Der Kosmopolitismus als Bösewicht. Teil II einer Kritik an Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns

Zwei Bösewichte und kein_e Held_in

In Gesellschaft des Zorns erzählt Cornelia Koppetsch eine Geschichte, in der es keine Held_innen, aber gleich zwei Bösewichte gibt. Freilich verbietet es die soziologische Etikette, explizit in Begriffen von Gut und Böse zu sprechen. Aber außerhalb von Kindermärchen bedarf es dieser Worte auch gar nicht, um die moralische Wertung kenntlich zu machen – die Schilderung der Taten und Absichten reicht aus.

Links zu allen sechs Teilen der Kritik:
Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV, Teil IV, Teil V, Teil VI

Der erste Bösewicht ist der Rechtspopulismus und er meint es wirklich böse. Der Rechtspopulismus will und kann die offene Gesellschaft sowie ihre liberalen und demokratischen Werte grundsätzlich über den Haufen werfen. Obwohl Koppetsch mehrfach betont, dass Offenheit, Liberalität und Demokratie ohnehin ausgehöhlt und in gewissem Maße ideologisch seien, blickt sie mit erkennbarer Sorge auf diese Möglichkeit. Die Gefährlichkeit des Rechtspopulismus betont Koppetsch insbesondere ganz zu Anfang und ganz zu Ende des Buches und warnt eindringlich vor ihrer Unterschätzung (12-14, 253-254, 257). Im Laufe der Erzählung macht sie aber auch in einer von der Methode der „theoriegeleiteten Empathie“ (33) geprägten Schilderung deutlich, dass dieser böse Wille nicht auf ein inhärent böses Wesen der entsprechenden Personen und Gruppen zurückgeht, sondern eine Reaktion auf reale Erfahrungen und gesellschaftliche Entwicklungen ist. Manche werden den bösen Willen nach dieser Erzählung zumindest nachvollziehbar finden und an das Gute im Bösewicht glauben.

[Der folgende Absatz enthält minimalste Spoiler für die letzte Staffel von Game of Thrones, danach ist der Text aber schon wieder sicher.]

Der zweite Bösewicht ist der liberale Kosmopolitismus. Er meint gar nichts böse, sondern will immer nur das Beste für alle Menschen – und nebenbei die Welt beherrschen oder zumindest allen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Weil er davon überzeugt ist, nur Gutes zu wollen, hält er es auch für völlig ausgeschlossen, dass das eigene Handeln jemals böse sein könnte. Entsprechend merkt er nicht, was er der Welt antut und wie andere unter seiner Machtausübung leiden (35, 81, 123). Der Rechtspopulismus ist also eher Anakin Skywalker, der Kosmopolitismus eher Daenerys Targaryen. Aber während diese beiden Figuren in unterschiedlichen Universen leben, sind Rechtspopulismus und kosmopolitischer Liberalismus in Koppetschs Erzählung unmittelbar verbunden: Der üble Wille des rechtspopulistischen Bösewichts erscheint in Teilen als – mit ein wenig Empathie durchaus nachvollziehbare[1] und nicht ganz irrationale – Reaktion auf die Arroganz des kosmopolitischen Bösewichts.

Wie ich in diesem zweiten Teil meiner Kritik an Koppetschs Buch darlege, hat diese Erzählung eine gewisse Plausibilität, erweist sich aber als doppelt problematisch: Erstens ist sie in der Sache nur sehr eingeschränkt aufrechtzuerhalten. Zweitens trägt sie diskursiv zur Rationalisierung des Rechtspopulismus bei, indem sie einem seiner Kernideologeme wissenschaftliche Legitimation verleiht.

