Das Schöne an Blogs ist, dass sie kommunikative Freiräume generieren. Weder Thema, Stil noch Zeichenlänge sind vorbestimmt. Ich kann also schreiben, was und wie ich es will in den kommenden zwei Monaten, in denen ich den SozBlog bespielen darf. Ich muss mich nicht mit rigiden Formatrichtlinien herumschlagen. Kein Verlag und keine Deadlines sitzen mir im Nacken. Einzig das imaginierte Publikum bildet ein Korrektiv, das mein Schreiben in gewisse Bahnen lenkt. Wen dieser Blog tatsächlich erreicht und wie er aufgenommen wird, ist unklar. Das ist und war auch bei gedruckten Publikationen nicht anders. Der Unterschied liegt vielmehr in dem Hervortreten der Person hinter dem Text und der Möglichkeit, mit ihr direkt ins Gespräch zu kommen. Die Haltung der eigenen Fachcommunity Blogs und anderen sozialen Medien gegenüber scheint insgesamt bislang eher zurückhaltend bis skeptisch. Warum eigentlich?
Komm! ins Offene [i]
Mit der Selbstpublikation verlässt man als Wissenschaftlerin den vertrauten Pfad einer Qualitätskontrolle vor der Veröffentlichung und verliert damit auch ein Stück Sicherheit. Es gibt keine Redaktion, die über die Publikationswürdigkeit eines Beitrags auf Basis von Gutachten entscheidet und über die erforderlichen Korrekturen wacht. Die Verantwortung für die nachfolgenden Texte liegt somit ganz allein bei mir; das macht bereits der Teaser des SozBlogs deutlich, bei dem sich die DGS schon mal vorsorglich von den Meinungen ihrer Autorinnen distanziert, ja, distanzieren muss. Wenn ich also nicht meinen eigenen Blog nutze, sondern für den DGS-Blog schreibe, prägt dies auch das eigene Schreibverhalten in Form von Erwartungserwartungen. Dabei sollte es in einem Blog, auch wenn er von einer Fachgesellschaft betrieben wird, nicht darum gehen, die etablierten Schreibpraktiken im Fach einfach nur zu übertragen, das würde dem ‚neuen‘ Medium nicht gerecht. Im Wissenschaftsblog sollte es aber umgekehrt auch nicht um Privatmeinungen, Gefühle oder solche Erlebnisse gehen, die ganz andere Rollen betreffen. Inhaltlich muss in einem Wissenschaftsblog der Bezug zur Forschung gegeben sein, stilistisch darf es auch ruhig persönlicher werden. Die Gratwanderung beim Schreiben besteht somit darin, zwischen formaler und informeller Kommunikation eine individuelle Handschrift zu entwickeln, die zumindest einige Leserinnen, die an Soziologie interessiert sind, zeitweise bindet. Mit dem Bloggen betritt man auch in anderer Hinsicht ein für die Wissenschaft bislang weitestgehend unbekanntes Terrain, womöglich direkte Rückäußerungen eines noch unbekannten und fachfremden Publikums auf einen Text zu erhalten und darüber ins Gespräch zu kommen [ii]. Auf die Kommentare bin ich schon gespannt, denn die Interaktivitätsfunktion wie sie das Web 2.0 ermöglicht, hat bekanntlich ihre Sonnen- und Schattenseiten.
Wie sehr meine Vorgängerinnen auf dem SozBlog mit dieser quasi ungeschützten Rolle der Bloggerin teilweise haderten, wird jeweils in ihrem ersten Blogpost deutlich. Dieser dient häufig zunächst der Selbst- und Fremdvergewisserung zur Bedeutung des Bloggens für die Soziologie und das soziologische Selbstverständnis. Werner Rammert unterscheidet drei Stile des Bloggens: ‚professional‘, ‚personal‘ und ‚public sociology‘ und stellt zugleich fest, dass er den Aufwand des Bloggens doch unterschätzt habe, es sei ein „langwieriges und zeitraubendes Geschäft“. Sicher werde ich ihm am Ende meines Selbstversuchs noch zustimmen. Hella von Unger bewertet soziale Medien als zweischneidiges Schwert, sie „eröffnen faszinierende Möglichkeiten für Austausch, Information, Vernetzung und Forschung und sind doch auch etwas unheimlich, da sie Momente des Ungewissen und Unkontrollierbaren einschließen und starke Dynamiken entfalten (können)“. In den Kommentarspalten zeigen sich in der Tat mitunter destruktive Tendenzen im SozBlog genauso wie in journalistischen Medien auch, das kann unangenehm werden und ist wenig zielführend. Mein Kollege Jo Reichertz ging 2013 so weit zu sagen, dass das Bloggen sogar ‚gefährlich‘ werden kann – „vor allem für die, die noch auf eine Karriere in der Wissenschaft hoffen“, und zwar aufgrund „subversive[r] (Fehl-)Deutungen durch Nutzer jedweder Art“. Wenn man die neuen Möglichkeiten des wissenschaftlichen Austauschs und der soziologischen Kommunikation nach außen auch als Chance begreift, ist die Nicht-Nutzung sozialer Medien sicher keine Lösung. Stattdessen gilt es Ansätze zu finden, wie man sich speziell als Wissenschaftlerin wappnen kann und muss, um nicht getrollt zu werden. Dies könnte auch Thema für die DGS sein.
