Bloggen als Arbeits- oder als Ausdrucksmedium oder als was?

Die Reaktionen auf meinen ersten Blog-Artikel haben mich sehr überrascht. An sich hatte ich nur vor, meine begrenzten Vorstellungen über das Bloggen auszudrücken und mir meine Vorbehalte gegenüber dem Bloggen von der Seele zu schreiben, um so sowohl einen Kommunikationskontakt mit ähnlich denkenden Lesern und Leserinnen zu bekommen, aber auch, um mir selbst über das Medium klarer zu werden. Denn nur wenn man eine ungefähre Vorstellung davon hat, welches Kommunikationsmediums man sich gerade bedient und wer die möglichen Leser sind, kann man überhaupt schreiben.

Überrascht war ich davon, wie viele Menschen den Blog angeklickt und möglicherweise dann auch (ganz) gelesen haben (nämlich mehr als 1.000 in den ersten drei Tagen), und ich war überrascht, dass es doch einige, teils recht umfangreiche Kommentare dazu gab. Ungefähr 1.000 Leser und Leserinnen in drei Tagen (wenn man die Klicks als Leser zählt, was wahrscheinlich nicht zutreffend ist), das ist erheblich mehr als man sonst als Autor erhoffen darf – glaubt man den gängigen Studien über die Anzahl der Leser und Leserinnen von wissenschaftlichen Publikationen. Allein das ist schon Grund genug, weiter über die Blogs als kommunikative Gattung und die Nutzung der Blogs in der Wissenschaft nachzudenken (weshalb auch der ehrwürdige Deutsche Hochschulverband für Mitglieder und Nichtmitglieder Kurse anbietet, in denen das richtige Bloggen Nachwuchswissenschaftlern gelehrt wird – Teilnahmegebühr: 390,00/450,00 Euro). Jedoch gilt insbesondere für die Wissenschaft: Reichweite ist gut, aber Reichweite ist bei weitem nicht alles.

Wegen der überraschend deutlichen Reaktion auf meinem Blog möchte ich, entgegen meiner im ersten Blog geäußerten Absicht, hier noch nicht auf die aktuelle Lage der soziologischen Sozialforschung eingehen, sondern (und das gebietet allein schon die Höflichkeit) auf die Kommentare eingehen – auch wenn ich nicht weiß, wie man angemessen auf Blogkommentare reagiert. Der Blog als kommunikative Gattung befindet sich nämlich noch im Werden, so dass sowohl die innere Struktur des Bloggens (Wie bloggt man richtig?) als auch die äußeren Rahmenbedingungen noch nicht institutionalisiert sind. Stattdessen ist eine Vielzahl von lokalen Formen des Bloggens vorzufinden. Insofern sind wir gerade Zeugen, aber auch Akteure der Auseinandersetzung über die gültigen Formen, Gelegenheiten und Nutzen des Bloggens.

Im nächsten Blog werde ich dann das, wie bereits erwähnt, ursprünglich angedachte Thema, nämlich die Probleme der aktuellen soziologischen Sozialforschung ansprechen. Sollte es jedoch noch weitere Kommentare zum Bloggen in der Soziologie und dem Bloggen für die Soziologie geben, werde ich versuchen, beide Diskussionen parallel weiterzuführen.

Durch die Kommentare habe ich viel über das Bloggen gelernt. Ganz herzlichen Dank an all die, die geantwortet haben: So musste ich erkennen, dass ich mit meinen Vorstellungen über Blogs noch in der Welt der Tante-Emma-Läden lebe (Produkte stehen im Regal und der Käufer muss den Laden aufsuchen), während offensichtlich viele andere schon in der Welt der Supermärkte und der Ladenketten ihren Alltag gestalten (Produkte werden via Marketingstrategien -auch algorithmisierten-  aktiv an den Mann und die Frau gebracht). Bloggen ist offensichtlich für viele nicht mehr alleine das Ankleben eines Textes an einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle, sondern Bloggen ist für viele auch ein aktives und strategisches Bemühen um Leserschaft und ein aktives Gestalten von Gemeinschaften, die sich mit bestimmten Themen beschäftigen.

Auch musste ich erkennen, dass ich mich als Nutzer des SozBlogs in ein ‚gemachtes Bett’ gelegt habe, da dieser Blog es in den letzten Monaten geschafft hat, ein eigenes Netzwerk zu etablieren. Als ich blogte, wurde automatisch auch das Netzwerk (ohne dass ich es wußte) aktiviert. So gibt es nicht nur eine Fülle von Nutzern, die sich den SozBlog wie die Tageszeitung in ihr Haus bringen lassen (per RSS Feed), sondern der SozBlog ist auch eingebunden in verschiedene Mailinglisten. Mitglieder dieser Mailinglisten werden automatisch über neue Einträge im SozBlog informiert. Zudem haben einige Nutzer, nachdem sie den Blog gelesen hatten, eigenständig in anderen Mailinglisten, in denen sie Mitglieder sind, auf den Blog verwiesen. Auf diese Weise sind wohl Tausende von Nutzern auf den Blog aufmerksam gemacht worden. Davon haben in den ersten drei Tagen über 1.000 Personen die Seite angeklickt (auch an den weitere Tagen wurde der Blog jeweils über 100mal angeklickt). Eine gute Reichweite in sehr kurzer Zeit – ohne Zweifel.