Die Bösewichtwerdung des Kosmopolitismus

Die Grundanlage von Koppetschs Darstellung ist schlüssig: Liberalisierungs- und Globalisierungsprozesse haben in den letzten Jahren sehr heterogene Gruppen von Gewinner_innen und Verlierer_innen hervorgebracht. Dabei gibt es (unter anderem) auf der einen Seite Gruppen mit eher kosmopolitischem Lebensstil und Wertorientierungen, die – zumindest kulturell und symbolisch – eine Aufwertung erfahren haben. Auf der anderen Seite gibt es Gruppen, deren teilweise hochprivilegierte, teilweise unterprivilegierte Position durch diese Prozesse geschwächt oder gefährdet wird – zumindest kulturell und symbolisch. Die ersteren stehen gesellschaftlicher Liberalisierung und dem Bedeutungsverlust nationaler Grenzen im Grundsatz eher positiv gegenüber; unter den letzteren formiert sich grundsätzlicher Protest gegen diese Entwicklungen – und dieser Protest trägt den Rechtspopulismus.[2]

Zum Problem wird dabei aber Koppetschs allzu polemisch überspitzte Darstellung der kosmopolitischen Gruppen sowie des Verhältnisses der beiden Lager zueinander. Während sie zunächst wiederholt betont, dass beide Seiten des Konflikts sozialstrukturell sehr heterogen sind, setzt sich im Laufe des Buchs (insbesondere in Kapitel 7) sowie in dessen feuilletonistischer Rezeption eine Rhetorik durch, die den Kampf zwischen Kosmopolitismus und Rechtspopulismus zunehmend als Kampf eines arroganten und heuchlerischen Obens gegen ein verängstigt um sich schlagendes Unten erscheinen lässt.

Es sind vor allem vier miteinander verknüpfte Faktoren, die dazu beitragen, dass der Kosmopolitismus in Koppetschs Darstellung als ein für die eigene Übermacht und ihre Folgen blinder missionarischer Bösewicht erscheint.

Der erste Faktor besteht darin, dass Koppetsch den Kosmopolitismusbegriff ausschließlich für Milieus aus Ober- und Mittelschichten verwendet. Sie führt zwar zunächst aus, dass Transnationalisierunsgprozesse in oberen, mittleren und unteren Schichten stattfänden: Am oberen Ende der Sozialstruktur seien es „hochqualifizierte[…] Manager, Juristen, Berater, Designer, Ingenieure, Forscher und Wissenschaftler, die eine neue transnationale professionelle Klasse bilden“ (193), am unteen Ende gebe es „eine globale Klasse, die Klasse der Niedriglohnarbeiter, die sich in hohem Maße aus Migranten ärmerer Länder rekrutiert“ (193). Zudem spricht Koppetsch von einer „relativ breite[n] Schicht der Kosmopoliten in den Kultur- und Wissensökonomien der global cities“ (18), die sie zumindest in Teilen der „kosmopolitischen Mittelschicht“ (124) zurechnet. Das Attribut „kosmopolitisch“ verwendet Koppetsch jedoch ausschließlich für die oberen und mittleren Schichten. Die grenzüberschreitende Unterschicht bezeichnet sie zwar als „global“ und „transnational“, aber nicht als kosmopolitisch. Diese einseitige Verwendung des Kosmopolitismusbegriffs ist durchaus gängig, bleibt aber doch begründungsbedürftig. Wichtiger noch: Sie wirkt daran mit, dass Kosmopolitismus als Projekt von Oben erscheint.

