Machen Mixed Methods Sinn?

Im letzten Blog habe ich versucht, sehr allgemeine Entwicklungen der qualitativen Soziologie zu beschreiben, die in den letzten Jahrzehnten zu beobachten sind. Eine dieser (bedeutsamen) Entwicklungen ist die projekt- und fragenspezifische Verbindung mit den quantitativen Methoden (Mixed Methods) – gegen die es erst einmal nichts zu sagen gibt.

Ohne Zweifel macht es Sinn, quantitative mit qualitativen Verfahren (vice versa) zu verbinden, wenn Forschungsfrage und Forschungsziel das rechtfertigen. Denn vieles ist beiden Forschungsstrategien gemein. Bei beiden Strategien arbeiten Forscher und Forscherinnen offen, kommunikativ, flexibel, intersubjektiv und reproduzierbar – oft auch miteinander. In beiden Strategien gibt es Forscher/innen, die sich auf Aussagen über Zusammenhänge kleiner Reichweite beschränken, und andere, die zudem noch Zusammenhänge mittlerer und großer Reichweite erfassen und erklären wollen. In beiden Strategien finden sich Forscher/innen, welche die Mikroperspektive, und andere, welche die Makroperspektive bevorzugen. Manchmal liefern bei Forschungsarbeiten die Quantitativen die Hypothesen, manchmal tun das die Qualitativen, und manchmal überprüfen die Quantitativen und manchmal tun das die Qualitativen.

Und natürlich ruht jede quantitative Untersuchung einer qualitativen Basis auf und natürlich muss sie im Verlauf der Arbeit immer wieder interpretieren – weshalb in quantitativen Untersuchungen immer und notwendigerweise mit den Prämissen qualitativer Forschung gearbeitet wird. Und ebenso natürlich ruht jede qualitative Untersuchung einer quantitativen Basis auf (z.B. dann, wenn sie ‚Normalität’ bestimmen will) und natürlich muss sie im Verlauf der Arbeit immer wieder die Relevanz, die Wichtigkeit, die Häufigkeit ‚intuitiv’ ermitteln – weshalb in qualitativen Untersuchungen immer und notwendigerweise mit den Prämissen quantitativer Forschung gearbeitet wird.

In der konkreten Forschung durchdringen sich also das Feststellen von Häufigkeiten und die Ausdeutung von Sachverhalten notwendigerweise –  und zwar in jeder Phase der Forschung. Es gibt sie also nicht, die klare Trennung zwischen der quantitativen und qualitativen Forschung entlang von bestimmten Merkmalen, Phasen, Perspektiven oder Reichenweitenanspruch. Gründe genug, darauf zu hoffen, dass es auch eine echte Verbindung der beiden Methodenverständnisse geben könnte.

Was die beiden Forschungsrichtungen allerdings trennt, das ist der Umstand, dass jede Richtung eine eigene Kultur besitzt und dass diese Kulturen nicht so viele inhaltliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Das gilt insbesondere, wenn man unter ‚Kultur’ jenen ‚Bedeutungsrahmen versteht, in dem Ereignisse, Dinge, Handlungen, Motive, Institutionen und gesellschaftliche Prozesse dem Verstehen zugänglich, verständlich beschreibbar und darstellbar sind’ (H.-G. Soeffner). Obwohl manche sprachlichen Formulierungen ähnlich klingen, ist eine Reise von der qualitativen Forschung zur quantitativen nicht mit einer Reise von Dortmund nach Essen, sondern mit einer von Dortmund nach Detroit zu vergleichen: Ein Ozean trennt die beiden Kulturen – um eine alte Idee und Metaphorik von Snow aufzugreifen. Quantitative und qualitative Forschung sind nicht nur durch die Methoden getrennt, sondern vor allem und wesentlich: durch die Kultur, deren Ausdruck die Methoden sind. Das sollte man nicht übersehen.

Deshalb ist es sinnvoll, vor jeder Kombination der Methoden erst einmal prüfen, wann ein Methodenmix (im Hinblick auf Erkenntnisgewinns) wirklich fruchtbar ist.

3 Gedanken zu „Machen Mixed Methods Sinn?“

  1. Lieber Jo,

    ich stimme Dir vollkommen zu, dass man vor jeder Kombination der Methoden erst einmal prüfen solte, wann ein Methodenmix (im Hinblick auf Erkenntnisgewinns) wirklich fruchtbar ist und würde sogar noch weiter gehen: Warum sich mehr Arbeit machen als erforderlich, wenn das gar nicht nötig ist? Der Sinn der Methoden ist ja nicht nur, über den Erkenntnisprozess zu reflektieren und ihn im Hinblick auf die Qualität der Ergebnisse möglichst gut zu gestalten, sondern auch zu überlegen, wie man angesichts begrenzter Zeit und Mittel schnellstmöglich und mit minimalem Aufwand Antworten auf die erwünschten Fragen bekommt.

    Gerade aus dieser eher pragmatischen Perspektive möchte ich ergänzen, dsss einem manchmal nichts Anderes übrig bleibt, als verschiedene Methoden zu kombinieren, und zwar weil das Problem die Daten sind. Gerade in der Wirtschaftssoziologie oder bei Fragen nach langfristigem sozialem Wandel wird das besonders deutlich – man muss sozusagen nehmen, was man bekommt, und dann im Zweifelsfall mixen.

    Auch hinsichtlich der unterschiedlichen Forschungskulturen stimme ich Dir (teilweise) zu – die Übergänge sind sehr fließend. Das ist außerdem m.E. kein wirklicher Hinderungsgrund, sondern eher ein Problem der Ausbildung. Wir haben in Berlin jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass – wenn man Studierende ncht zwingt, sich zu entscheiden – sie relativ problemlos zwischen den Perspektiven hin- und herwechseln.

    Herzlich,
    Nina

    1. Hallo Herr Professor,

      es wird wohl unwahrscheinlich sein, (noch) eine (eventuell sogar öffentliche) Antwort auf folgende Frage zu erhalten. Trotzdem ein Versuch.
      Ich habe mich mit Ihren diversen Blogs u. den Publikationen beschäftigt, die Sie auf Ihrer Uni-Homepage eingestellt haben, da ich mich aus studentischer Motivation mit der Dokumentarischen Methode beschäftigte u. nach kritischen Positionen suchte … Soweit ich informiert bin, sagen Sie es nie explizit, aber letztendlich vereinigt doch gerade diese Methode mit ihrem Methoden-Mix bzw. -Triangulation (u. den z.T. fragwürdigen epistemologischen Übernahmen aus Karl Mannheims kultur- u. wissenssoz. Arbeiten) alle „negativen“ Eigenschaften, die qual. Methoden zum Vorwurf gemacht werden (können)?

      Besten Dank u. herzlichen Gruß
      Marius Wettin

      1. Sehr geehrter Herr Wettin,

        ob wohl ich nicht alle Auffassungen der Dokumentarischen Methoden teile (vor allem wenn es um die Analyse von Bildern geht), sehe ich doch keine Grund, weshalb diese Methode alle „negativen Eigenschaften“ vereinen soll. Das Gegenteil ist richtig: Die Dokumentarische Methode reflektiert ihr Vorgehen sehr sorgfältig.

        Herzlich

        Ihr
        Jo Reichertz

Kommentare sind geschlossen.