Neun Personen haben den Blog kommentiert, zwei Personen sogar zweimal. So kamen elf Kommentare zustande – in den ersten drei Tagen. Danach gab es (bislang) keinen weiteren Kommentar. Ich weiß nun nicht, ob neun Kommentatoren und Kommentatorinnen mit ihren elf Kommentaren eine quantitativ ‚gute’ oder ‚schlechte’ Reaktion ist. Ein Schwarm und dessen Intelligenz bilden sich aber so sicher noch nicht. Auch weiß ich nicht, ob die eingegangenen Reaktionen typisch oder gar repräsentativ für Kommentare zu Blogs sind.

Obwohl ich mir sicher bin, dass weder die Inhalte der Kommentare noch die Kommentatoren und Kommentatorinnen repräsentativ sind, möchte ich hier versuchsweise und mit aller Vorsicht zwei Idealtypen des Bloggens konstruieren (Soziologen können das Konstruieren nicht lassen) und fragen, ob sich diese halten lassen: es scheint mir, als gäbe es diejenigen, welche die Blogs als Arbeitsmedium, und solche, welche die Blogs vornehmlich als Ausdrucksmedium benutzen. Gewiss wird es noch weitere typische Motivlagen und natürlich wird es Mischformen geben. Die Nutzung wird insgesamt also sehr viel differenzierter sein, als es hier aufscheint. Dennoch könnte diese Unterscheidung vielleicht nützlich sein.

Allen Bloggern gemeinsam scheint die Ausrichtung auf die Netzöffentlichkeit zu sein: Mit ihr (oder besser: mit einer Gruppe, welche die eigenen Interessen teilt) will man in Kontakt kommen, mit ihr wünscht man sich über das Eigene und auch über die Aneignung des Eigenen durch die Anderen auszutauschen. Hier stellt sich die Frage, ob sich daran nicht zeigt, dass es für diese Art des fachlichen Austauschs einen großen Bedarf gibt – dass die soziologischen Tagungen und Kongresse mit ihren Vorträgen (und kurzen Nachfragerunden) also die Fachdiskussion nicht ausreichend ‚bedienen’.

Beide oben genannte Gruppen scheinen sich im Übrigen jeweils in zwei Untergruppen zu teilen. Gemeinsam ist der Gruppe, die den Blog eher als Arbeitsmedium betrachten, die Ansicht, dass Bloggen dazu dient bzw. dienen kann, im beruflichen Miteinander und in der beruflichen Arbeit, also in der wissenschaftlichen Arbeit, weiter zu kommen. Dabei steht bei der einen Untergruppe mehr das Thema im Vordergrund (Man will mit anderen etwas über ein bestimmtes Thema erarbeiten; man will Hilfe von anderen, aber anderen auch helfen.) und bei der anderen Untergruppe mehr die strategische Selbstvermarktung (Man will sich und seine Position bekannt machen und für seine Sicht der Dinge werben.). Wie dem auch immer sei – für diese Personen ist der Blog ein Mittel des wissenschaftlichen Arbeitens, der kollaborativen Verfertigung der Gedanken, und es wird Zeit, solches Bloggen als Kommunikationsmedium in der Wissenschaft ernst zu nehmen und über diese neuen Formen und die Folgen dieser Art der Kommunikation (also deren Institutionalisierung) auch soziologisch informiert nachzudenken.

Bei denjenigen, die den Block eher als Ausdrucksmedium begreifen, finden sich ebenfalls zwei Untergruppen: Für die einen scheint das Bloggen ein Mittel zu sein, die eigenen Ansichten, so individuell sie auch sein mögen, von einem virtuellen speakers corner aus einmal der Welt mitteilen zu können. Die anderen verstehen sich als eher Teil eines um Erkenntnis bemühten Schwarms, von dem jedes Mitglied die Aufgabe hat, aus seiner Sicht einen Wissensbaustein beizusteuern, sei er auch noch so klein. Dieser Gruppe gemeinsam ist, dass man ‚frei von der Leber weg’ seine Meinung äußert, ohne eigene Untersuchungen angestellt und ohne die Literatur befragt zu haben. Gehofft wird, dass auf diese Weise irgendwie Neues und Kreatives in die Welt gesetzt wird. Aber es fragt sich, ob mit dieser Art von Schwarmintelligenz massenhaft die Kuckucksuhren neu erfunden werden.