Als zweiter Faktor trägt zur Bösewichtwerdung des Kosmopolitismus bei, dass Koppetsch nicht systematisch zwischen kosmopolitischen Werten, kosmopolitischer Lebensführung und kosmopolitischer Identität unterscheidet. Kosmopolitische Werte zu vertreten, hieße zum Beispiel auf die Universalität der Menschenrechte konsequent und unabhängig von Staatsbürgerschaft zu bestehen – sie gelten dann sogar noch für diejenigen, die in Lagern in Lybien oder Texas sitzen. Ein kosmopolitisches Leben zu führen, hieße dagegen, im Alltag ganz routiniert nationale Grenzen zu überschreiten und eine Biografie zu leben, die nicht auf ein Land fixiert ist. Eine kosmopolitische Identität zu pflegen, hieße dagegen, sich eher als Weltbürger_in denn als Teil einer Nation zu identifizieren. Es ist naheliegend, dass Kosmopolitismus in allen drei Dimensionen oft zusammen auftritt; von einem proportionalen Zusammenhang aller drei Größen ist dagegen nicht ohne weiteres auszugehen. Kosmopolitische Werte und Identitäten finden sich auch bei Sozialarbeiter_innen und Erzieher_innen, deren Einkommen kaum reicht, um sich eine Wohnung in einer Metropole zu leisten, geschweige denn in einem privilegierten Quartier, geschweige denn in mehreren Metropolen. Dieser Kosmopolitismus könnte Teil eines solidarischen und subversiven Projekts sein. Andersherum sprechen sich nicht alle, die mit privilegiertem Pass und viel Geld alltäglich um die Welt jetten, dafür aus, dass Menschen aus Afrika unbegrenzt nach Europa, aus Lateinamerika in die USA kommen dürfen. Dieser Kosmopolitismus wäre eher ein (wahrscheinlich unreflektiertes) Privileg – vor allem wenn er mit meritokratischer Rechtfertigung einhergeht. Solche Differenzierung vollzieht Koppetsch nicht systematisch. Vielmehr gehen die unterschiedlichen Dimensionen des Kosmopolitismus im Begriff des „ kosmopolitischen Habitus “ auf und unter: Dieser sei „die kulturelle Voraussetzung einer weltweit vernetzten, wissens- und innovationsgetriebenen kapitalistischen Wertschöpfungsweise“ (116). Demnach stellt sich in Koppetschs Darstellung der Eindruck ein, dass kosmopolitisch zu denken, kosmopolitisch zu leben und den kosmopolitischen Kapitalismus zu tragen in eins fielen.

Den dritten Faktor bilden Koppetschs Thesen zur Veränderung des sozialen Raums seit Bourdieus ursprünglichen Studien. Die ökomischen Eliten hätten nunmehr einen „kulturellen Habitus“ erworben. „Infolgedessen verblasst die antagonistische Spannung zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital – und gleichzeitig verlieren die kulturellen Sphären ihr widerständiges, herrschaftskritisches Potenzial“ (114). Bourdieus Entgegensetzung von rechten Herrschenden und linken Beherrschten dagegen verblasst in dieser Darstellung nicht nur, sie wird sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Die neuen kosmopolitischen Ober- und Mittelschichten sind bei allem liberalen oder irgendwie linken Selbstverständnis das neue herrschende Establishment. „Die Linke positioniert sich nicht mehr als gegenkulturelle Kraft, sondern scheint nach einem erfolgreichen ‚Marsch durch die Institutionen‘ selbst konservativ geworden zu sein“ (149-150). Liberal sein, links sein, kosmopolitisch sein, über kulturelles Kapital verfügen, über ökonomisches Kapital verfügen, sozial oben sein, symbolisch nach unten treten – all das scheint nun irgendwie eins geworden zu sein.

Der vierte Faktor besteht darin, dass Koppetsch bei der sozialstrukturellen Bestimmung kosmopolitischer Milieus relativ vage bleibt bzw. stetig zwischen verschiedenen Bezugnahmen hin- und hergleitet. An einigen Stellen verwendet sie den Begriff des Kosmopolitismus sozialstrukturell sehr großzügig. Dann scheinen alle studierenden und studierten Milieus in den größeren Städten darunter zu fallen, die sich irgendwie als weltoffen verstehen und globale Konsummuster verfolgen – dies sind Milieus der oberen und mittleren Klassen. An anderen Stellen schreibt sie den Kosmopolit_innen insgesamt Handlungsmuster zu, die plausiblerweise nur eine relativ kleine finanzstarke Gruppe überhaupt vollziehen kann – dabei geht es insbesondere um exkludierende Praktiken. Dieser vierte Faktor ist für das Buch so prägend, dass er eine ausführlichere Thematisierung verdient.

Das verblüffende Maß des kosmopolitischen Nach-unten-Tretens

Die Beschreibung bzw. Behauptung spezifischer exkludierender Praktiken auf Seiten kosmopolitischer Milieus bildet ein Kernmotiv des Buchs. Einigermaßen plausibel sind Beschreibungen, in denen es um „die wachsende sozialräumliche Polarisierung zwischen den von der urbanen akademischen Mittelschicht bewohnten postindustriellen Großstädten als Zentren und den übrigen Siedlungsgebieten (alte Industriestädte, Kleinstädte, Dörfer) als Peripherien“ (240) geht. Die Engführung von Raum und Sozialraum wäre eine eigene Diskussion wert, aber eine Aufwertung der Metropolen hat zweifelsohne stattgefunden, ohne dass ein Ende in Sicht wäre – und sie geht (zumindest in Relation betrachtet) mit einer kulturellen, symbolischen und teilweise auch ökonomischen[3] Abwertung der Provinz einher.