Plurale Aneignungsweisen des Blogs
Anders als bei selbst generierten Autorinnen-Blogs scheint es für viele der Kolleginnen auf dem SozBlog der DGS das erste und für manche vielleicht sogar das letzte Mal zu sein, dass sie sich auf ein solches Schreibexperiment einlassen. Die sozialen Medien sind der Wissenschaft, wenn man auf Umfragewerte blickt [iii], in weiten Teilen immer noch suspekt. Die geringe Nutzungsintensität sozialer Medien in der deutschsprachigen Soziologie betrifft sowohl die Seite der Autorinnen als auch der Rezipientinnen. Twitter scheint jedoch so langsam Fuß zu fassen. Gestartet im September 2011, hat der SozBlog inzwischen 43 Autorinnen(-Teams), mich eingeschlossen, versammelt. Pro Blogetappe wurden von den Autorinnen von zwei bis zu 43 Beiträge (Nina Baur, Chapeau!) verfasst. Genutzt wurde der Blog in ganz verschiedenen Hinsichten: als reflexives Schreiben über laufende Forschungsarbeiten, zur Theorieentwicklung oder Methodendiskussion, als Konferenzdokumentation, für Reiseberichte, als Medium aufwändiger Buchrezensionen, als Forum für politische Teilhabe und Interessenvertretung, als Präsentationsfläche für Forschungsverbünde oder als Ort für professionspolitische Grenzziehungen. Dieses Spektrum an Mitteilungen kann keine soziologische Zeitschrift bedienen. [iv] Jene Freiheitsgrade sind die Vorzüge eines Blogs, der über spezielle Fachzirkel hinausragt. Ein Wissenschaftsblog spiegelt, um ein Bild von Mareike König zu bemühen, das bunte Treiben auf einem Basar und nicht den Gang in die Kathedrale. [v]
Publikationsmedien der Wissenschaft im Vergleich
In Fächern wie der Soziologie, die ein recht diverses Spektrum an Publikationsmedien unterhält, können bekanntermaßen auch Beiträge wissenschaftliche Debatten beflügeln, bei denen es sich nicht um begutachtete, indexierte und standardisierte Fachartikel, sondern bspw. um Handbuchartikel oder Monographien handelt. Publikationsmedien erfüllen jeweils unterschiedliche Funktionen, darauf wies bereits Ludwik Fleck im Jahr 1935 hin als er die Differenz zwischen Zeitschriftwissenschaft, Handbuchwissenschaft, Lehrbuchwissenschaft und populärer Wissenschaft einführte. Allein dem Begriff nach würde man Blogs intuitiv der ‚populären Wissenschaft‘ zuordnen, ich erinnere nur an die vielen Debatten hier um public sociology auf diesen Seiten. Folgt man Flecks Charakterisierung denksozialer Formen sind forschungszentrierte Blogs aber viel näher an der Zeitschriftwissenschaft. Zu den Merkmalen der Zeitschriftenwissenschaft gehört, so Fleck, ein „Gepräge des Vorläufigen und Persönlichen“. Vorläufig, weil es sich noch nicht um abgesichertes Wissen handelt, wie es in Handbüchern zu finden ist. Persönlich, weil alleine die Problemwahl, das Material, die technische Herangehensweise u.a. mit dem Verfasser untrennbar verbunden ist. Mit anderen Worten: Der Anspruch auf Originalität, die Schaffung neuen Wissens, wird nur von der Zeitschriftwissenschaft erfüllt und zwar in Form kommunikativer Offerten. Die Relevanz und Evidenz des vorgeschlagenen, nicht additiven Wissens muss aber erst von der Wissenschaftsgemeinschaft geprüft werden, bevor sie Eingang in die (Handbuch-)Wissenschaft finden kann. Vorschläge dieser Art, das Austesten von Argumenten, findet man auch hier auf dem Blog. Diese öffentlich vollzogenen Denkbewegungen und Überzeugungsversuche sind aber eben gerade nicht mit apodiktischem Wissen gleichzusetzen, das laut Fleck die populäre Wissenschaft kennzeichnet und am ehesten in journalistischen Medien oder auf dem Sachbuchmarkt zu finden ist.