Was ist für die soziologische Profession interessant an der begonnenen Debatte? Aus meiner Sicht vor allem die Frage, die Christine Moritz in ihrem Kommentar gestellt hat, nämlich die, ob es insbesondere für den wissenschaftlichen Nachwuchs gefährlich sein kann, die eigenen noch unfertigen Gedanken öffentlich zu präsentieren. Dies ist in der Tat eine Frage, die sich stellt, da die Äußerung des Unfertigen nicht nur vielleicht noch Unausgewogenes beinhaltet, sondern auch die vielleicht etwas (zu) flapsig formulierte Kritik an Positionen und/oder etablierten Kollegen und Kolleginnen. Denn auch in der Wissenschaft gilt, dass man sich mindestens zweimal im Leben begegnet – meist öfter. Und deshalb kann es gut sein, dass die Kritisierten den Kritikern begegnen, wenn sie deren Bücher zu rezensieren und deren Drittmittelanträge zu beurteilen haben oder gar in Berufungskommissionen mit zu entscheiden haben, ob die Kritiker für die ausgeschriebenen Stelle qualifiziert sind. Und es ist nur allzu menschlich, dass manche Kritisierte in solchen Situationen recht kleinlich werden – weshalb auch mache keine kritischen Rezensionen schreiben und Kollegen und Kolleginnen nur zustimmend zitieren. Es macht deshalb durchaus Sinn, darüber nachzudenken, was man als Nachwuchswissenschaftler/in in welcher Form in Blogs veröffentlicht. Ein solches Nachdenken als Verrat an der Aufklärung und der Freiheit der Wissenschaft anzuklagen, klingt zwar gut und beherzt, ist aber völlig weltfremd, wenn man die Welt der scientific community ein wenig näher kennt.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund insbesondere für Nachwuchswissenschaftlerinnen, mit der Diskussion ihres Unfertigen an die Öffentlichkeit zu treten. Denn nicht nur Politiker greifen manchmal zu dem Mittel, das in Worte gefasste Gedankengut anderer wortwörtlich zu übernehmen und für das Eigene auszugeben, sondern auch in der Wissenschaft findet sich hin und wieder diese Praxis. Mir ist noch gut in Erinnerung, als ich zu Beginn meines wissenschaftlichen Arbeitens einen Artikel, den Christian Lüders und ich zusammen verfasst hatten, bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht hatte, und einer der Herausgeber dieser Zeitschrift große Teile dieses Aufsatzes noch vor dessen Veröffentlichung Wort für Wort in zwei seiner Publikationen übernommen hat, ohne allerdings kenntlich zu machen, dass diese Gedanken nicht von ihn stammen. Und die Unart des Plagiierens schient nicht geringer geworden zu sein, sondern eher mehr. Deshalb ist auch hier Grund für Vorsicht geboten.

In den Kommentaren wurde wiederholt der Aspekt herausgestellt, ein Blog sei das angemessene Medium, etwas Neues sehr schnell und sehr effektiv in die Welt zu bringen. Das mag in bestimmten Wissenschaften der Fall sein – so zum Beispiel in der Medizin, wenn Mediziner über neue Symptome und Krankheiten oder neue Behandlungsmöglichkeiten berichten. Das mag auch in den Naturwissenschaften der Fall sein, wenn neue Beobachtungen oder neue Eigenschaften von Materialien entdeckt wurden. Allerdings frage ich mich, welche Neuigkeiten in der Soziologie von der Art sind, dass sie der beschleunigten Veröffentlichung bedürfen. Gab oder gibt es irgendein soziologisches Wissen, das so neu und wichtig ist, dass alle es möglichst schnell erfahren sollten? Gewiss macht es Sinn, wenn Soziologen und Soziologinnen tagesaktuelle Ereignisse mittels Blog zeitnah kommentieren und bewerten – doch das kann nicht das allgemeine Geschäft der Soziologie sein. Das Kerngeschäft der Soziologie besteht darin, mittels meist langwieriger Forschung Konzepte und Theorien zu sozialen Sachverhalten zu entwickeln, die nicht wirklich tagesaktuell sind – es jedoch werden können. Vielleicht ist der Blog ja auch nicht das Medium für die Verbreitung des Neuen, sondern vor allem für die Verbreitung von Neuigkeiten. Und vielleicht liegt die Stärke des Bloggens ja in der gemeinsamen Suchbewegung, in der Diskussion des noch Unfertigen, in der Kontaktsuche und der Kontaktschaffung. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein solcher suchender Austausch nicht auch der Abgeschlossenheit bedarf und deshalb in einem öffentlichen Medium sein Ziel verfehlt. bzw. verfehlen muss.

Apropos neues Wissen: Es ist zu vermuten, dass die hier geführte Diskussion rund um die Welt wohl schon tausende von Malen mit sehr ähnlichen Argumenten und ähnlichen Aufgeregtheiten statt gefunden hat. Insofern fragt sich, was hier an Neuem ans Licht gekommen ist. Aber das muss wohl so sein, da neue Medien sich in allen Lebenswelten erst Schritt für Schritt durchsetzen müssen, um alltäglich zu werden. Und dazu muss man darüber debattieren. Immer wieder.

Ob die Blogs dann allerdings die Mitgliederzeitschriften ersetzen werden und ob Blogs das Mitteilungsmedium einer Organisation werden, das ist aus meiner Sicht noch sehr ungewiss – auch weil schon jetzt viele soziologischen Institute und Organisationen teilöffentliche und v.a. auch nichtöffentliche Online-Plattformen und -Diskussionsforen für diese Zwecke nutzen. Wie oben schon gesagt, scheint es mir nicht ausgemacht, dass der Blog das Medium für das Neue ist – so könnte sich auch herausstellen, dass der Blog oft das Medium für den Common Sense ist und somit gerade nicht das Medium der Subversion. Viel schlüssiger scheint mir die Vorstellung vom Blog als Kollaborationsmedium. Was schlussendlich der Fall sein wird, das werden wir erst in ein paar Jahren wissen. Hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen – auch weil jeder sich an dieser Debatte beteiligen kann. Und vielleicht regt das ja weitere Leser und Leserinnen des Blogs an, diese Debatte durch Kommentare weiter zu führen als bisher.