Die allgemeinere Aussage, „dass auch Kosmopoliten keineswegs uneingeschränkt ‚offen‘ sind, sondern exklusive oder sozial segregierte Räume bewohnen, die sie gegenüber anderen Gruppen abschließen“ (239), ist ebenfalls plausibel. Dieser Sachverhalt ist zwar soziologisch wenig überraschend – uneingeschränkte Offenheit ist nur selten anzutreffen. Weil es aber Milieus gibt, die die eigene exkludierende Praxis verdrängen und verleugnen, ist es dennoch wert, auf diese Exklusionen hinzuweisen.

Unplausibel wird es aber, wenn Koppetsch die Formen der kosmopolitischen Exklusion konkreter beschreibt – und zwar aus vier Gründen.

Erstens deutet sie im Buch mehrfach an, die kosmopolitischen Milieus erreichten ein bis dato ungekanntes Niveau der Exklusivität. Sie hätten entgegen dem von ihnen „selbst gepflegten Selbstbild, sozial inklusiv zu sein, ein historisch nahezu unübertroffenes Niveau an Exklusivität erlangt“ (225) und seien „weniger denn je bereit, ihre gesellschaftliche Macht mit den aufstrebenden Schichten zu teilen“ (219) – letztere Formulierung legt dabei sogar noch nahe, dass es sich um ein absichtsvolles Untenhalten der anderen handelt. Koppetschs Formulierungen bleiben vage genug, um nicht direkt widerlegt werden zu können („nahezu unübertroffen“). Gleichwohl ist diese Zuspitzung alles andere als plausibel, wenn man bedenkt, wie scharf die abgrenzenden Praktiken traditioneller bürgerlicher Eliten über Jahrzehnte hinweg waren – zumindest müsste die These einer neuen Qualität der Exklusion ausführlicher belegt werden, als Koppetsch dies tut (210-227).

Zweitens beschreibt Koppetsch immer wieder konkrete Praktiken der Exklusion, die in erster Linie erhebliches ökonomisches Kapital erfordern. Daher ist es nicht plausibel, dass wirklich große Teile der kosmopolitischen Milieus diese Praktiken überhaupt vollziehen – schon weil große Teile der Mittelschichten sich das gar nicht leisten können. Noch weniger plausibel ist, dass diese Praktiken für kosmopolitische Milieus spezifisch wären – es wäre ausgesprochen überraschend, wenn finanzstarke konservative Milieus auf solche Praktiken verzichteten. Dies gilt beispielsweise für die von Koppetsch wiederholt angeführte Nutzung von Elitekindergärten und Privatschulen. Eine solche Abgrenzungspraxis ist zwar gerade für Eltern attraktiv, die in noch nicht voll gentrifizierte, ergo sozial gemischte Viertel ziehen und ihre Kinder nicht mit denen der neuen Nachbar_innen in öffentliche Schulen schicken möchten – dies dürfte in erster Linie kosmopolitische Milieus in Koppetschs Sinne betreffen. Allerdings ist davon auszugehen, dass große Teile der urbanen kosmopolitischen Mittelschichten überhaupt nicht die ökonomischen Ressourcen haben, die für die Nutzung privater Bildungsinstitutionen erforderlich sind.[4] Zudem wäre auch umgekehrt plausibel, dass gerade traditionsverbundene, dezidiert nicht kosmopolitische Milieus – etwa solche der konservativen Oberschicht oder bestimmte christliche Gemeinschaften – verstärkt Privatschulen und Elitekindergärten nutzen.