Wenn nun aber beobachtbare Nutzungsweisen von Blogs der denksozialen Form der Zeitschriftenwissenschaft am ehesten entsprechen, bleibt fraglich, warum dennoch so weitverbreitete Vorbehalte, mich selbst eingeschlossen, existieren. Schließlich ist der Zeitschriftenartikel die heutige Währung im Wissenschaftsbetrieb. Was hindert die Wissenschaft allgemein und die Soziologie im Besonderen also daran, das Medium Expertinnen-Blog weiter für ihre Erkenntniszwecke auszuschöpfen? Mein erster Eindruck ist der, dass das Potenzial noch nicht richtig zur Entfaltung kommt, weil die Beteiligten zwar bemüht sind, etwas Interessantes zu schreiben, aber teilweise unter ihren Möglichkeiten bleiben. Das Ergebnis ist dann eben informativ, aber selten spektakulär. Kritikerinnen fühlen sich dadurch bestätigt, die Skepsis gegenüber dem Bloggen bleibt bestehen.
Diese Ladehemmung liegt vermutlich nicht im Unwillen, sondern im wissenschaftlichen Gratifikationssystem begründet. Ist der Beitrag sehr gut, lautet das Feedback: Wieso hier? Den hätte man doch sicher auch in einer Zeitschrift unterbringen können! Als Autorin steckt man somit in der Zwickmühle: Wie soll man für die Wissenschaft vernünftig bloggen, wenn es unterhalb des Niveaus von Zeitschriftenartikeln bleiben soll, aber die Autorin trotzdem dafür geradestehen muss? Wenn erwartet wird, dass es verständlich genug für ein fachexternes Publikum sein soll, aber eben nicht auf populäre Wissenschaft abzielen kann. Populäre Wissenschaft ist jene, die nichts unbedingt Neues präsentiert, sondern laut Fleck entsteht sie erst durch wiederholte Mitteilungen und Benennungen des Wissens, das somit abgerundet erscheint dank Vereinfachung, Anschaulichkeit und Apodiktizität. Mit Open Science hätte das wenig zu tun. Selbst das Publikum, das sich hier versammelt, ist ein anderes als die allgemeine Öffentlichkeit, auf die die Massenmedien zielen.
Ein vielversprechender Ansatz erscheint mir, Blogs als denksoziale Form zu begreifen für wissenschaftliche Testballons, um sie in Echtzeit zu diskutieren, und im Erfolgsfall für einen Artikel weiter auszuführen. Als Leserin wäre man quasi live am Denkprozess anderer beteiligt und genau darin könnte auch der Leseanreiz bestehen. Wenn dann noch Wert auf Sprache und Dramaturgie gelegt wird, dann wird es für die Autorin ein anspruchsvolles Unterfangen. Blogposts also am ehesten als Essays und eben nicht als populäre Beiträge. Damit entfällt gewissermaßen die Sorge, Wissenschaft bzw. die Soziologie würde sich damit automatisch popularisieren müssen.
[i] Hier und beim leicht abgewandelten Titel frage ich mich – sollte ich die Urheber in einem Blog eigentlich auch zitieren? Oder geht es hier eher um eine künstlerische Referenz, sobald man den Ausspruch als bekannt voraussetzen kann?
[ii] So intensiv wie heute an vielen Orten mit Open Peer Review experimentiert wird, ist jedoch nicht auszuschließen, dass die öffentliche Kommentierung und Diskussion von Forschungsergebnissen (vor oder nach der Veröffentlichung) bald zur Routine wird. Dazu sicher später mehr.
[iii] Über Hinweise auf aktuellere und international vergleichende Umfrageergebnisse wäre ich dankbar.
[iv] Das Internetportal Soziopolis bietet aber inzwischen genau jene Vielfalt plus Nachrichtenfunktion. Hier wäre die strategische Frage, wie das Alleinstellungsmerkmal des SozBlogs noch stärker akzentuiert werden könnte.
[v] Wer mehr über Wissenschaftsblogs erfahren möchte, der sollte gleich den ganzen Artikel von Mareike König lesen.
Ein Gedanke zu „Das Medium 2.0 ist die Botschaft (1/2)“
Kommentare sind geschlossen.