 

18 Gedanken zu „Bloggen als Arbeits- oder als Ausdrucksmedium oder als was?“

  1. Die analytische und methodische (tastende) Unterscheidung zwischen Arbeits- und Ausdrucksmedium sieht gut aus, lässt sich handhaben und gefällt mir deshalb. Diese Unterscheidung ist aber kein einander ausschliessender Gegensatz, gar Widerspruch: man kann doch das einen tun ohne das andere lassen zu müssen. Wer den Ausdruck erzielbarer Klarheit nicht wagt, weil er fürchtet, er könnte sich Türen künftiger Möglichkeiten verschliessen, der hätte dann vielleicht auch alle analytische Mühe umsonst aufgewendet. Die Wahrheit als eine angestrebte und mögliche Form des Erkennens und der Erkenntnis ist als Ergebnis analytischer Bemühungen zur Aufdeckung gesellschaftlicher Repressionsstrukturen und -Prozesse nur dann eine FORM im MEDIUM der Soziologie, wenn sie ihr Ausdrucksprofil auch kantenscharf abhebt gegenüber bewusst opaken Argumentationsweisen, die letzten Enden dann doch nie weder Fisch noch Fleisch sind:

    Was man Unterscheiden kann, das soll und muss man auch unterscheiden (Remigius Bunia). Wer sich forschend immer nur vorsichtig und auf das eigenen gesellschaftliche Überleben bedacht gut angepasst in den Arbeitslaufrädern des Mainstreams bewegt, ohne auch einmal den ausbrechenden Ausdruck für das Erkannte zu wagen – wenn die Faktenlage danach ist und nach Ausdruck verlangt – der wird zwar bei seiner Erkenntniskirche nie anecken, aber er kann solcherart selbstverständlich auch niemals ein Galilei sein oder werden.

  2. Mir scheint der zentrale Aspekt des Bloggens noch nicht mit dem nötigen Nachdruck versehen zu sein. Bloggen ist allem voran Ausdruck und Funktion von Demokratisierungsprozessen. Und wenn ich den Abschnitt über die scientific community lese, scheint es auch dringlichst geboten zu bloggen. Es kann wohl kaum im Interesse der Soziologie sein, dass gerade jene, die als herrschaftskritische Wissenschaft gedacht wurde, nun selbst zu einem Herrschaftsinstrument verkommt.

    Wurde und wird die veröffentlichte Meinung und der vermeintliche Diskurs in der Soziologie durch etablierte Altvordere bestimmt, allein schon durch die Veröffentlichungspraktiken der verschiedenen Zeitschriften, wird nun auch noch der Eindruck vermittelt, es sei nur „allzu menschlich“, dass sich Soziologen konformistisch verhalten und Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autoritäten zu akzeptieren haben (und sei es nur der Karriere wegen).
    Anstatt eine Fehlentwicklung anzuprangern, kann man sich natürlich auf eine deskriptive Position zurückziehen. Der Konsens wird es einem Danken. Doch ist der Konsens auch meist Nonsens (Erich Fromm).

    „Ein solches Nachdenken als Verrat an der Aufklärung und der Freiheit der Wissenschaft anzuklagen, klingt zwar gut und beherzt, ist aber völlig weltfremd, wenn man die Welt der scientific community ein wenig näher kennt.“
    Und wenn man die Menschheitsgeschichte ein wenig näher kennt, klagt man ja auch den Krieg nicht mehr an. Der ist zwar doof, aber es wäre völlig weltfremd ihn nicht als allzu menschlich anzuerkennen. Das Anerkennen von Realitäten kann wohl kaum dazu führen, diese als Rechtfertigung für Konformismus anzuführen. Aber das könnte natürlich eine etwas zu flapsig formulierte Kritik an einem etablierten Kollegen sein. Vielleicht sollte die „Fragilität des Stolzes“ einiger etablierter Kollegen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden, anstatt den Elan flapsiger Kritiken zu bremsen.

    Gerade das Blog verschafft die Möglichkeit herrschaftskritische Gedanken einer Leserschaft bereitzustellen, die gerade von den Etablierten nicht veröffentlicht würden. Sei es, weil der Gedanke nicht ausgereift genug ist, sei es, weil der Gedanke am Selbst- und Weltbild der Etablierten kratzt.
    Damit ist nichts über die Qualität gebloggter Texte gesagt. Diese können die Leser aber nun selbst feststellen. Missfällt die Qualität wird das Blog künftig keine Beachtung finden. Gefällt die Qualität, wird sich das Blog durch die zahlreichen Vernetzungsmöglichkeiten einer breiteren Leserschaft präsentieren können.
    Es geht also weder primär um Aktualität der Beiträge, noch um Qualität. Es geht um die Möglichkeit seine Texte entgegen den Auswahl- und Ausgrenzungsmechanismen der etablierten Scientific Community veröffentlichen zu können. Das scheint mir ein wesentliches demokratisches Moment im Bloggen zu sein.

    Man transportiere das Gesagte auf den Iran und schon wird es deutlicher. Der Iran hat die (gemessen an der Bevölkerung) größte Blogger-Community weltweit.

    Ein weiterer guter Grund für das Bloggen ist das Durchbrechen der homo clausus Selbstwahrnehmung (wie sie Norbert Elias u.a. in „Die Gesellschaft der Individuen“ beschrieben hat). Wissensproduktion und das angemahnte fehlende Neue kann nur im diskursiven Austausch entstehen. Gerade weil diese Prozesse bisher hinter verschlossenen Türen vonstatten gehen, wird kaum Neues produziert. Mittlerweile geht es in der Soziologie auch kaum noch darum. Vielmehr geht es um reine Quantitäten. Zwei, vielleicht drei Artikel in peer-reviewed-Zeitschriften unterbringen; ein, zwei Vorträge pro Jahr (besser mehr von allem) sind nicht gerade Garanten für qualitative Veröffentlichungen bzw. der Produktion von Neuem.