Drittens schreibt Koppetsch den kosmopolitischen Milieus Praktiken zu, die kaum zu ihren sonstigen Beschreibungen des Kosmopolitismus passen. Dies gilt in gewissem Maße schon für Privatschulen, in besonderem Maße aber für die Assoziation zwischen Kosmopolitismus und Gated Cities oder Gated Communities, die Koppetsch herstellt. Sie gesteht zwar zu, dass solche Wohnformen in Europa bisher keine große Rolle spielen, deutet aber an, dass „dieser Trend“ zukünftig „auch in Europa verstärkt zu beobachten sein“ (194) könnte. Jedoch gelingt es ihr nicht, plausibel zu machen, dass diese Form der Abschottung etwas wäre, zu dem kosmopolitisch orientierte Milieus in besonderem Maße neigten. Nach allem, was sie sonst über Mauern und Grenzen schreibt, wäre es wesentlich näherliegend, dass eher konservative Ober- und Mittelschichten zu solch offensiver und militanter Abschottung neigen, während kosmopolitische Milieus weichere, unauffälligere Wege wählen.

Viertens ist auch die Schilderung der politischen Effekte dieser Exklusion alles andere als schlüssig. So mutmaßt Koppetsch, dass die „einheimischen Kosmopoliten“ sich deswegen „für gewöhnlich nicht von Migranten irritieren lassen“, weil „gering qualifizierte Migranten“ in ihren „privilegierten Quartieren gar nicht erst“ vorkämen. „Für Kosmopoliten in Berliner Bezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg oder im Hamburger Schanzenviertel, die zumeist über exklusive Lebensräume und höhere Gehälter verfügen, besitzen fremdenfeindliche Anwandlungen schlicht keine lebensweltliche Grundlage“ (245). Diese These ist gleich doppelt fragwürdig: Zum einen wird damit vorausgesetzt, dass „lebensweltliche Grundlagen“ eine Bedingung für „fremdenfeindliche Anwandlungen“ seien – obwohl auch weite Teile der AfD-wählenden Milieus gar nicht in besonderem Maße mit „gering qualifizierten Migranten“ zu tun haben, wie Koppetsch an anderer Stelle im Buch auch selbst weiß. Zum anderen ist wiederum davon auszugehen, dass nur Teile der kosmopolitischen Milieus in Quartieren leben, die sie von „gering qualifizierten Migranten“ isolieren – denn einige dieser Milieus teilen sich mit letzteren ganze Straßenzüge in Kreuzberg, Neukölln, Köln-Kalk usw. Dass diese weniger wohlhabenden kosmopolitischen Milieus in höherem Maße „fremdenfeindlich“ wären als durch Wohlstand isolierte kosmopolitische Milieus, ist weder selbstverständlich noch nennt Koppetsch entsprechende empirische Evidenz. Somit ist die von ihr behauptete kausale Verknüpfung nicht überzeugend.[5]

Als Bösewicht erscheint der Kosmopolitismus also nur durch eine Darstellung, die unauffällig zwischen verschiedenen Bedeutungsdimensionen des Begriffs sowie zwischen verschiedenen sozialstrukturellen Verortungen der entsprechenden Milieus hin- und hergleitet. So weiß man nach der Lektüre des Buches nicht, ob in Berlin nun eher 20.000, 200.000 oder 2.000.000 Kosmopolit_innen in Koppetschs Sinne leben. Nur durch diese Manöver und die Ergänzung durch einige mindestens gewagte Thesen verdichtet sich das Bild eines sozial oben stehenden und selbstverliebt blind nach unten tretenden Kosmopolitismus.

Wohlgemerkt: Ich hege keinen Zweifel daran, dass die von Koppetsch beschriebenen exkludierenden Praktiken vollzogen werden. Ich hege auch keinen Zweifel daran, dass diejenigen kosmopolitischen Milieus, die es sich leisten können, daran beteiligt sind. Zweifel sind jedoch angebracht, wenn diese exkludierenden Praktiken in einen erklärenden Zusammenhang mit rechtspopulistischer Mobilisierung gebracht werden – und genau dies geschieht in Gesellschaft des Zorns. Die exkludierenden Praktiken werden vollzogen; sie sind aber kein spezifisches Mittel liberal-kosmopolitischer Milieus im „Klassenkampf“ gegen konservative Milieus, die sich zur Gegenwehr rechtspopulistisch mobilisieren lassen. Sie sind allgemeiner ein Mittel ökonomisch starker Milieus gegen ökonomisch schwächere – entsprechend ist davon auszugehen, dass rechtspopulistisch wählende und kosmopolitische Werte vertretende Gruppen in diesem Kampf auf beiden Seiten vertreten sind. Sozial exklusive Wohnlagen und Privatschulen gibt es nicht nur in kosmopolitisch geprägten Vierteln von Metropolen, sondern auch in ihren konservativ-bürgerlichen Vierteln, in Mittelstädten und in ländlichen Regionen. In ihnen wohnen nicht nur Kosmopolit_innen, sondern auch Konservative.

