):
Ich habe bislang bewusst nichts zur Methode geschrieben, weil ich den Leser nicht langweilen wollte. Tatsächlich war die Frage, wie man Märkte empirisch fast, der Ausgangspunkt meiner bisherigen methodologischen Arbeiten – ich habe mich gewissermaßen so sehr „ablenken“ lassen, dass ich letztendlich auf einer Methoden-Professur gelandet bin.
Davor habe ich mich mehr als dreieinhalb Jahre empirisch mit Lebensmittelmärkten befasst. Anders als Jo Reichertz habe ich keine Zweifel, dass Mixed Methods Sinn machen – im Gegenteil:
Ich glaube, dass man Märkte nur mit einem Methoden-Mix analysieren kann, und zwar schlicht, weil es so schwer ist, verlässliche Daten zu bekommen. Um deshalb überhaupt einigermaßen gesicherte Aussagen machen zu können, müssen verschiedene Daten trianguliert werden. Im konkreten Fall – den Lebensmittelmärkten – habe ich – neben der Fachliteratur – mit einem Methoden-Mix aus prozessproduzierten Daten (u.a. Fachbücher aus dem Lebensmittelbereich und Zeitungsartikel), Ethnografie und Interviews gearbeitet.
Dargestellt und diskutiert habe ich die Methode in Baur (2011). (Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich in den folgenden Wochen ausnahmsweise einmal über etwas Anderes als Methoden schreibe – das tue ich sonst ständig.)
Herzliche Grüße, Nina Baur
Literatur
Baur, Nina (2011): Mixing Process-Generated Data in Market Sociology. In: Quality & Quantity 45 (6). 1233-1251. DOI 10.1007/s11135-009-9288-x.
Vielen vielen Dank! Endlich mal Beiträge, in denen relevante gesellschaftliche Phänomene analysiert werden. Wirklich wohltuend und anregend nach all den Beiträgen zu den Problemen soziologischer Diskursgemeinschaften. Daran sollten sich alle weiteren Bloggerinnen und Blogger ein Beispiel nehmen. Aber erstmal schreiben Sie ja noch ;-)