    Wenn der wissenschaftliche Nachwuchs, aber nicht nur der, am wissenschaftlichen Austausch teilnehmen möchte, so ist das doch nur zu begrüßen. Sich selbst als Teil der scientific community zu begreifen und sich nicht von etablierten Strukturen abhalten zu lassen, zu veröffentlichen, kann dem Fach nur gut tun. Das Verharren in den herrschaftlichen Institutionen und das Beharren auf althergebrachte, liebgewordene, weil selbstwertrelevante Strukturen, scheint mir ein Hindernis im kommunikativen Prozess zu sein.

    Wenn sich jeder, gleich der Monade, sich selbst genügt, dann wird auch immer alles noch einmal gesagt (bis es jeder gesagt hat). Öffnen wir uns, und erkennen wir uns als Mensch unter Menschen, sowie als Soziologe unter Soziologen, sind wir möglicherweise in der Lage einige Eitelkeiten beiseite zu schieben und vor allem wieder der Erkenntnis mehr Raum zu geben. Das mag ein gutes Stück weit idealisiert sein. Doch wird auch hier die Zukunft zeigen, wozu wir noch Soziologie benötigen. Ist es lediglich ein Beruf mit dem man Geld und Ansehen verdient oder kann Soziologie das Versprechen, Menschen zu verstehen und zu erklären, besser einlösen als bisher.

  3. „Der Blog als kommunikative Gattung befindet sich nämlich noch im Werden, so dass sowohl die innere Struktur des Bloggens (Wie bloggt man richtig?) als auch die äußeren Rahmenbedingungen noch nicht institutionalisiert sind.“

    Das ist glatter Humbug, theoretisch wie empirisch.

      1. Gemeint sollte sein: Die Feststellung ist empirisch unzutreffend und theoretisch nicht sonderlich überzeugend. Ein Blick in Blogs zeigt, dass sehr viele wissen, wie man „richtig“ bloggt. Wenn das nicht der Fall wäre, würden alle permanent aneinander vorbeireden, was jedoch nicht der Fall ist, jedenfalls nach meinem Dafürhalten. Dass die „äußeren Rahmenbedingungen“ gegeben sind, zeigt sich an der Leichtigkeit, mit der Blogs geschaffen und verändert werden. Schnelllebigkeit im Netz ist doch gerade ein Zeichen für das Vorhandensein von technischen Infrastrukturen und Know-how. Was Sie schließlich mit „Institutionalisierung“ meinen, verstehe ich nicht, außer Sie gehen davon aus, es müsste eine übergeordnete Struktur mit normierender Wirkung geschaffen werden, aber das wäre ein Missverständnis der Möglichkeiten, die einem das Bloggen bietet.

        1. Danke für die Erläuterungen. Vielleicht verstehen Sie meine Aussagen, wenn Sie Thomas Luckmanns Aussagen zu den kommunikative Gattungen und deren Binnen- und Außenstruktur lesen (Thomas Luckmann 2002: Wissen und Gesellschaft. Konstanz: UVK. S. 183-201).
          Aus meiner Sicht mag es einige Gruppen geben, die sich über die Binnenstrukturen (zur zeit) einig sind, aber ein gesellschaftlicher Konsens darüber ist noch nicht in Sicht. Noch schlechter sieht es mit der Außenstruktur aus. Damit ist im Übrigen nicht die technische Voraussetzung für das Bloggen gemeint, sondern die soziale Einbettung (und Geltung) dieser Gattung. Und darüber wird doch heftig gestritten – auch hier in diesem Blog.

          1. Mal abgesehen von der Frage, ob es einen solchen gesellschaftlichen Konsens geben KANN (ich habe da starke Zweifel), stellt sich die Frage, warum es ihn überhaupt geben sollte. Das meinte ich mit Normierung: Wie Sascha Pommrenke in seinen Beitrag bereits festgehalten hat, sind in Blogs Äußerungen möglich, die andernorts sanktioniert werden. Ich denke deshalb, dass der Unterschied zwischen Äußerungen in Blogs und in wissenschaftlichen Publikationen nicht völlig eingeebnet werden sollte. Das würde den „etablierten Kolleginnen und Kollegen“ helfen, Blogäußerungen als das zu verstehen, was sie sind, nämlich Blogäußerungen im Sinne einer eigenen kommunikativen Gattung (ob nach Luckmann, weiß ich nicht).
            Was Sie über flapsige Bemerkungen in Blogs schreiben, ist mir aufgestoßen, denn es legt nahe, dass die Etablierten im Fach nicht richtig verstehen, wie und warum man bloggt. Man könnte darin doch einen kommunikativen Vorteil sehen: Wer Blogs liest, findet ungefilterte Meinungen, erfährt also Dinge, die sonst im Verborgenen bleiben.

          2. Die Medienaneignungsgeschichte zeigt, dass alle Medien ihre Zeit brauchen, bis sich ihr Gebrauch herausgemendelt hat. Dann aber herrscht Konsens darüber, was man wie mit dem Medium macht. Bis zur nächsten Aneignungsdebatte.