Eine sachlich angemessene Darstellung müsste den Kosmopolitismus im Allgemeinen und die Beteiligung kosmopolitischer Milieus an exkludierenden Praktiken differenzierter betrachten und empirisch stärker unterfüttert sein – eine solche Betrachtung lieferte am Ende vermutlich deutlich weniger schmissige Thesen.

Die verstörende Ähnlichkeit zwischen den Thesen Gaulands und Koppetschs

Diese einseitigen Zuspitzungen in Koppetschs Polemik gegen den Kosmopolitismus sind aber nur die eine Hälfte des Problems. Die andere besteht darin, dass sich diese Darstellung aufgrund ihrer Zuspitzung als anschlussfähig an rechtspopulistische Diskurse erweist.

So hielt Alexander Gauland im Januar 2019 im neurechten Institut für Staatspolitik in Schnellroda eine Rede, die Koppetschs Analyse über weite Strecken stark ähnelt. Gauland bezieht sich dabei in erster Linie auf David Goodharts Unterscheidung zwischen ortsgebundenen Somewheres und kosmopolitischen Anywheres, die Koppetsch ebenfalls aufnimmt (102). Wie Koppetsch hält er an einigen Stellen fest, dass der Rechtspopulismus eine Klassenkoalition vertrete, die sowohl mittelständische Unternehmer_innen als auch ortsgebundene Teile der Mittelschicht als auch Arbeiter_innen vereine. Und wie Koppetsch gleitet er an anderen Stellen unauffällig doch in einen Diskurs hinüber, demzufolge im Rechtspopulismus ein soziales Unten gegen eine kosmopolitische Elite kämpfe. Wie bei Koppetsch wird das bei ihm dadurch ermöglicht, dass er die Beschreibung der Kosmopolit_innen vage und flexibel hält, mal von Sozialarbeiter_innen, mal von Manager_innen spricht, als sei dies dasselbe.

Es geht hier nicht darum, Koppetsch durch ein Guilt-by-association-Argument zur Rechtspopulistin zu deklarieren – wie eingangs dargestellt, beschreibt sie den Rechtspopulismus unmissverständlich als Gefahr. Zudem ruft Gauland in seiner Rede diverse antisemitische und rassistische Codes auf, was in Koppetschs Buch nicht geschieht. Auch wird eine soziologische Analyse nicht dadurch falsch, dass ein Rechtspopulist sie teilt – meine Zweifel an Koppetschs Darstellung haben ihre Gründe, wie oben dargelegt, in der Sache, nicht in der teilweisen Übereinstimmung mit Gauland.

Wenn aber eine soziologische Analyse der Ursachen rechtspopulistischer Erfolge deutlich verzerrt und überspitzt und sich durch diese Verzerrungen und Überspitzungen im Einklang mit rechtspopulistischer Feindbildkonstruktion befindet, ist das ein Problem. Denn damit wird nicht nur rechte Ideologie wissenschaftlich legitimiert, sondern auch ein delegitimierendes Zerrbild ihres politischen Gegners produziert.

Wohlwollende Lektüre 1: Handelt es sich um eine ethnographische Rekonstruktion rechtspopulistischen Bewusstseins?

Es gibt zwei Arten, auf die man versuchen könnte, Koppetschs Darstellung zu retten. Zum einen könnte man vermuten, dass sie an den oben monierten Stellen gar nicht den Anspruch erhebt, soziale Realität zu beschreiben, sondern in quasi-ethnographischer Weise die Weltsicht des Rechtspopulismus wiedergibt. Wäre das der Fall, hätte sie eine treffende Darstellung vorgelegt – dies zeigt sich gerade darin, dass ein rechter Ideologe wie Gauland ähnlich argumentiert. Damit würde Koppetschs Darstellung sich in eine Reihe von Ethnographien der Rechten einfügen, die insbesondere für die USA vorliegen. Die prominentesten sind Arlie Hochschilds Strangers in their own Land und Katherine Cramers The Politics of Resentment, die Koppetsch auch beide wohlwollend zitiert (155).

