Care – das ewig gleiche Lied?

Die einen sagen, es war früher vieles besser in Familien – Beziehungen waren verlässlicher, Ehen wurden seltener geschieden, es gab mehr gemeinsame Zeiten, Eltern und Kinder standen nicht so unter Leistungsdruck, der Alltag war weniger kompliziert. Und das stimmt auch irgendwie. Aber nur irgendwie, denn ebenso stimmt das Gegenteil. Wer will schon bestreiten, dass früher vieles auch schlechter war, von der medizinischen Versorgung der Säuglinge bis zur extremen ökonomischen Abhängigkeit der Frauen (die in der Folge in längst gescheiterten Ehen ausharren mussten)? Gemeinsame Anwesenheit in einem Haushalt bedeutete noch lange keine Zuwendung, und Gewalt gegen Kinder und Frauen waren nicht nur verbreitet, sondern rechtens. Zudem galt noch vor kurzem: Wer nicht traditionellen Mustern des privaten Lebens entsprach, wurde gesellschaftlich geächtet. Die Wortwahl sagt schon vieles – noch vor wenigen Jahrzehnten sah man herab auf ‚gefallene Mädchen‘ mit ihren ‚Bankerts‘ ebenso wie auf die ‚Scheidungswaisen‘ in den ‚unvollständigen Familien‘ bis hin zu den ‚Schlüsselkindern‘ der berufstätigen ‚Rabenmütter‘ . Von homosexuellen Verbindungen ganz zu schweigen – § 175 StGB wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.

Besser oder schlechter als früher – darüber lässt sich also trefflich streiten, je nachdem, welchen Aspekt von Familie man in den Blick nimmt und was man unter „früher“ jeweils versteht. Aber wie so häufig, wenn sich Einschätzungen diametral gegenüberstehen, sind die scheinbar konträren Positionen verbunden durch eine zentrale Gemeinsamkeit – hier die Annahme, dass Familie auf gar keinen Fall so geblieben ist, wie sie einmal war.

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Was wäre aber, wenn man den Blick umdreht und annimmt, dass sich vieles, und dabei sehr Wesentliches gar nicht verändert hat? Etliche der Probleme, die im Zusammenhang mit Familie heute manifest werden, könnten nämlich genau damit zusammenhängen, was gleich bleibt, obwohl sich doch so manches im Umfeld gewandelt hat. Zum Beispiel, dass Babys, Kleinkinder, kranke und pflegebedürftige Angehörige und Familienmitglieder mit Behinderungen wie eh und je auf andere angewiesen sind, die sich um sie kümmern (was auch immer dieses Kümmern jeweils historisch-konkret bedeuten mag).

Es gilt auch – schon lange und bis auf weiteres -, dass private Sorge zeitlich potentiell keine Grenzen kennt. Care für Angehörige, die auf Andere angewiesen sind, kann und muss oft rund um die Uhr stattfinden, zumindest, wenn diese nicht größeren Schaden an Leib und Seele nehmen sollen. Vieles, was für sie zu tun ist– z.B. pflegen, trösten, troubleshooting -, lässt sich auch nicht auf einzelne klar vorhersehbare Handgriffe reduzieren, die man vorab durchdenken und eindeutig planen könnte. Das bedeutet: Wer sich den familialen Sorgeschuh verantwortlich anzieht für diejenigen, die nicht selbst für sich sorgen können, hat nie garantiert „frei“. Was zu tun ist, ist oft ebenso reaktiv wie unspezifisch; es kann immer etwas anfallen, und dann muss es eben auch möglichst sofort getan werden.

Aber wer kann heute uneingeschränkt für andere Menschen zur Verfügung stehen? Wer will das? Wer darf das? Und um welchen Preis? Dass familiale Sorgearbeit viele Probleme aufwirft (neben manchen Freuden, die sie bringt), fällt inzwischen nicht nur feministischen Sozialwissenschaftlerinnen auf; derzeit wird das neue Buch von Anne-Marie Slaughter dazu heftig diskutiert (hier die Rezension in der SZ).

Wir haben bei der Debatte um das Buch von Slaughter ein zwiespältiges Déjà-vu-Gefühl, denn nach mehreren Jahrzehnten Teilnahme an öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten zum Thema Care kommt uns Etliches recht bekannt vor. Und vielleicht sollte man einige der vielen klugen älteren Publikationen nochmal in die Hand nehmen, bevor das Rad neu erfunden wird…. (z. B. Ostner, Beck-Gernsheim, Kontos/Walser, Duden über den klassischen Text von Bock/Duden, Oakley, Esping-Andersen).