            Den Punkt mit den Unterschieden zwischen Blogäußerungen und wissenschaftlichen Äußerungen verstehe ich nicht. Sind Blogäußerungen weniger durchdacht oder übernimmt man für sie keine/weniger Verantwortung oder was? Darf ich Sie flapsig kritisieren, was Sie möglicherweise als Beleidigung auffassen, und dann sagen, das sei ja nicht so schlimm, es sei ja nur eine Blogäußerung gewesen? Ist alles Flapsige auch subversiv?

            Dass es „ungefilterte Meinungen“ geben sollte, verstehe ich ebenfalls nicht. Wie sollte das möglich sein, dass jemand keinen Filter anlegt, also keine Selektion vornimmt. Er benutzt nur einen anderen.

  4. Ich kann hier den Beitrag von Sascha Pommrenke und die darin angeführten Argumente zur scientific community nur unterstützen. Die Ausführungen des Bloggers hierzu (sinngemäß: „so ist das nun mal in der Wissenschaft“) sind für mich als angehender Wissenschaftler ganz schön demotivierend

  5. Diese ganze Kritik ist völlig überflüssig. Jo Reichertz hat einen, wenn auch vielleicht nicht explizit intendierten, sehr dennoch intelligenten Anfangspunkt gefunden, indem er angefangen hat, über etwas auf eine Weise zu schreiben, dem er auf diese Weise skeptisch, vielleicht ablehnend, aber doch neugierig gegenüber steht.
    Denn tatsächlich ist das der Weg, über die die Akzeptanz eines Mediums läuft. Die Akzeptanz geschieht nicht auf dem Wege der allgemeinen Wertschätzung oder aufgrund eines vorentschiednen sozialen Konsenses, sondern allein auf dem Wege der faktischen Nutzung. Und eine Möglichkeit der Nutzung ist, diese Nutzung in die Anführungszeichen einer Ablehnung zu setzen. Daraus ergibt sich ein performativer Selbstwiderspruch: „Ich lehne das Schreiben von Kommentaren eigentlich ab.“
    Man bemerkt, dass die Findung der Akezptanz auf dem Wege der Entfaltung eines peformativen Selbstwiderspruchs gelingt.
    Übrigens ist das in der Entwicklung der kritische Disziplin eine alte und lange schon erforschte Sache:

    „Die Lesesucht ist ein thörigter, schädlicher Mißbrauch einer sonst guten Sache, ein wirklich großes Übel, das so ansteckend ist, wie das gelbe Fieber in Philadelphia; sie ist die Quelle des sittlichen Verderbens für Kinder und Kindes Kinder.
    – Johann Gottfried Hoche, »Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht« (1794)“

    http://schulesocialmedia.com/2013/01/16/was-man-von-der-lesesucht-debatte-im-18-jahrhundert-lernen-kann/

    Lesen, ja, aber bitte „richtig“. Und Romanelesen war falsch. Das bezog sich dann bald auch auf das Schreiben von Romanen und die Frage, ob beispielsweise Historiker Romane schreiben dürfen. Im 19. Jh. gab es daher einen Diskurs um den pejotrativen Begriffs des sog. „Professorenromans“ (bekanntes Beispiel: Felix Dahn, Ein Kampf um Rom) Die Einwände bestanden in der Angst der Verfälschung von wissenschaftlicher Erkenntnis.
    Siehe dazu: Otto Kraus, Der Professorenroman, Heilbronn 1884.
    http://bit.ly/13CocKD

    Etwa zeitgleich wurde sehr empfindlich die Frage diskutiert, ob Professoren für Zeitungen schreiben dürfen, weil dies als Verrat an der Alma Mater gesehen wurde.

    Bis heute müssen sich manche Professoren geringschätzende Bemerkungen darüber anhören, dass sie eine große Medienpräsenz zeigen.
    Woher eigentlich diese Angst?

    Vermutlich hängt das mit dem Problem des „Beobachtetwerdens“ zusammen. Die moderne Wissenschaft folgt einem Subjekt/Objekt-Schema, das von einer doppelten Realität ausgeht: eine objektive Realität wird subjektiv durschaut. Und damit die Realität des durschauenden Subjekt diese Unterscheidung durchalten kann, muss es für sich selbst vermeiden, als beobachtetes Objekt in Erscheinung zu treten. Und da man das Beobachtetwerden prinzipiell nicht vermeiden kann, müssen soziale Hürden eingerichtet werden, um die Beobachtung des wissenschaftlichen Subjekts zu erschweren und um Bedingungen zu schaffen, die es wahrscheinlich machen, dass die Beobachtung des wissenschaftlichen Subjekts selbst unter wissenschaftlichen Bedingungen geschieht.
    Diese Hürden beziehen sich auf Wissenschaftsbürokratie und esoterische Exkludierung, z.B. durch Schaffung einer eigenen Fachsprache, Ausbildung eines Habitus der Gelehrsamkeit, Ausbildung von Karrierenetzwerken, die Gefälligkeit erwartbar machen, der Erzeugung von Konformitätsdruck und Konkurrenz und dergleichen mehr.

    Aber immer zeigt sich, dass solche Vermeidungsstrukturen selbst nicht vermeidbar sind, sondern immer nur den zu bewältigenden Schwierigkeitsgrad steigern.