Koppetsch gibt – erst in der Danksagung auf der letzten Seite (!) – auch selbst an, biographische Interviews mit Anhänger_innen rechtspopulistischer Parteien und Diskussionen mit „Bekannten aus der AfD“ (259) geführt zu haben. Einige der Sätze deuten darauf hin, dass die entsprechenden Beschreibungen der Arroganz kosmopolitischer Milieus aus der Sicht von Unterstützer_innen des Rechtspopulismus formuliert sind: „Aus dem kollektiven Wissen, von den Privilegierten ausgetrickst, übergangen oder gar ausgenutzt worden zu sein, bezieht die Gruppe [der Rechten] nun ihr Gefühl der moralischen Überlegenheit“ (156). Ebenfalls als ethnographisch-empathische Rekonstruktion erscheint die Formulierung, nach der die Haltung der Liberalen „vielleicht noch hinzunehmen“ wäre, „wenn nicht gleichzeitig sichtbar würde, dass dieselben Milieus, die für Offenheit und Toleranz eintreten, sich […] nach unten abschließen“ (125).

Jedoch geht es Koppetsch erklärtermaßen nicht um eine bloße ethnographische Rekonstruktion rechtspopulistischer Weltbilder, sondern auch darum „die Narrative der rechten Protestparteien auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen“ (33). Wenn dann, wie oben zitiert, zahlreiche Beschreibungen kosmopolitischer Milieus und ihrer exkludierenden Praktiken ohne Hinweise auf Distanzierung im Indikativ formuliert sind, ist davon auszugehen, dass sie mit dem Anspruch vorgebracht werden, soziale Realität abzubilden. Wollte man mit den Beschreibungen kosmopolitischer Milieus nur die Sicht rechter Milieus rekonstruieren, zöge man dabei wohl auch nicht Norbert Elias heran. Interpretiert man die überspitzten Polemiken gegen den Kosmopolitismus als bloße ethnographische Rekonstruktion rechter Weltdeutungen, wäre das entsprechend eine ausgesprochen wohlwollende Deutung – und sie müsste immer noch mit der Kritik einhergehen, dass zahlreiche Abschnitte fahrlässig formuliert wären.

Wohlwollende Lektüre 2: Handelt es sich um eine pädagogisch-polemische Intervention?

Plausibler ist eine zweite wohlwollende Interpretation: Koppetsch weiß sehr gut, dass ihre Darstellung des liberalen Kosmopolitismus stark überspitzt ist. Weil sie aber davon ausgeht, dass ihre Leser_innen zum allergrößten Teil eben diesen Milieus angehören, sind die Überspitzungen bewusst polemisch und gewissermaßen pädagogisch: Sie hält den liberal-kosmopolitischen Milieus einen Zerrspiegel vor Augen, der die Makel in ihrem Gesicht besonders sichtbar werden lässt.

Eine solche Interpretation ist durchaus konsistent mit dem was Koppetsch über diese Milieus schreibt: Einer ihrer Hauptvorwürfe lautet, dass die liberalen Kosmopolit_innen sich selbst für moralisch einwandfrei und offen hielten, de facto aber einen scharfen Klassenkampf nach unten führten (35, 81, 123). Diesem Personenkreis nun durch Überspitzungen vor Augen zu führen, wie verfehlt dieses Selbstbild ist, scheint eine plausible Praxis zu sein.