Denn irritierend ist, dass neben den prinzipiellen Erfordernissen privater Sorge auch bislang ziemlich gleich bleibt, wie manche heute vorgebrachten Forderungen formuliert werden – z.B. die nach dem equal care day. Im Kern ist das nicht anders als vor 40 Jahren. Bereits damals wurde z.B. vorgeschlagen, das Ehegattensplitting abzuschaffen, das aber alle politischen Machtkonstellationen seither unbeschadet überlebt hat. Dass manche durchaus berechtigte Forderung politisch offensichtlich nicht umsetzbar ist, ist auch so etwas, was (zumindest gefühlt) ewig gleich bleibt.

Ziemlich absurd finden wir auf jeden Fall, die Diskussion um equal care 2016 noch so zu rahmen wie in den 1970er Jahren, als ginge es nur um die Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern. Wenn auch, das sei gleich hinzugefügt, sich auch hier nicht so schrecklich viel geändert hat. Topaktuelle Daten des DJI-Surveys „AID:A“ (Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten) belegen, dass tatsächlich nur 5,3% der befragten (heterosexuellen) Paare mit Kindern unter 17 Jahren genau gleich lang erwerbstätig sind, und bei gleich langen Arbeitszeiten dann nur 12% der Paare die Hausarbeit gleich verteilen, bei der Kinderbetreuung tun dies immerhin 34% (siehe hier). Von der Leitidee der „partnerschaftlichen Arbeitsteilung“, die Familien- und Frauenministerin Manuela Schwesig formuliert, sind wir also auch 2016 noch sehr weit entfernt.

Dennoch: Heute müssen wir komplexer argumentieren. Denn inzwischen wissen wir, dass Care – ob equal oder unequal – nicht nur heterosexuelle Elternpaare betrifft, die an einem Ort zusammenleben. Das ist zwar die Zielgruppe, auf die nach wie vor die meisten politischen Maßnahmen abzielen. In immer mehr Haushalten gibt es aber im Alltag keinen Partner, mit dem Arbeit geteilt werden könnte, weil z.B. eine(r) pendelt oder gar kein Partner vorhanden ist, mit dem Alleinerziehende Care-Arbeit gerecht oder ungerecht verteilen könnten. Oft wird Familienarbeit nicht so sehr zwischen dem berufstätigen Elternpaar umverteilt, sondern an Großmütter (und manchmal auch Großväter) oder – abhängig vom Einkommen – an Au-pairs oder Babysitter abgegeben. In etlichen Paarhaushalten (aber auch in einigen studentischen Wohngemeinschaften, die sich das erlauben können) hält man sich Konflikte um die Verteilung häuslicher Arbeit vom Hals und stellt eine Putzfrau ein. In anderen Haushalten, etwa in denen vieler älterer Menschen, geht es weder um Konfliktmanagement noch um Gleichheit, sondern schlicht darum, dass andere die häusliche Arbeit erledigen, die man selbst körperlich nicht mehr schafft – bis hin zur Pflege rund um die Uhr. Es sind also viele Motive am Werk und recht verschiedene Akteurinnen und (noch immer selten) Akteure, die Familienarbeit verrichten und viele Ebenen von Gerechtigkeit und Gleichheit spielen eine Rolle, wenn das Ziel equal care lautet. Was bleibt: Irgendjemand wird immer Care-Arbeit verrichten müssen. Zugespitzt muss man heute wohl eher fragen, woher, d.h. aus welcher Schicht und aus welchem Land, das Arbeitskräftepotenzial für bestimmte Care-Aufgaben kommen könnte und sollte, wenn nicht nur die Männer, sondern auch die zunehmend erwerbstätigen Frauen in Deutschland, zumindest die der Mittel- und Oberschicht, weniger übernehmen können oder wollen. Mit den Daten der neuesten Zeitbudgetstudie zeigt sich eine wichtige Differenzierung: Die Zeiten von Frauen für Hausarbeit nehmen im Durchschnitt ab, die von Müttern und Vätern für Kinder zu, trotz gleichzeitig steigender Erwerbsarbeitszeit. Deutlich werden also unterschiedliche Wertigkeiten der einzelnen Care-Bereiche.