    Der nächste Schritt zur Steigerung des Schwierigkeitsgrades ist nun das Internet. Und möglicherweise auch der letzte. Das Muster aber zeichnet sich wieder ab: Akzeptanz des Mediums allein durch den Weg seiner Nutzung, die es selbstverständlich auch zulässig macht, die Nutzung abzulehnen, zu vermeiden, gering zu schätzen, herunter zu spielen, ihre Bedeutung zu bagatellisieren.
    Aber die Nutzung kann niemand ablehnen:

    „Online-Lehrveranstaltungen werden immer beliebter: Mittlerweile beeinflussen die Programme sogar schon das Lernverhalten der Studenten. Wer profitiert am Ende?“
    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/silicon-demokratie/kolumne-silicon-demokratie-die-ausspionierten-12024866.html

    1. „Diese ganze Kritik ist völlig überflüssig.“

      Hier war ich etwas verwirrt, ob der Chuzpe des Kommentators.

      „Jo Reichertz hat einen, […], sehr dennoch intelligenten Anfangspunkt gefunden, […].“

      Hier setzte doch ein klein wenig ein Peinlichkeitsgefühl ein.

      „Diese Hürden beziehen sich auf Wissenschaftsbürokratie und esoterische Exkludierung, z.B. durch Schaffung einer eigenen Fachsprache, Ausbildung eines Habitus der Gelehrsamkeit, […].“

      Und hier wurde ich mit meiner Wahrnehmung wieder versöhnt. Ich hatte nur mit solch gehobenem Nievau an Selbstironie nicht gerechnet.

      1. Die Intelligenz des Reichertzschen Versuches besteht darin, die Selbstbezüglichkeit nicht auf Umwegen und umständlichen Bedingungen herzustellen, was ja immer mit der Beachtung vielfältiger um komplizerter Regeln zu tun hat. Stattdessen erzeugt die Wahl der Selbstreferenz gleichsam automatisch eine Konzentration auf das Thema, ohne, dass diese Konzentration durch Sanktion hergestellt würde. Sanktion funktioniert hier ja nicht, weil kein Kommentar ausgeschlossen werden kann. Zwar könnte man Kommentare hier nicht freischalten, aber das würde niemanden daran hindern, sie woanders zu posten. Und niemand weiteres wäre wiederum daran gehindert, in einem nächsten Kommentar diesen woanders angebrachten Kommentar hier wiederum per Link einzubringen.
        Nichts und niemand kann im Prinzip aus der Kommunikation ausgeschlossen werden.

        Wie also könnte man Konzentration ohne Sanktion, also allein durch Selbstsanktion herstellen? Der Weg ist hier die Selbstbezüglichkeit: „Blogschreiben über Blogschreiben.“ Weil der Weg ideal dazu geeignet ist, um auf Paradoxien aufmerksam zu machen, geschieht wie von selbst die Konzentration auf das benannnte Thema. So hat gerade der Selbstbezug eine ordnende Funktion, durch die festgelegt wird, was zum Thema gehört und was nicht. Damit sind Abschweifungen, Ablenkungen und Derailing natürlich nicht verhindert, allein, alles, was sich so bemerkbar macht kann wiederum auf Selbstreferenz geprüft werden, wodurch dann wieder die Konzentration zurück gewonnen wird.
        Das Verfassen und Verbreiten von Dokumnten, für das wesentlich gilt, dass es durch Arbeitsteilung und damit durch komplexe Prüfverfahren zustande kommt, welche eine individuelle Willkür beinahe ausschließen oder jede Willkür mindestens enorm minimieren, bringt ja notwendig eine Diszplinierung durch Konzentration auf Fremdrefernz mit sich. Diese Konzentration erfordert Kritik, und Kritik erfodert die Vermeidung von Selbstreferenz, auch für den Fall, dass Kritik selbst wiederum kritisiert wird. Das geschieht in der Regel durch Rechtfertigungsstrategien. Rechtfertigung sorgt für Ordnung in Fällen, wo die Konzentration auf Fremdreferenz durch Sanktion hergestellt wird.

        Beim Blogschreiben sind die Bedingungen gänzlich anders. Es gibt keine, oder eine nur sehr geringe Arbeitsteilung, die zeitliche Dehnung von Anschlussoperationen ist sehr viel geringer, der Kostenaufwand ist gering, adressierbare Kontakte sind nicht esoterisch exkludiert, sondern andersherum: exoterisch inkludiert. Das bedeutet, dass keine Menschen oder Personen adressiert werden, weil ja alle für einander abwesend sind und trotzdem Interaktion gelingt, also: Interaktion zwischen Abwesenden. Abwesende Personen kann man normalerweise nicht adressieren. Hier gelingt allenfalls die Adressierung von Adressen, weil niemand genau wissen kann, welche Personen welche Adressen steuern.
        Und es kommt hinzu, dass die Abwesenden für einander auch unbekannt sein können; und trotzdem kann sich schnell ein Netzwerk finden und aktiviern, das die Kommunikation zu einem bestimmten Thema zustande bringt.

        Die beste Voraussetzung dafür ist die bisher bekannte Selbstreferenzvermeidung selbst zu vermeiden, um auf diese Weise zu testen, ob trotzdem noch Fremdreferenz behandelbar wird. Denn klar ist: wenn auch Selbstreferenz nicht zu vermeiden ist, erschöpfen kann sich die Kommunikation darin nicht, weil sie dann sehr schnell vorbei wäre.