Es kann entsprechend gut sein, dass Koppetsch mit den Darstellungen des Kosmopolitismus in Gesellschaft des Zorns ein polemisch-pädagogisches Projekt verfolgt. Mir scheint eine solche Strategie aber aus drei Gründen verfehlt: Erstens, weil die Polemik gegen diese Gruppen und ihre Selbstgerechtigkeit ohnedies sehr laut und sehr etabliert ist, und zwar nicht nur in rechtspopulistischen Kontexten, sondern auch im Mainstream von Alltagsdiskurs und Feuilleton. Einige Motive sind so verbreitet, dass sie selbst schon zu kulturellen Klischees geworden sind – im Prenzlauer Berg Latte Macchiato schlürfen, mit dem SUV zum Ökoladen fahren etc. Wenn ein Diskurs schon allgegenwärtiges Klischee ist, bedarf er keiner polemisch-pädagogischen Verstärkung von soziologischer Seite. Zweitens bedarf es der Überspitzung auch deshalb nicht, weil ohnehin eine liberale Freude an der Selbstgeißelung vorherrscht. Teile der liberalen und linken Milieus sind sehr engagiert dabei, wenn es darum geht, die eigenen Verfehlungen anzuklagen und als Ursache für den Aufstieg der Rechten zu benennen – vor allem, wenn man diese „eigenen Verfehlungen“ dabei dann doch wieder als die Folge linker oder „identitätspolitischer“ Übertreibungen kennzeichnen kann, auf die man eigentlich noch nie Lust hatte. Drittens schließlich wäre eine solche polemische Strategie nur sinnvoll, wenn wirklich wie von Koppetsch behauptet eine liberal-kosmopolitische Hegemonie bestünde – woran gezweifelt werden darf.

Bevor ich aber in Teil IV die Frage diskutiere, inwieweit von einer Hegemonie des liberalen Kosmopolitismus gesprochen werden kann, geht Philipp Rhein in Teil III intensiver auf Koppetschs sozialtheoretische Modellierung der Verschiebungen ein, die ihrer Darstellung nach dem Rechtspopulismus zugrunde liegen.


[1] Derlei empathische Verständnis für Anakin Skywalker können freilich nur ein paar 4chan-Incels aufbringen, aber immerhin.

[2] Diese Darstellung ist zwar insofern paradox, als dezidiert globalisierungskritischer Protest in westlichen Ländern eher von Milieus getragen wurde, die in Koppetschs Darstellung dem Kosmopolitismus zuzurechnen sind. Aber dies ließe sich auflösen, wenn man den Begriff der Globalisierung und die Ziele der jeweiligen Proteste genauer betrachtet.

[3] Von einer großen ökonomischen Abwertung kann in Bezug auf zahlreiche Mittelstädte und ländliche Gegenden insbesondere im Süden Deutschlands nur bedingt die Rede sein.

[4] Die Methode der Wahl dürfte dann eher darin bestehen, die eigenen Kinder auf eine öffentliche Schule in einem anderen, sozial homogenere und bessergestellten Viertel zu schicken.

[5] Einige Formulierungen in diesem Abschnitt wurden nach dahingehender Kritik angepasst. Die ursprüngliche Formulierung, die ich zurückziehen möchte, lautete:
„Viertens ist auch die Schilderung der politischen Effekte dieser Exklusion alles andere als schlüssig. So mutmaßt Koppetsch, dass die ‚einheimischen Kosmopoliten‘ sich vor allem deswegen ‚für gewöhnlich nicht von Migranten irritieren lassen‘, weil ‚gering qualifizierte Migranten‘ in ihren ‚privilegierten Quartieren gar nicht erst‘ vorkämen. ‚Für Kosmopoliten in Berliner Bezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg oder im Hamburger Schanzenviertel, die zumeist über exklusive Lebensräume und höhere Gehälter verfügen, besitzen fremdenfeindliche Anwandlungen schlicht keine lebensweltliche Grundlage‘ (245). Diese These ist gleich doppelt fragwürdig: Zum einen wird damit vorausgesetzt, dass ‚fremdenfeindliche Anwandlungen‘ in der Regel auf einer lebensweltlichen Grundlagen fußten – obwohl auch weite Teile der AfD wählenden Milieus gar nicht in besonderem Maße mit ‚gering qualifizierten Migranten‘ zu tun haben. Zum anderen ist wiederum davon auszugehen, dass nur Teile der kosmopolitischen Milieus in Quartieren leben, die sie von ‚gering qualifizierten Migranten‘ isolieren – denn einige dieser Milieus teilen sich mit letzteren ganze Straßenzüge in Kreuzberg, Neukölln, Köln-Kalk usw. Somit ist die von Koppetsch behauptete Kausalität nicht überzeugend.“