 

Dabei ist die anhaltende Trivialisierung von Care und die Abwertung der Menschen, die Care zu ihrer Hauptaufgabe machen, sei es nun beruflich oder privat, auch so eine Konstante. Zumindest dann, wenn für Care-Arbeit in den privaten Haushalten bezahlt wird, sind es wie eh und je eher gesellschaftliche ‚Verliererinnen‘, die dann auf der häuslichen Matte stehen. Seit dem Fall der Berliner Mauer sind diese oft Frauen aus Osteuropa, deren Arbeitsplätze in ihrer Heimat verschwunden sind oder die dort zu wenig verdienen, obwohl sie häufig gut ausgebildet sind. Die ‚Polin für Opa‘ ist nicht so selten eine Ingenieurin, deren Fabrik geschlossen wurde. In der häuslichen Pflege rund um die Uhr trifft man auch die pensionierte Lehrerin aus Ungarn, deren Rente hinten und vorne nicht ausreicht ebenso wie die rumänische Krankenpflegerin, die in einem privaten Haushalt in Deutschland das Vielfache ihres Gehaltes in der Heimat verdienen kann. Wanderungsbewegungen, auch transnationale, sind im Zusammenhang mit häuslicher Arbeit gegen Bezahlung übrigens ebenfalls nicht neu, obwohl sich im Detail wandelt, wer von wo nach wo migriert.

Obwohl sich unsere Lebenswelt und unsere Lebensführungen in mancherlei Hinsicht radikal verändert haben, bleiben viele Care-Aufgaben von und Anforderungen in Familien konstant. Aber etliche Strukturen der Wirtschaft und der Sozialpolitik tragen im Zusammenhang mit Care weiterhin die Handschrift der Ära Bismarck: Sie sind für das 21. Jahrhundert ungefähr so zeitgemäß wie die damaligen Krinolinen. Daran ändern auch der Ausbau der Kindertagesbetreuung und die zaghaften Reformen im Pflegebereich ebenso wenig wie etliche Unterschiede zwischen den Care-Bereichen Pflege, Kinderbetreuung und Hausarbeit. Die aktuelle Care-Krise, die inzwischen vielerorts zu Tage tritt (Beispiele Elternburnout, Stress pflegender Angehöriger und kranke Mütter und Kinder) ist damit vorprogrammiert.

Damit das nicht alles ewig das gleiche Lied bleibt, haben Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz das Care-Manifest in die Welt gesetzt, das inzwischen über 1200 Personen unterschrieben haben. Wer es noch nicht kennt, findet es hier.

 

Die Autorinnen:

Dr. Karin Jurczyk ist Soziologin und Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut e.V., München. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Arbeit, Care, Gender, Lebensführung, Doing Family, Zeit, und Politiken. Bei ForGenderCare arbeitet sie zu ‚Care-Praxen von Vätern in Bayern: Fürsorgeverhalten und Paardynamiken bei der Nutzung des Elterngeldes‘.

Prof. Dr. Maria S. Rerrich, geb. 1952, lehrt seit 1993 Soziologie an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München. Seit langem beschäftigt sie sich mit Fragen von alltäglicher Lebensführung, sozialer Ungleichheit, Geschlecht und Familie sowie mit der Globalisierung des privaten Haushalts und ihren Folgen. Im Forschungsverbund ForGenderCare erforscht sie ‚Care aus der Haushaltsperspektive – das Beispiel Pflege alter Menschen in der Großstadt‘.

Karin Jurczyk und Maria Rerrich  sind Mitinitiatorinnen des Care-Manifests.

Autor: ForGenderCare

Der Forschungsverbund ForGenderCare untersucht den Zusammenhang von Gender (Geschlecht) und Care (Fürsorge) theoretisch wie empirisch vor einem interdisziplinären Horizont. Dem bayerischen Forschungsverbund ForGenderCare gehören 12 Projekte an unterschiedlichen Forschungsstandorten in ganz Bayern an. Die Sprecherinnen des Verbunds ForGenderCare sind Prof. Dr. Barbara Thiessen (HAW Landshut) und Prof. Dr. Paula-Irene Villa (LMU München). Die LMU München ist Sprecheruniversität des Verbundes, die Geschäftsstelle ist dem Lehrstuhl Prof. Villa an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der LMU zugeordnet. Der Verbund wird gefördert durch das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und gehört dem der Bayerischen Forschungsallianz BayFor an.

Ein Gedanke zu „Care – das ewig gleiche Lied?“

  1. Liebe Bloggerinnen,

    die blaue Schrift auf dem aggressiv-roten Hintergrund ist so schwer lesbar, dass wohl nicht nur ich den Beitrag nicht zu Ende gelesen habe! Zumindest Abends ist es ungeniessbar.

    Ansonsten freue ich mich, dass Ihr so aktiv nach aussen geht!

    Viele Grüsse Helga

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