        1. Ich bin mir sicher, dass Sie einige kluge Sachen gesagt haben, aber auf mich wirkt es wie ein Textgenerator, der lediglich Bausteine aneinanderreiht.
          Kurz und in Verfremdung eines Zitates eines klugen Kommentators:

          „Diese Hürden beziehen sich auf Wissenschaftsbürokratie und esoterische Exkludierung, z.B. durch Schaffung einer eigenen Fachsprache, Ausbildung eines Habitus der Gelehrsamkeit,

          Wozu kommentieren, wenn man nicht kommunizieren möchte? Ein nicht ganz unwesentlicher Sinn von Kommunikation könnte ja im „Verstanden werden“ liegen. Dazu scheint mir eine distinguierende „Fachsprache“ manchmal wenig praktikabel zu sein.

          Mal ehrlich:
          „Diese Konzentration erfordert Kritik, und Kritik erfodert die Vermeidung von Selbstreferenz, auch für den Fall, dass Kritik selbst wiederum kritisiert wird. Das geschieht in der Regel durch Rechtfertigungsstrategien. Rechtfertigung sorgt für Ordnung in Fällen, wo die Konzentration auf Fremdreferenz durch Sanktion hergestellt wird.“

          Das ist doch nicht Ihr ernst?!

          1. „Ein nicht ganz unwesentlicher Sinn von Kommunikation könnte ja im “Verstanden werden” liegen.“ Könnte sein, muss aber nicht.
            Seit den Arbeiten von Paul Watzlawick ist die These, dass man nicht nicht kommunizieren kann, ein Gemeinplatz, den immer noch zu zitieren schon eine gewisse Trivialität darstellt:

            http://www.paulwatzlawick.de/axiome.html

            Die Ausbildung von Fachsprachen (nicht nur in der Wissenschaft) hat eine Bedeutung in Hinsicht auf die Exkludierung, durch die hergestellt wird, dass nicht alle möglichen Verweisungen innerhalb eines Systems realisiert werden, sondern nur diejenigen, die für die Erhaltung des Systems erforderlich sind.

            Siehe dazu in Hinsicht auf Exkludierung/Inkludierung:

            Peter Fuchs: „Keine Inklusion ohne Exklusion, keine Exklusion ohne Inklusion“
            http://www.fen.ch/texte/gast_fuchs_inklusion-exklusion.pdf

            Ernsthaftigkeit, im weiteren Zusammenhang betrifft dies auch Authentizität und Aufrichtigkeit können nur fremdreferenziert werden, weil jeder Versuch all dies operativ selbstreferenziell herzustellen wiederum selbstreferenziell zurück gewiesen wird.
            Beispiel: die unaufgeforderte und darum überraschende Mitteilung, dass „ich“ alles ganz ernst (oder ehrlich) meine, (wenn über das Gegenteil noch nichts beobachtbar war) lässt gerade die Möglichkeit des Gegenteils aufscheinen. In solchen Fällen spielt die Latenz der Selbstverdächtigung eine entscheidende Rolle.

            Ernsthaftigkeit kann darum nur zugerechnet, zwar gefordert, aber nicht selbst eingelöst werden. Entweder man bekommt so etwas geschenkt oder es geht nicht.

  6. Ich hab mir den Kommentar zum ersten Post verkniffen, weil mich ja die Soziologen nicht sonderlich interessieren. Aber als Kusanowsky-Troll-Fan kommt man ja nicht vorbei, seine Beiträge überall mal anzuschauen.
    Also ganz kurz: Das Bloggen ist eine mehr oder minder öffentliche Form des Tagebuchschreibens. Insofern immer halb gar und deswegen oft auch so spannend, wenn man den Kaffee vom Frühstück in den Zeilen spürt. Wer möchte nicht gerne mal über die Schulter schauen, wenn der Text noch nicht fertig und die Gedanken erst vage sind. Wenn die verschiedenen Ebenen (da war doch noch ein Zettel – warum sagt mir keiner, dass ich einen Zahnarzttermin um halb 11 hab – wer ist die Hübsche, die auf dem Gang steht – warum schau ich beim Bloggen eigentlich immer auf den Bildschirm und nicht aus dem Fenster usw. usw.) kreisen und sich zu Buchstaben und Sprachbildern formen. Man korrigiert die Rechtschreibung, aber nicht mehr den Stil und den Sinn beim Bloggen, denn schließlich muss der Leser auch was aushalten können.
    Was ich allerdings aufs Angenehmste überrascht bemerken muss, ist die Verständlichkeit der Worte (über Sinn kann man streiten), die in beiden Beiträgen in einem Soziologen-Blog völlig unerwartet ist.
    Was für mich immer noch völlig offen ist, ob man sich hier auch – wie in der weiten Welt des Bloggens üblich – duzt ;)

  7. Ganz ehrlich, die Debatte über Sinn, Unsinn und was nicht noch alles des Bloggens mag interessant sein, wurde hier aber von gefühlt jedem Blogger aufgegriffen und ist ein bißchen ausgeluscht. Außerdem scheint mir diese „Reflexion“ nicht zuletzt der Herstellung von Welpenschutz zu dienen, wo ich mir immer auf neue denke, dass die Damen und Herren Professoren wohl in der Lage sein sollten sich zu informieren und souveräner mit einer derart unsicheren Situation umzugehen.
    Ich würde wirklich gerne was zu einem anderen Thema lesen.

Kommentare sind geschlossen.